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Zukunftsträchtig

Visionäre und neuartige Brückenkonstruktionen
Zukunftsträchtig

~Agnes Weilandt, Christine Lemaitre, Werner Sobek

Vision oder bereits nahe Zukunft? Die Grenze zwischen beiden ist oft nicht klar definierbar. Auch im Brückenbau: Was hier zu Lande noch als visionär gilt, ist in anderen Ländern bereits Realität, etwa Brücken vollständig aus glasfaserverstärktem Kunststoff (1) oder ultrahochfestem Beton. Ähnliches gilt für Brücken aus Holz: Während zum Beispiel in skandinavischen Ländern Brücken mit großen Spannweiten aus imprägniertem Holz realisiert werden (2), baut man in Deutschland statt chemischem Holzschutz lieber auf den konstruktiven (3, 4) – zwar verständlich, doch, aufgrund der notwendigen zusätzlichen Holzverkleidungen oder Schutzdächer oft wuchtig oder heimelig wirkend, zum Leidwesen vieler Architekten. Alternativen zeichnen sich in der Kombination mit Stahl oder Beton aus. Doch wird unter anderem darin der Brückenbau der Zukunft liegen? Wir fragten einige Brückenbauer nach ihren »Brücken-visionen« und Meinungen. Die Ingenieure aus Forschung und Praxis stellen drei Möglichkeiten neuartiger Konstruktionen und Perspektiven im Brückenbau vor. Während die beiden letzten Beiträge den zukünftigen Brückenbau unter Verwendung neuartiger Materialien schildern, erläutert der erste Beitrag visionäre Tragwerkskonstruktionen aus adaptiven Systemen – ein Bereich mit noch hohem Forschungspotenzial.

Vision or already near future? The boundary between the two is often vaguely defined, also in bridge construction. What may be visionary in our country is already reality in others, such as bridges constructed entirely from fibreglass reinforced plastic (1) or ultra-high performance concrete. Likewise for timber bridges: while, for instance, long-span bridges are built from impregnated timber in Scandanavian countries (2), in Germany constructional protection is preferred to chemical protection (3, 4). However, due to the necessary additional timber cladding and roof protection, the effect is rather heavy and folksy, to the disappointment of many architects. Distinguished alternatives exist in combination with steel or concrete; is this where the future of bridge construction lies? We asked some bridge designers for their »bridge visions« and opinions. Engineers from research and practice present three possibilities for new types of construction and perspectives on bridge construction. While the last two contributions are characterised by the use of new types of materials, the first contribution illuminates visionary structural design from adaptive systems – an area with much research potential.

(1) Knippers, Jan und Don-U-Park: Stabile Plastiken. Fußgängerbrücken aus faserverstärktem Kunststoff. In: db 05/03, Seite 75
(2) Im norwegischen Flisa entsteht derzeit eine Straßenbrücke mit einer Gesamtlänge von über 180 m und einer Spannweite von über 70 m aus Brettschichtholz.
(3) Internationales Holzbau-Forum, Block B Holzbrückenbau, Diskussionsrunde, 9.12.2005
(4) Mohrmann, Martin und Armin Seidel: Unterm Regencape. Holzschutz im Brückenbau. In: db 05/03, Seite 82

