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Wiederbelebte Materialien

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Wiederbelebte Materialien

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1 In England kann man sein »Mobile« bereits verewigen, etwa in Recyclingplatten aus verpressten Handyschalen. Diese wären beispielsweise denkbar im Showroom eines Handyherstellers 2 Fensterprofile aus recyceltem Kunststoff: Sie sind aus Thermoplasten hergestellt, denn nur diese lassen sich durch Aufschmelzen wiederverwerten 3 Ein Polystyrol-Regranulat aus automatischer Wertstoffsortierung des Grünen Punktes 4 Die Platte Tectan eines deutschen Herstellers lässt verpresste Tetrapacks erkennen 5 Abfall wird zur Kunst: Hinterleuchtete, zerschredderte Plastikflaschen bei einer Ausstellung 6 Ebenfalls eine Recyclingplatte von »Smileplastics«, nur ist das Ursprungsmaterial aus Verpackungen hier bestenfalls zu erahnen 7 Ein »Biohocker«, komplett abbaubar. Verstärkt werden die Kunststoffe ebenfalls aus nachwachsenden Rohstoffen 8 Eine dänische Firma vertreibt eine Regalserie aus recyceltem Kunststoff
Durch das rasante Wachstum von Technologie, Bevölkerung und Konsum werden immer mehr natürliche Ressourcen beansprucht und die Umwelt dauerhaft belastet. Ein Bewohner der Industrieländer produziert Tonnen von Abfallmaterial im Laufe seines Lebens – eine Materialmenge, die heutzutage als neuer Rohstoff angesehen werden kann und durch gezielten Eingriff in den Recy-clingprozess für Architekten und Innenarchitekten an Bedeutung gewinnt. Through the rapid growth of technology, population and consumption, the demand on natural resources is continuously increasing, at the same time putting more pressure on the environment. An inhabitant of the industrialised countries produces tons of waste material in a life time – a volume of material that can now be regarded as a resource, which through specific intervention in the recycling process, has gained in importance for architects and interior designers.

Recycling bedeutet die erneute Verwendung von Materialien oder Produkten in einem Stoffkreislauf. Hierbei ist die Reinheit des Primärmaterials von großer Bedeutung, um die Qualität der Sekundärmaterialien zu gewährleisten. Im Bauwesen spielen Recyclingmaterialien heute bereits eine große Rolle. In allen Bereichen von der Konstruktion bis zu den Oberflächen existieren bereits recycelte Sekundärmaterialien als Alternative zu den so genannten Primär-produkten: Profile aus recyceltem Kunststoff (Bild 2), Bodenbeläge aus alten Autoreifen oder Gartenmöbel aus wiederverwerteten Getränkeflaschen sind nur einige der Beispiele. Eine grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit zu recyceln ist, Bauteile wieder in einzelne Materialien oder recycelfähige Komponenten zerlegen zu können. Ein Gebäude besteht aus mehreren Schichten, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Außenhülle, Struktur, Technik, raumbildende Elemente, Möbel. Die konstruktive Separierung dieser einzelnen Schichten macht es möglich, bei Bedarf nur eine Komponente zu erneuern beziehungsweise zu recyceln. Diese Schicht sollte in sich ein homogenes »Monomaterial« und nicht aus Einzelkomponenten untrennbar gefügt sein, wie es zum Beispiel bei Sandwichelementen der Fall ist.

Kunststoffe bilden einen Hauptbestandteil der heutigen Materialströme. Sie basieren auf organisch-chemischen Verbindungen. Organisches Material besteht im Wesent- lichen aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Auch Erdöl und Erdgas als Ausgangsmaterial der Kunststofferzeugung sind transformierte Kohlenwasserstoffverbindungen. Der Primärenergieverbrauch bei der Her-stellung von Kunststoff ist hoch. Bei der Herstellung von Recyclingkunststoff hingegen können bis zu 80 % der Energie gegenüber einer Neuproduktion eingespart werden. Die Lebensdauer von Kunststoffen ist von verschiedenen externen Faktoren wie UV-Strahlung, Temperatur, mechanische Belastung und Witterungseinflüsse abhängig. Da viele Produkte erst seit 15 bis 20 Jahren auf dem Markt sind, liegen wenig Erfahrungen mit dem Alterungsverhalten vor. Auch die ständige Weiterentwicklung der verwendeten Komponenten und Additive machen ein langfristiges Verhalten schwer vorhersagbar.
Kunststoffarten Kunststoffe werden in die drei großen Gruppen der Thermoplaste, der Duroplaste und der Elastomere eingeteilt. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrem Molekülaufbau, woraus ihr unterschiedliches Verhalten bei Wärme und somit auch unterschiedliche Möglichkeiten zu recyceln resultieren.
