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Weiterbauen

Institutsgebäude und Prüfhalle FB Bauingenieurwesen und Geodäsie, TU Darmstadt
Weiterbauen

Die Neubauten auf dem Campusgelände außerhalb der Stadt nehmen die Qualitäten und Eigenarten des Bestandes auf, stehen mit scharfen Konturen aber im Kontrast zu den stark gegliederten Kuben der Nachbargebäude. Flächenbündig in die Außenhaut aus Streckmetall integrierte Fensterbänder führen den Entwurfsgedanken geometrisch eindeutiger Rechteckvolumen konsequent zu Ende.

The new buildings on the campus site outsite the town reflect the qualities and characteristics of the existing development with, however, sharp contours in contrast to the strongly articulated cubes of the neighbouring buildings. Strip windows are integrated flush with the external skin of expand metal, thus rigorously realizing the design concept of geometrically unambiguous rectangular volumes.

Text: Christoph Bodenbach
Fotos: Dietmar Träupmann
Die TU Darmstadt, bis 1997 TH und seitdem auch dem Namen nach eine Universität, ging aus der Großherzoglich-Hessischen Polytechnischen Schule hervor und ist noch heute mit ihrem Kernbereich im Herzen der Stadt ansässig; die zentrale Hochschulbibliothek befindet sich im Darmstädter Schloss, direkt gegenüber dem Staatstheater. Doch schon in den sechziger Jahren wurden die zentral gelegenen Gebäude zu klein. Da freie Flächen im Stadtzentrum kaum zur Verfügung standen, fiel 1963 die Entscheidung, vor den Toren der Stadt, auf der nur knapp zwei Kilometer vom innerstädtischen Hochschulbezirk liegenden »Lichtwiese«, einen zweiten Standort zu gründen. Das staatliche Hochschulbauamt entwickelte hierfür das »Darmstädter System« (in Anlehnung an das so genannte »Marburger System«, nach dem ab 1961 die altehrwürdige mittelhessische Universität auf den Lahnbergen erweitert wurde). Mit diesem standardisierten Bausystem wurde nach und nach der neue Standort »Lichtwiese« ausgebaut. Den Anfang machte 1967 das Atriumgebäude für den Fachbereich Architektur, ihm folgte ein Jahr später ein Reihentyp für die Bauingenieure. Danach bekamen die Chemiker und die Maschinenbauer neue Häuser. 1975 folgte endlich die Mensa, die dem Standort ein bauliches und kommunikatives, wenn auch nicht unbedingt kulinarisches Zentrum gab. Flüchtig betrachtet erwecken die Bauten der »Lichtwiese« den Eindruck ungestalteter Betonklötze, die allein aus der Funktion heraus entwickelt wurden. Doch das täuscht. Das Wechselspiel offener und geschlossener Fassadenteile ist fein kalkuliert, im Inneren sind immer wieder spannende Raumsituationen zu finden – und die Flexibilität der Häuser ist sprichwörtlich. Generationen von Professoren und Studierenden können das bestätigen.
Eindeutig im Gleichklang Der Fachbereich 13, Bauingenieurwesen und Geodäsie, war bis zum Bezug des neuen Institutsbaus sowohl am Standort Innenstadt als auch auf der Lichtwiese vertreten. Aus der City musste man weichen, weil die »Wissenschaftsstadt« Darmstadt gemeinsam mit dem Land Hessen und der TU ein neues Kongresszentrum errichtet; den internationalen Wettbewerb dazu gewann der Wiener Tarek Chalabi mit einem nun im Bau befindlichen, dekonstruktivistisch angehauchten Entwurf à la Zaha Hadid.
Das neue Fachbereichsgebäude auf der Lichtwiese, das zum laufenden Wintersemester eröffnet wurde, hat mit derlei Formmanierismen nichts zu tun. Und auch mit dem »Darmstädter System« hat der vom Stuttgarter Büro Knoche Architekten hinzugefügte Baustein auf den ersten Blick nichts zu schaffen.
Als klarer Sieger aus einem 2001 entschiedenen Wettbewerb hervorgegangen, schlugen die Stuttgarter eine scharf konturierte Hochhausscheibe vor, die an der Hauptzufahrt zum Campus nicht nur als »Tor zur Lichtwiese« fungiert, sondern es in ihrer Prägnanz und Eindeutigkeit durchaus mit den kräftigen Bestandsbauten aufnehmen kann. Dieser Ansatz leuchtet schnell ein, wenn man sich die pavillonartigen Lösungen anderer Preisträger vor Augen führt. Als zweiter Baukörper kommt die flache Versuchshalle dazu, die über ein Verbindungsgebäude an die Scheibe angebunden werden sollte. Wichtig war den Architekten dabei die Erhaltung eines bestehenden kleinen Baumhains, an dem sich nun alle Zugänge der neuen und alten Fachbereichsgebäude überschneiden. Für diese ihrer Meinung nach optimale Zuordnung des Neubaus wurde ein bestehendes Parkdeck in freier Interpretation der Wettbewerbsauslobung um einige Felder verkürzt.
Not und Tugend 25 Millionen D-Mark standen für den Institutsbau mit Hörsaal, Büro- und Seminarräumen sowie die fast 2000 Quadratmeter große Versuchshalle zur Verfügung. Im Laufe der Bearbeitung wurde schnell klar, dass die im Wettbewerb vorgeschlagene doppelschalige Glasfassade ebenso wenig zu realisieren war wie das Verbindungsgebäude und die Herstellung makelloser Sichtbetonflächen. Doch die Architekten verzagten nicht und machten aus der Not eine Tugend. Sie überarbeiteten in Abstimmung mit dem Hessischen Baumanagement (ehemals Staatsbauamt), dem eingesetzten Projektsteuerer und dem Nutzervertreter ihre Planungen in wirtschaftlicher Hinsicht, ohne ihre gestalterischen Maximen aus den Augen zu verlieren. Städtebaulich war es ihnen wichtig, die Maßstäblichkeit der benachbarten Bestandsgebäude des Fachbereichs 13 aufzunehmen: Das neue L-förmige Ensemble aus Institutsbau, Versuchshalle und Pergola-Verbindung nimmt Bezug auf die Abmessungen und die Anordnung des bestehenden Instituts und der bestehenden Versuchshallen; Fluchten werden in Höhe und Breite aufgenommen, und auch die Fassadengliederung in weitgehend geschlossene Flächen mit abschließendem Glasstreifen am Dachrand findet sich wieder. Um die Homogenität der neuen Baukörper zu gewährleisten, suchten die Architekten nach einem Ersatz für die Glashaut – und fanden Streckmetall! Das Material ist kostengünstig und robust und passt in idealer Weise zur Anmutung des (Beton-)Bestands wie auch zum pragmatischen Selbstverständnis der Nutzer. Denn wie der vermeintlich gleichmäßige Beton viele Schattierungen aufweist, variiert auch die Erscheinung der Streckmetallfassade je nach Tages- und Jahreszeit, Wetter- und Lichtverhältnissen stark. Selbst durch sich ändernde Betrachtungswinkel und -abstände entstehen jeweils neue Bilder. Im Kontrast zu den stark gegliederten Kuben des Bestandes sollten die Neubauten als geometrisch eindeutige Rechteckvolumen ohne Versprünge ausgebildet werden. In der konsequent glatten Fassade sind die Fensterbänder deshalb auch flächenbündig in die Streckmetallflächen integriert und bis zur Gebäudeecke geführt; es entsteht ein horizontal orientiertes, grafisch-abstraktes Bild, in dem der eigentliche Fassadenaufbau nicht in Erscheinung tritt.
Im Inneren sind die beiden Gebäudeteile denkbar einfach organisiert. Die Versuchshalle wird von einer dreigeschossigen Labor- und Werkstattspange längs der Nordseite flankiert. Direkt gegenüber dem Hallenzugang liegt der Haupteingang des Institutsgebäudes; dahinter öffnet sich die zweigeschossige Eingangshalle. Von hier aus sind Hörsaal und die Seminarräume sowie das Dekanat, die Bibliothek und das Lernzentrum zu erreichen. In den fünf Geschossen darüber befinden sich die Büros der Professoren und Mitarbeiter der Institute sowie weitere Arbeitsräume für Kleingruppen. Jedes der Ost-West-orientierten Geschosse haben die Architekten durch vier aussteifende Querwände gegliedert und die Monotonie der Mittelflurerschließung durch die wechselnde Anordnung der tragenden Längswände gebrochen: mal links des Ganges, mal rechts finden sie ihr Gegenüber in vollverglasten Leichtbauwänden, die das Tageslicht in die Flure strömen lassen.

