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Erweiterung eines historischen Mühlenensembles in Cottbus-Sielow

Zwischen Anverwandlung und Distanz
Erweiterung eines historischen Mühlenensembles in Cottbus-Sielow

Die Dichte der auf den Entwurf einwirkenden Parameter auf die Stadt zu beschränken, hieße, Landschaft nicht lesen zu können: Auch hier wird das Entwerfen zu einem komplexen Umgang mit den Ebenen des Kontextes. Umso mehr, wenn sich zur Landschaft eine alte Mühle gesellt, die mit Rücksicht auf die Geschichte umzunutzen war. Landschaft, Bestand und Neubau definieren ein neues Konglomerat, aus dem sich die Kulturlandschaft neu bildet.

To restrict the denseness of parameters influencing the design to the town only could mean inability to interpret landscape: here also the design process becomes a complex intercourse with contextual levels. The more so when the landscape includes an old mill which, with due consideration for history, was to be converted. The existing landscape and new building define a new conglomerate from which cultural landscape is recreated.

Text: Wolfgang Kil
Bilder: Erik-Jan Ouwerkerk; Keller + Wittig
Am Rande des Dörfchens Sielow, das seit einigen Jahren zum Stadtgebiet von Cottbus gehört, steht eine alte Holländerwindmühle. Etwa um 1914 wurde das Mahlwerk auf Motorbetrieb umgerüstet, die markanten Flügel verschwanden, dafür erhielt der runde Mühlenbau einen technischen Anbau, dem später ein weiterer folgte, so dass insgesamt ein malerisches Ensemble aus drei einfachen Bauformen unterschiedlicher Größe und Geometrie entstand. Der letzte Müller führte sein Gewerbe bis 1970. Er bewohnte ein Gehöft gleich nebenan und pflegte das Objekt selbst dann noch sorgfältig, als es bereits stillgelegt war. Die Denkmalpflege stellte es schließlich unter Schutz – allerdings nicht primär die Häuser, sondern deren historisch höchst interessantes Innenleben. Die alte Mühle gilt als technisches Denkmal. An dieser nicht alltäglichen Konstellation scheiterten denn auch nach 1990 alle Schnäppchenjäger: Den »romantischen« Mühlturm zu Wohnzwecken auszubauen verbot das geschützte Inventar; die Baubehörde ließ nicht zu, dass das Ensemble durch einen handelsüblichen (Fertig-)Neubau verunziert wird. Erst dem jetzigen Bauherrn, einem Professor für Baugeschichte und Vorsitzenden des Landesdenkmalrates, trauten die Ämter das heikle Projekt einer Erweiterung zu. So durften zwei in Cottbus ansässige Architekten, dem Bauherrn durch Zusammenarbeit an der Universität seit längerem vertraut, hier ihr erstes Haus bauen.
Den Architekten war das Denkmalobjekt bis in alle Details bestens vertraut, hatten sie doch schon vor einiger Zeit den Bau aufgenommen. Da eine Umnutzung der bestehenden Gebäude für Wohnzwecke nicht in Frage kam, bestand von Anfang an die Forderung nach einem »dritten Anbau«. Diesen sowohl ästhetisch als auch funktional in das bestehende Ensemble einzufügen, war die zentrale Aufgabenstellung des Entwurfs. Die Wahl fiel auf einen Solitär, der über eine reich verglaste Eingangshalle mit allen übrigen Baukörpern verbunden ist. Schmale, blechverkleidete »Schleusen« erschließen von der Halle aus die alten Gebäude, die in kommenden Jahren zu musealen Zwecken (im Mühlturm) oder zu weiterer Wohn- und Arbeitsnutzung (in den zwei alten Anbauten) hergerichtet werden sollen.
Freiheit durch Konstruktion Mit seiner abstrahierten Satteldachfigur nimmt der Neubau die Typologie der beiden Vorläufer-Anbauten auf, gesellt sich ihnen als »neues Mitglied der Familie« hinzu. Zugleich wird aber auch – durch hölzerne Haut, skulpturale Anmutung und freie, willkürlich erscheinende Verteilung der Fenster – seine unverkennbare Neuzeitlichkeit betont. Dieses intelligente Spiel zwischen Anverwandlung und Distanz schafft die überragende Qualität des Erweiterungsprojektes: Das kleine historische Ensemble hat durch den hinzugefügten Neubau keinerlei Störung zu verkraften, sondern an pittoreskem Ausdruck sogar noch gewonnen.