Thermoplaste (z. B. PET, PolyethylenTerephalat, oder PP, Polypropylen) bestehen aus nicht vernetzten, langkettigen Makromolekülen und lassen sich durch Aufschmelzen wiederverwerten. Sie sind bei Normaltemperaturen biegsam und gut recycelbar. Grundvoraussetzung dafür ist, dass sie sortenrein sind. Das Recyceln nicht sortenreiner Thermoplaste oder Kunststoffgemische ist aufwändig.
Duroplaste (z. B. Polyester oder Epoxidharze) bestehen aus engmaschigen, irreversibel vernetzten Molekülen. Sie sind nicht durch Erwärmung verformbar. Elastomere sind zwar auch vernetzt, jedoch weitmaschiger als Duroplaste, wodurch eine gewisse Elastizität gegeben ist. Duroplaste und Elastomere können werkstofflich nicht recycelt werden, da sie sich bei Erwärmung zersetzen. Sie können nur in gemahlener oder geschredderter Form als Verstärkungs- oder Füllstoffe verwendet oder zu neuen Produkten verpresst werden.
Werkstoffliches und rohstoffliches Recyceln Hierbei stehen zwei Methoden zur Verfügung: Die werkstoffliche Verwertung zu Regranulat, einem homogenen, rieselfähigen Schüttgut, aus dem, wieder einschmelzbar, weitere Produkte hergestellt werden, und das rohstoffliche Recycling, das bei der Stahlerzeugung und der Methanolherstellung zum Einsatz kommt. Das werkstoffliche Recycling erweist sich nach der momentanen ökonomischen und ökologischen Lage als das effizienteste Verfahren der Verwertung. Durch werkstoffliches Recycling gebrauchter Verpackungen wird jährlich Primärenergie gegenüber der Neuproduktion in einer Größenordnung eingespart, die ausreichen würde, um alle Berliner Haushalte bis zu 130 Tage mit Strom zu versorgen. Regranulate lassen sich gut transportieren, lagern und anschließend weiterverarbeiten. Eine möglichst sortenreine Erfassung beziehungsweise Trennung der unterschiedlichen Kunststoffarten ist für das Recyceln von großer Bedeutung, denn nur aus reinem Grundmaterial können hochwertige neue Produkte entstehen. Das zerkleinerte Primärmaterial (Bild 3) kann nach Farben sortiert werden, um die Erscheinung des Endproduktes zu beeinflussen.
Ein für die Recyclingindustrie wichtiger Faktor aus dem Hausmüll sind die Verpackungsabfälle. Diese werden in Deutschland über das Duale System gesammelt und einer Verwertung zugeführt. Dem Dualen System Deutschland, einem privatwirtschaftlichen Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft, gehören rund 600 Firmen aus Handel und Industrie an. Etwa 19 000 Lizenznehmer nutzen den Grünen Punkt und finanzieren damit die Getrenntsammlung, Sortierung und Verwertung von Verkaufsverpackungen. Rechtlicher Hintergrund hierfür ist die Verpackungsverordnung, die das Prinzip der Produktverantwortung im Abfallrecht verankert. Sie verpflichtet die Hersteller von Verpackungen, diese nach Gebrauch zurückzu-nehmen und einer erneuten Verwertung zuzuführen. Für Kunststoffe und Verbunde schreibt sie eine Verwertungsquote von 60 % vor. Der Grüne Punkt auf Verpackungen signalisiert, dass Industrie und Handel das Lizenzgeld für Sammlung, Sortierung und Verwertung im Rahmen des Dualen Systems entrichten und von der individuellen Rücknahme- und Verwertungspflicht befreit sind.
Im Kreislauf der Zeit Um die ökologische Relevanz von Recyclingmaterialien bewerten zu können, gibt es verschiedene Instrumente. Eine Möglichkeit ist das Erfassen der »Lebenszyklen«. Vom ersten Spatenstich bei der Rohstoffgewinnung über die Gebrauchsphase bis hin zur Entsorgung der kleinsten Einzelteile sollen hierbei ökologische, ökonomische, aber auch soziale und ethische Auswirkungen der Produkte betrachtet werden. Die Aufgabe, ein Recyclingmaterial nach solchen Kriterien objektiv zu beurteilen, ist höchst komplex, da sämtliche Recyclingkreisläufe, die ein Material durchläuft, einschließlich der Herstellung des Primärmaterials berücksichtigt werden müssen. Ein Lebenszyklus kann sich durch wiederholtes Recyceln durchaus über Jahre erstrecken und somit auch immer wieder veränderten ökonomischen und ökologischen Parametern und Bedingungen unterworfen sein.
Über Recycling ist keine vollständige Schließung des Materialkreislaufes zu erwarten. Die Qualität eines Produktes nimmt mit jedem Zyklus ab. Am Ende dieses »Downcycling«-Prozesses steht unausweichlich die Deponierung. Diese so genannte Kaskadennutzung zielt darauf ab, Materialien so lange wie möglich im Wirtschaftssystem zu nutzen. Diese werden aber nicht dadurch ökologischer, dass man den Zeitpunkt ihrer Deponierung durch immer neue Lebenszyklen aufschiebt und dafür eine immer schlechtere Qualität des Materials in Kauf nimmt. Materialien sollten so konzeptioniert werden, dass sie auch im recycelten Zustand eine hohe Qualität und möglicherweise völlig neue Eigenschaften besitzen, die nicht zwangsläufig schlechter sein müssen.
