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Was die Stadt am Leben hält

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Was die Stadt am Leben hält

Es bedarf vieler, sehr unterschiedlicher und häufig im Verborgenen reibungslos funktionierender Infrastruktursysteme, um das tägliche Funktionieren des Organismus Stadt zu ermöglichen und einer Vielzahl unterschiedlichster Bauten, in denen diese Funktionen untergebracht werden. Ob groß (Kläranlagen oder Elektrizitätswerke) oder klein (etwa öffentliche Toilettenanlagen) – meist werden diese Objekte heute aus der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet. Sie sind einfach da. Oftmals an den Rändern der Städte situiert, wurde an ihre Gestaltung in den letzten Jahrzehnten nur selten ein architektonischer Anspruch gestellt. Das war nicht immer so.

In der Zeit rasanten Stadtwachstums – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts –, als sich in vielen europäischen Städten ihre meist heute noch gültige Grundstruktur ausbildete, waren Bauten der technischen Infrastruktur häufig einprägsame »Landmarks« im städtischen Gefüge: Wassertürme, große Gasbehälter, Straßenbahnremisen aber auch die Stationsgebäude der öffentlichen Verkehrsmittel wurden als weithin sichtbare Objekte des technischen Fortschritts prägnant gestaltet. Es entstand eine eigene Ästhetik dieser Nutzobjekte – die »Schönheit des Zweckmäßigen« nannte es der Kunsthistoriker Adolf Behne 1923. Mit den Jahren gingen diese Gestaltungsambitionen verloren und die Objekte wurden meist als reine Funktionsbauten ohne ästhetischen Anspruch errichtet.
In den letzten Jahren lässt sich eine Trendumkehr erkennen. Vielerorts werden Einrichtungen der städtischen Infrastruktur wieder verstärkt als identitätsstiftende Bauten der Stadttopografie gesehen und gelungene städtebauliche, architektonische und landschaftsgestaltende Lösungen als eine Bereicherung für das urbane Leben verstanden. Diese Beispiele gilt es vor den Vorhang zu holen, denn es ist sowohl ein Zeichen für die Qualität von Kommunen als auch für die Qualität innerhalb dieser, wenn sie für die Gestaltung »notwendiger« Bauten die gleiche Aufmerksamkeit und Sorgfalt aufwenden wie für ungleich öffentlichkeitswirksamere Repräsentationsobjekte.
Infrastrukturbauten sind meist durch das Spannungsverhältnis zwischen funktional-ingenieurtechnischen Anforderungen und gestalterischen Ansprüchen bestimmt. Im Dialog und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Professionen können Bauten von hoher Funktionalität und gleichzeitig großer Ästhetik entstehen. Objekte, die selbstbewusst ihre Funktion offenbaren und dabei mit großem architektonischen Können gestaltet sind.
Die Bandbreite der Bauaufgaben ist enorm. Sie reicht von primär technischen Baulichkeiten, etwa Kläranlagen, Kanalbauten, Pumpstationen, Elektrizitäts- und Gaswerken, über Objekte, die technische Anforderungen mit Aufenthaltsqualitäten für die Mitarbeiter verbinden, wie Feuerwachen, Rettungsstationen, Stützpunkte für Stadtgartenämter oder Müllsammelplätze bis hin zu Einrichtungen, die von vielen Menschen frequentiert werden – wie U-Bahnstationen, Bahnhöfe, Stadien, Sportstätten oder Stadthallen.
Gemeinsame Nenner all dieser Bauaufgaben sind die Sicherung und die Wahrung des Gemeinwohls. Sie dienen den Bewohnern und Besuchern der Städte als selbstverständliche Basis urbanen Lebens. Meist ist man als Konsument nur mit den durch sie bereitgestellten Produkten und Dienstleistungen konfrontiert – dem Wasser, das aus der Leitung kommt, den beleuchteten und gereinigten Straßen, den gewarteten öffentlichen Verkehrsmitteln sowie den Blumen und Pflanzen in den städtischen Park- und Grünanlagen. Darüber hinaus sind es – meist – Einrichtungen, die dem unmittelbaren Einflussbereich der kommunalen Verwaltungen unterstehen. In der Gründerzeit wurden alle Einrichtungen, die für das Funktionieren und das Wachstum von Städten notwendig waren, von der öffentlichen Hand übernommen. Dafür waren neben Rationalisierungsbestrebungen hauptsächlich hygienische Überlegungen ausschlaggebend: das Bemühen um gesunde, geruchsfreie und saubere Städte. Unter diesem Aspekt wurden Kanäle, Wasserleitungen, Spitäler, aber auch öffentliche Toiletten und die an die Ränder der Städte verlagerten großen Friedhöfe geplant und errichtet.
Über viele Jahrzehnte blieben diese Aufgaben und damit auch die entsprechenden Bauten Kernkompetenz städtischer Behörden. In letzter Zeit lässt sich vielerorts jedoch die Tendenz zur Auslagerung an private, beziehungsweise halböffentliche Gesellschaften feststellen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn weiterhin der öffentliche Auftrag und die Versorgung der Gesamtbevölkerung mit grundlegenden Bedürfnissen im Vordergrund stehen. Leider ist unter den neuen, privatwirtschaftlichen Prämissen jedoch häufig eine primäre Orientierung an kurzfristigen Profiten zu bemerken. Gerade für die allgemeine Versorgung – zu der neben der technischen Infrastruktur auch die Bereiche Bildung, Kultur und Sozialeinrichtungen zählen – muss die öffentliche Hand auch in Zukunft Sorge tragen. Selbst wenn sie dazu nicht unbedingt als Trägerinstitution auftreten muss, ist es ihre Verantwortung, die Rahmenbedingungen so festzulegen, dass Qualität und Leistungsvermögen weiterhin gewährleistet beziehungsweise verstärkt gefördert werden.
Gerade im Bereich des Nutzbaus sind vermehrt baukulturelle und gesamtgesellschaftliche Verantwortung einzufordern. Denn die Objekte im Dienst der Allgemeinheit werden zunehmend nicht mehr monofunktional errichtet, sondern auf mehrfache und auch parallele Nutzungen ausgerichtet. So etwa in Madrid, wo eine Müllverbrennungsanlage an einen öffentlichen Park angebunden ist oder auch beim Wankdorfstadion in Bern, das auf das Dach eines Einkaufs- und Kongresszentrums verlegt wurde. Ämter oder Bibliotheken werden mit Shopping und Unterhaltung gemischt und U-Bahnstationen zu Stadtteilzentren. Für diese Aufgaben, bei denen das Öffentliche mit dem Privaten eng verzahnt wird, gilt es, Standards zu definieren, die auch in Zukunft für hohe Qualität bürgen. B. F.
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