Adaptive Systeme

Je weiter eine Brücke spannt und je filigraner ihre Konstruktion ist, desto mehr werden Verformungen und Schwingungen zum form- beziehungsweise konstruktionsbestimmenden Element. Durch die konsequente Umsetzung von Leichtbauprinzipien lassen sich zwar große Materialeinsparungen erreichen, das Verformungs- und Schwingungsproblem wird so jedoch nicht beseitigt. Ganz im Gegenteil: Mit der Reduktion des Konstruktionsgewichts geht meist eine erhöhte Verformungs- und Schwingungsanfälligkeit einher. Der Einsatz adaptiver Systeme bietet eine Lösung für dieses Problem und eröffnet dabei gleichzeitig eine neue, bisher nicht realisierbare Dimension der Leichtigkeit.
Unter dem Begriff Adaption versteht man die autonome Anpassung eines Systems an Einwirkungen aus der Umwelt mit dem Ziel der Erhöhung seiner Funktionalität. Für ein adaptives Tragwerk kann dies zum Beispiel in einer Verbesserung des Verformungsverhaltens, der Spannungsverteilung oder des Materialverbrauchs bestehen [1, 2, 3]. Innerhalb eines solchen Systems erfassen Sensoren – zum Beispiel Dehnmessstreifen, piezoelektrische Baustoffe oder faseroptische Sensoren – externe und interne Einwirkungen und übertragen diese Informationen an einen »Controller«. Dieser identifiziert und wertet die Informationen aus, um die notwen- digen Veränderungen zu bestimmen und an so genannte Aktua-toren weiterzugeben. Indem diese dann ihre Eigenschaften verändern, verändern sich auch die Eigenschaften des Systems so, dass das Verhalten der gesamten Struktur verbessert wird. Basierend auf den Definitionen von Yao [4] kann der sich somit ergebende geschlossene Regelungskreislauf (Bild 1) dargestellt werden.
Man unterscheidet zwischen Dehnungs- und Steifigkeitsaktuatoren, die auch in Kombination auftreten können. In die erste Gruppe fallen neben größenveränderlichen Elementen auch Auflagerverschiebungen oder -verdrehungen. Analog dazu sind Steifigkeitsaktuatoren zum Beispiel Elemente mit veränderlichen Steifigkeiten oder veränderlichen Lagerungsbedingungen. Steifigkeitsaktuatoren werden auf Basis intelligenter, so genannter smarter Werkstoffe schon seit längerem entwickelt und erforscht [5]. Elektro- oder magnetorheologische Fluide, die auf ein elektrisches oder magnetisches Feld mit einer Änderung ihrer Viskosität reagieren, könnten zum Beispiel in Schwingungsdämpfern (Bild 2) von Brücken eingesetzt werden, um deren Dämpfungseigenschaften an verschiedene Erregerfrequenzen wie etwa Windlasten anzupassen. Die smarten Werkstoffe als Dehnungsaktuatoren zu verwenden, erscheint jedoch im Brückenbau aufgrund zu geringer Stellweglängen, also zu geringer Verformungsmöglichkeiten, derzeit noch unwirtschaftlich. Herkömmlichen Aktuatoren, zu denen die elektromechanischen (z. B. Elektromotoren) und die fluidtechnischen Systeme (z. B. Hydraulikzylinder oder pneumatische »Muskeln«) gehören, sind meist Dehnungsaktuatoren und weisen stattdessen die erforderlichen Stellweglängen auf. Sie könnten in einer Brücke beispielsweise als aktive Auflager oder aktive Aufhängung von Schrägseilen eingesetzt werden, um so die Verformungen, Schwingungen oder Kraftverläufe anzupassen [6].
In einem adaptiven Tragwerk wird zwischen drei verschiedenen Beanspruchungszuständen unterschieden: Der passive Zustand beschreibt das System ohne Veränderung der Aktuatoreigenschaften. Der aktivierte Zustand hingegen stellt das System unter ausschließlichen Eigenschaftsänderungen der Aktuatoren dar, so dass sich aus der Superposition der beiden der adaptive Zustand ergibt (passiv + aktiviert = adaptiv, Bild 3). Um die Umsetzbarkeit dieser theoretischen Überlegungen in die Realität zu belegen, wurde im Jahr 2001 am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart das Modell (Bilder 4, 5) einer adaptiven Brücke gebaut [7]:
Der »Stuttgarter Träger« ist ein 1,60 m weit spannender, an den Lagern in V-Stützen eingespannter Einfeldträger mit einer Bauhöhe von 3 mm; sein Bauhöhen- zu Spannweitenverhältnis beträgt also etwa 1/500. Die Aktivierung des Trägers ist so ausge-legt, dass zu jedem Zeitpunkt die adaptierte Verformung im Lastangriffspunkt gleich Null ist. Dies wird durch einen am Auflager angebrachten Dehnungsaktuator erreicht, durch dessen aktivierte horizontale Verformung eine Verdrehung der V-Stütze und eine vertikale Verschiebung in den Träger induziert wird. Auf diese Weise wurde, gegenüber einem entsprechend belasteten passiven System, das Gewicht des Stuttgarter Trägers um über 50 % reduziert. Darüber hinaus wird mit der Adaption eine Nullverformung erzielt, die in der Realität nur mit einem nicht darstellbaren, unendlich steifen passiven System zu erreichen wäre.
Die hier dargestellten Zusammenhänge zeigen das große Potenzial der adaptiven Tragwerke für den Brückenbau. Mit der Möglichkeit, Belastungsspitzen sowie Verformungen zu adaptieren, können effizientere und gebrauchstauglichere Bauwerke mit geringerem Materialaufwand realisiert werden. Weitergehende Fragestellungen wie etwa die optimale Topologie und Geometrie von adaptiven Stab- beziehungsweise Flächentragwerken werden derzeit am ILEK weiter erforscht. Mit den daraus gewonnenen Ergebnissen und dem integrativen Zusammenwirken von Tragwerk und adaptiven Elementen wird es möglich sein, sowohl im Brücken- als auch im Hochbau wesentlich leichtere Strukturen als bisher einzusetzen.

[1] Sobek, Werner, Walter Haase und Patrick Teuffel: Adaptive Systeme. In: Stahlbau 69 (7), 2000, Seite 544–555
[2] Sobek, Werner und Patrick Teuffel: Adaptive Structures Architecture and Structural Engineering. Smart Structures and Materials, SPIE 4330 / SPIE 8th Annual International Symposium, 4.– 8. März 2001, Newport Beach, Ca, USA Publikation herausgegeben von Liu, S.C., Bellingham, Seite 36 – 45
[3] Teuffel, Patrick: Entwerfen adaptiver Strukturen, Dissertation, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Universität Stuttgart, 2004
[4] Yao, James T.P.: Concept of structural control. In: ASCE Journal of Structural Division 98 (7), 1972, Seite 1567–1574
[5] Housner, George W., u. a.: Structural Control– Past, Present and Future. In: Journal of Engineering Mechanics, (123) 9, 1997, Seite 897–971
[6] Kurz, Oliver: Adaptive Schrägseilbrücken, Diplomarbeit, Institut für Leichtbau Ent- werfen und Konstruieren, Universität Stuttgart, 2001
[7] Sobek, Werner, Patrick Teuffel und Agnes Landauer: Stuttgarter Träger. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Universität Stuttgart, 2002

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