Vorbildfunktion und Anwendungen Den durch Recyclingprozesse veränderten Charakter des Materials besonders hervorzuheben, ist ein neuer Denkansatz in der Materialindustrie. Selten wird bisher für ein Recyclingprodukt mit seiner äußeren Erscheinung geworben. Meist liegt der Schwerpunkt der Vermarktung auf den Materialeigenschaften und ökologischen Aspekten. Die englische Firma Smileplastics geht hierbei in die Offensive: Sie stellt Unikate aus eingeschmolzenen Industrieprodukten her, die von großem ästhetischen Reiz sind. Der Kunde kann selbst Einfluss auf die Zusammenstellung der verarbeiteten Materialien und Granulate nehmen und so die Oberfläche im Produktionsprozess mitbestimmen (Bilder 1, 6). Gerade der Verweis auf das Primär- material wertet die Produkte von Smileplastics auf. So macht das Wissen um den Ursprung des Materials (etwa Kleiderbügel, Gummistiefel, Banknoten oder Handyhüllen) das Recyclingprodukt zu einem Stück mit individueller Geschichte. Einige der außergewöhnlichen Rohmaterialien sind nur in begrenzten Mengen verfügbar. Dieser produktionsimmanente Engpass könnte im Sinne einer »limited edition« durchaus als positives Marketingwerkzeug ein- gesetzt werden.
Das Plattenmaterial Tectan (Bild 4), hergestellt aus recycelten Tetrapacks, lässt ebenfalls seine Herkunft erahnen. Im Material finden sich neben den bunten Hüllenpartikeln winzige Aluteilchen der ehemaligen Innenbeschichtung. Gerade dieses Glimmern gibt dem Material seine besondere Note.
Eine regelrechte Inszenierung der Ästhetik von Kunststoffmaterialien aus der Gelben Tonne stellt die Leuchtwandinstallation »Farben des Konsums« der Künstlergruppe Bär und Knell dar, die im Rahmen einer Berliner Ausstellung gezeigt wurde (Bild 5). Gebrauchte, zerkleinerte Kunststofflaschen wurden zwischen Paneele gefüllt und hinterleuchtet. Die Mischung des Kunststoffmülls bestimmte die Farbanteile in der Wand und so auch die Raumstimmung.
Massive Kunststoffplatten aus Rohstoffen der Gelben Tonne verwendet die dänische Firma Montana für eine Regalserie (Bild 8). Die Möbel dienen dezidiert dem Imagegewinn der Firma: Die Absatzzahlen der Recyclingregale sind im Vergleich zur Standardserie zwar gering, der Werbeeffekt auf Messen oder in Showrooms ist jedoch umso höher.
Mangelnde Nachfrage Die Möglichkeiten neuer Materialentwicklungen aus recycelten Kunststoffen sind vielfältig. Gleichzeitig sind Visionen seitens der Gestalter gefragt, um neue Möglichkeiten im Umgang mit dem Material zu entdecken und von der Industrie einzufordern. Die Hersteller sind sich oftmals des gestalterischen – und auch vermarktbaren – Potenzials ihrer Produkte nicht bewusst. Innovative Ansätze, die Industrie, Umwelt und Planer nicht als Gegner, sondern als Verbündete sehen, stellen den zukunftsweisenden Ansatz im Umgang mit Material und Ressourcen dar. Recycling darf kein notwendiges Übel sein oder der Gewissensberuhigung dienen, sondern muss neue Möglichkeiten für die Materialentwicklung eröffnen und darüber hinaus selbsttragende Ressource im Materialkreislauf sein.
Visionär Blickt man in die Zukunft, tut sich bereits ein neues Feld am Horizont auf, das den klassischen Recyclingmaterialien und somit der Kaskadennutzung eine vollkommen neue Perspektive entgegensetzt: die Biopolymere. Sie sind nach ihrer Verwendung vollkommen abbaubar, da sie selbst aus Mais, Kartoffeln oder Zuckerrüben hergestellt werden. Als Folie verarbeitet, sind diese Materialien bereits als Lebensmittelverpackungen weit verbreitet. Zu konstruktiven Zwecken verstärkt man die Kunststoffe mit Fasern – auch diese aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Flachs oder Hanf.
Aus dem Material lassen sich selbst schlagfeste Bauhelme oder stabile Möbelstücke fertigen. Der Markt für diese zukunftsweisenden Materialien wächst enorm schnell – in Europa wurden im vergangenen Jahr bereits 50 000 Tonnen verbraucht. Statt »Abfall« ein wertvolles Rohmaterial zu produzieren, das deponiert zu reiner Erde würde, ist eine schöne Utopie, die vielleicht nicht mehr in allzu weiter Ferne liegt. C. S.
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