Knoche Architekten haben dem bestehenden Campus und insbesondere dem Fachbereichsgebäude für Bauingenieurwesen und Geodäsie von 1968 einen eigenständigen Neubau hinzugefügt, der die Qualitäten und Eigenarten des Bestands dennoch sensibel aufnimmt. Kein selbstverliebter Solitär ist so entstanden, sondern ein Haus, das die Lichtwiese als Ensemble begreift und um einen weiteren Baustein komplettiert. Das ist Weiterbauen im besten Sinne! C.B.


  • Standort:
     
    Bauherr: Land Hessen / HBM Hessisches Baumanagement Süd
    Architekt: Knoche Architekten, Stuttgart
    Mitarbeiter: Christoph Jopp (Projektleitung); Katja Faßmann, Mike Hamberger, René Schrödl, Stefan Heinke, Mike Weber Bauleitung: Knoche Architekten mit JLS Architekten, Darmstadt
    Tragwerk, Thermische Bauphysik und Akustik: CSZ Cornelius Schwarz Zeitler GmbH, Darmstadt
    Haustechnik: Rentschler + Riedesser Ingenieurgesellschaft mbH, Filderstadt
    Farbgestaltung: Knoche Architekten
    Freianlagen: Knoche Architekten mit Stötzer + Neher, Berlin
    Nutzfläche: 4900 m² Bruttorauminhalt: 36500 m³
    Kosten: 8,67 Mio Euro
    Fertigstellung: September 2004
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