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Was märchenhafte Eintonmusik mit langsamer Architektur zu tun hat

Gedanken zur Monotonie
Was märchenhafte Eintonmusik mit langsamer Architektur zu tun hat

Monotonie als ordnungs- und orientierungsstiftendes Moment, als Qualitätsgarant stadtplanerischer Konzepte; während die Konnotation des Begriffs meist eher eine negative ist, hebt Frank Werner die positiven Aspekte der Wiederholung und Reihung hervor.

Text: Frank Werner

Ein altes chinesisches Märchen berichtet uns von einem ergrauten Geigenvirtuosen, der ein äußerst wertvolles Instrument besaß, bei dem er bis auf eine einzige Saite alle übrigen entfernt hatte. Auf dieser Saite strich er mit dem Bogen voller Hingabe nur einen einzigen Ton, und das jeden Tag lang von früh bis spät. Eines Tages hielt es seine Frau nicht länger aus und sagte: »Ich war heute wieder auf dem Markt zum Einkaufen. Dort hörte ich andere Geigenspieler musizieren. Sie hatten Instrumente wie das Eurige; aber mit vielen Saiten, denen sie die wunderbarsten Töne entlockten. Verehrter Meister, warum tut Ihr das nicht?« Der alte Geigenvirtuose hörte auf zu spielen und schwieg lange. Dann sah er seine Frau milde lächelnd an und antwortete: »Frau, jene üben noch, ich aber habe bereits gefunden.«
Sicher lässt sich diese kleine Geschichte nicht so ohne Weiteres auf architekturtheoretische Diskurse zum Thema »Monotonie« übertragen. Doch macht sie immerhin deutlich, dass Monotonie durchaus zwei Gesichter haben kann. So wäre die Architekturgeschichte der letzten zweieinhalb Jahrhunderte, ausgehend von den visionären Konzepten der französischen Revolutionsarchitektur, über J.N.L. Durands »Erfindung« des modernen Rationalismus, bis hin zu den Maximen der klassischen Moderne und nachmodernen Theoretikern wie Aldo Rossi nicht denkbar ohne den »didaktischen« Einsatz monotoner Gestaltungsstrategien. Dazu gehören programmatische Aneinanderreihungen gleicher Fassaden ebenso wie serielle Repetitionen identischer Tragwerk- oder Grundrissstrukturen.
Wie raffiniert die Architekten mit der Dialektik des Monotonen umzugehen wussten, beweisen die großbürgerlichen Reihenhäuser um den Royal Crescent in Bath, welche 1761–85 von John Wood dem Jüngeren errichtet wurden. Während die einzelnen Häuser über die gesamte Platz- oder Straßenbreite hinweg hinter einem bewusst monoton gehaltenen, kollektiven Wandschirm mit schier endlos repetierten Stilmerkmalen des frühen Klassizismus zurücktreten, entfalten sie auf ihrer informellen Rück- oder Gartenseite eine schier überbordende individuelle Vielgestaltigkeit. Dem erzieherischen Impetus der Aufklärung folgend, unterwirft sich der öffentliche Raum also ganz bewusst dem Prinzip der monotonen »Gleichmacherei«, welches erst im privaten Bereich kompensiert werden darf.
Eine ähnliche, wenngleich erheblich radikalere Haltung verfolgte auch Friedrich Weinbrenner, als er im Jahre 1808 seinen Vorschlag zur Neugestaltung der Langen Straße in Karlsruhe vorlegte. Weinbrenner, dem Zeit seines Lebens das Ideal einer spartanisch tugendhaften, bürgerlichen Ur-Zivilisation vorschwebte, versuchte mit diesem nicht ausgeführten Entwurf ein uneinheitliches kleinbürgerliches Straßenbild auszulöschen zugunsten monoton aneinandergereihter Rundbögen. Diese sollten das strukturelle Gerüst von monumentalen geschossübergreifenden Straßen-Kolonnaden abgeben, deren erhabene Wirkung das erwachte bürgerliche Selbstbewusstsein adäquater widergespiegelt hätte als der heterogene Istzustand. Selbst Aldo Rossis monotoner Wohnblock Gallaratese aus dem Jahre 1970 steht noch ganz unter dem Einfluss Weinbrenners und ähnlich rigoroser Stadtbautheorien, wie sie beispielsweise Ludwig Hilberseimer 1924 für die Berliner Friedrichstadt entwickelt hatte. Einer der Grundpfeiler von Rossis Studie »L’Architettura della Città«, einer bahnbrechenden kritischen Analyse zur Typologie und Morphologie der Stadt, ist das Prinzip repetitiver Reihungen. Wobei Rossi dem Terminus Monotonie unter Verweis auf die Architekturgeschichte durchaus emanzipatorische Züge attestiert.
Anders sieht Monotonie hingegen aus, wenn sie sich als Entwurfsstrategie auf das zeitgenössische Einzelbauwerk kapriziert. Dann beschwört sie nicht selten Präsenz und Aura eines einzigen, homogenen Baustoffes; ganz gleich, ob es sich dabei um Beton, Holz, Ziegel oder andere Materialien handelt. So zum Beispiel die früheren Bauten Luigi Snozzis, der lange Zeit als der Hohepriester des Sichtbetons galt. Die Betonhäute seiner Häuser bestechen durch die Präzision gleichförmig wiederholter Abdrücke der Schalungstafeln und ihrer Verbindungspunkte, die wie in die Wand eingelassene Ornamente wirken. Oder John Pawsons Bauten und Räume, die mit der unaufgeregten Repetition homogener Materialien sowie deren Fügung beziehungsweise Fassung so monoton reduziert umgehen, dass Kenneth Frampton von »Null-Grad-Architektur« spricht. Dagegen wirken Peter Zumthors Bauten, wenn Monotonie als strategisches Mittel eingesetzt wird, eher wie Meisterstücke einer sinnlich zu Schau gestellten Material-Konkordanz. Wobei die Wiederholung gleicher Elemente deren atmosphärische Ausstrahlung stärkt und nicht schwächt. In ihrer Analyse zum Werk von Herzog & de Meuron stellt Peggy Phelan »Bauen als Lebenstrieb« und »Architektur als Wiederholung« in einen unmittelbaren Zusammenhang. Nach Phelans Auffassung kommt »jeder Bau und jede unserer Handlungen zustande (oder nicht) in einem andauernden Austausch zwischen (endlosen) Wiederholungen. Sie sind die Leistung, wodurch wir die Existenz von Architektur – ebenso wie unsere eigene – aushandeln.«
Sollte also der alte chinesische Musiker, der seiner wertvollen Geige von früh bis spät nur einen einzigen Ton entlockte, vielleicht doch Recht gehabt haben? In der Tat dürfte Monotonie, produktiv eingesetzt, zumindest in der Lage sein, auf etwas Wesentliches zu verweisen, nämlich auf die »slow architecture«, eine »langsame« oder stille Architektur also, die sich dem schnellen Verschleiß kurzzeitig aufflackernder Bilder ebenso entzieht wie dem »weißen Rauschen« spektakulärer Investorengesten. •
Der Autor ist Professor für Baugeschichte. Von 1990–94 war er Leiter des Instituts für Baugeschichte der Kunstakademie Stuttgart. Seit 1994 leitet er das Institut für Architekturgeschichte und Architekturtheorie an der Bergischen Universität Wuppertal.
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