Die skulpturale Wirkung des Neubaus ist wesentlich einer konstruktiven Entscheidung zu verdanken. Das ganze Haus ist komplett aus Holz gebaut, genauer: aus vorgefertigten und am Ort montierten Platten aus Brettsperrholz. Elemente aus diesem Material lassen sich wegen ihrer Flächenstabilität sowohl als tragende Innen- und Außenwände, genauso aber auch als Decken- oder Dachbauteile einsetzen. Kraftschlüssige Verbindungen zwischen horizontalen und vertikalen Elementen erlauben den Verzicht auf jede sonst übliche Aussteifung. Umrissgeometrie und Öffnungen der Platten werden im Herstellerwerk maßgenau zugeschnitten, die Größe der einbaufertigen Elemente wird allenfalls durch die Ausmaße der Transportfahrzeuge begrenzt. Fenster, Türen und sonstige Formdetails müssen also nur noch den Anforderungen der innenräumlichen Nutzungen folgen – eine Freiheit, die Bauherr und Architekten mit großer Lust ausnutzten: Es gibt einen Glasschlitz, um direkt aus der Badewanne auf den Hof zu schauen, ein Fenster, um beim Kochen die Kinder im Garten beobachten zu können, eines über dem Bett »für die Sterne«; vor allem jedoch zwei Panoramafenster, um Kiefernlichtung und weites sandiges Feld – eine märkische Landschaft wie aus dem Bilderbuch – direkt in den Wohnbereich zu holen.
Um das simple Bild der »Satteldachhütte« stärker zu verfremden, erhielten die tragenden Brettsperrholzflächen über Mineralwolledämmung und Sperrfolie ein enges Spalier aus gehobelten Latten, das in immer gleichem Raster sowohl die Außenwände wie auch das Dach überzieht. Hinter diesem Lattenraster sind alle störenden Details, wie Schiebeläden für Türen und Fenster, aber auch Dachrinnen und Fallrohre, verborgen, so dass aus nur wenigen Metern Entfernung bereits der ganze Hauskörper »wie aus einem Stück geschnitzt« erscheint. Von dem unbehandeltem Lärchenholz der Latten wird rasches Altern, also baldige Patina und so eine zunehmende Harmonisierung des Ensembles erwartet.
Landschaft innen und außen Gemessen an der Exotik des Ortes, geht es im Innern des neuen Wohnhauses vergleichsweise bescheiden zu. Im Erdgeschoss gelangt man von der Eingangshalle direkt in den großzügigen »Wohnraum für alles«, der mit offen eingestellter Küchenstrecke sowie Arbeitsplatz und Sitzecke eher flüchtig und variabel gegliedert erscheint. Anstelle von inszeniertem Interior Design wird hier mit den grandiosen Ausblicken gelebt, die sich nach allen vier Richtungen durch die jeweils optimal platzierten Fenster eröffnen. Kinder- und Schlafzimmer samt Bad sind im Obergeschoss untergebracht, dort sind alle Trennwände bei Bedarf umsetzbar, mit dem Heranwachsen der beiden Kinder wird sich das Raumprogramm sicherlich noch verändern. (Gleiches steht zu erwarten, wenn durch Sanierung der beiden Alt-Anbauten weitere Arbeits- und Funktionsflächen hinzugewonnen werden.)
Weil der Bauplatzes abgelegen war, mussten die Architekten für die Haustechnik möglichst autarke Lösungen finden. Da allein für die übliche Sammelklärgrube mit Fäkalienabfuhr ein entsprechender Ausbau der Zufahrtswege erforderlich geworden wäre, wurde für die Abwässer eine Pflanzenkläranlage angelegt. Das Heizsystem basiert auf einer Erdwärmepumpe, die Räume werden nach dem Prinzip der Hypokaustenheizung temperiert. Dazu ist den tragenden Wandplatten innen im Abstand von sechs Zentimetern eine Gipskartonschale vorgehängt. Der hohle Zwischenraum wird durch fußbodennah verlegte Heizrohre mit minimalem Energieeinsatz erwärmt, so dass die gesamten Innenwandflächen davon eine stabile und angenehme Raumwärme (18 Grad Celsius) abstrahlen. Lediglich unter den großen Panoramafenstern müssen Unterflurkonvektoren für einen Ausgleich der fehlenden Abstrahlflächen sorgen.
Wem das neu hinzugekommene Hausgebilde im Ensemble der alten Mühlengebäude tatsächlich zu frech im Kontrast erscheint, den sollte ein aufmerksamer Gang durch das Innere trösten: Wie dort aus allen möglichen Perspektiven immer wieder der Blick nicht nur in die Landschaft, sondern – genauso sorgfältig inszeniert – auf Dächer und Gemäuer der historischen Nachbarbauten gelenkt wird, verrät echte Begeisterung. Hier waren keine Denkmalverächter am Werk, sondern im Gegenteil ausgesprochene Kenner und Liebhaber, mit großem Respekt vor der Aura des Originals. Wenn es dafür noch eines Beweises bedarf, dann findet der sich mittendrin: Die längst funktionslose, aber einfach erhalten gebliebene Hofmauer mit ihrem pittoresken Portal doch bitte zu erhalten, auch wenn sie direkt vor dem Rückfenster der Eingangshalle steht, dazu haben die Architekten sogar ihren Denkmalpflegeprofessor erst mühsam überreden müssen. W. K.


  • Bauherren: Leo Schmidt, Marita Müller, Cottbus-Sielow
    Architekten: Keller + Wittig, Uwe Wittig und Christian Keller, Cottbus
    Mitarbeit: Isabel Mayer
    Tragwerksplaner: Professor Pfeifer und Partner, Cottbus
    Planungs- und Bauzeit: 2001-2003
    Baukosten: etwa 250000 Euro
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