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Vor und hinter der Fassade

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Vor und hinter der Fassade

Durch die baugeschichtlichen Epochen hindurch hat die Fassade in ihrer Ausprägung viele Wandlungen erfahren. Doch eines hat sich nicht verändert: Sie kann nie losgelöst betrachtet werden, sondern steht immer im stadträumlichen Zusammenhang. Wie hat sich die Bedeutung und die Wahrnehmung der Fassade über die Jahrhunderte verändert? – Unter anderem dieser Frage geht der folgende Beitrag nach.

Text: Klaus Thomas Edelmann

Rathaus, Kirche, Palast und Wohnhaus richteten einst ihre Schauseite zur Straße oder zum Platz. Die Fassade (lat. facies) bildete das gegliederte und reich geschmückte Gesicht des Hauses. In den Städten des Mittelalters und der Renaissance entwickelte gleichsam die ganze Stadt eine gemeinsame Fassade: Räumliche Abfolgen, Blickbeziehungen, bauliche Hervorhebungen waren das Resultat strenger Regeln, die von den Baumeistern und ihren Auftraggebern mal befolgt, dann wieder spielerisch außer Kraft gesetzt wurden. Das Resultat, homogene und spannungsreiche Stadtlandschaften wie in den toskanischen Stadtrepubliken, geistert noch heute als architektonisches Vorbild in unseren Köpfen umher. An Rathaus, Kirche, Palast und Wohnhaus wurde beständig weitergebaut. Es entstand ein Stilmix verschiedener Jahrhunderte, bei dem sich Bauelemente durchdringen und überlagern. Die Fassade zeigte nicht nur die baulichen Schichtungen verschiedener Epochen, an ihr ließ sich die Geschichte eines Gebäudes ablesen. In Deutschland versuchten nach der Reichsgründung von 1871 die prosperierenden Städte diesen Stilmix für die Fassaden riesiger Neubaugebiete einzufangen und fortzuführen. Erstmals prägte Retro-Design, also die unzeitgemäße gestalterische Rückschau in vermeintlich bessere Zeiten die Fassaden der Gegenwart. Zeitgleich schlägt Georges-Eugène Baron Haussmann Schneisen durch das mittelalterliche Paris, die Boulevards lassen ein letztes Mal die Idee der klassischen Fassade aufleben. Zu Rathaus, Kirche und Wohnhaus treten in rascher Folge neue Bautypen hinzu: Fabrik, Kontorhaus und vielerlei Verwahranstalten.
Eingriff Spätestens mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich das alte Modell der Stadt überlebt, als immer mehr Landbewohner in die engen mittelalterlichen Innenstädte drängten und auf engstem Raum lebten. Die neuen Fabriken siedelten sich außerhalb der Stadt an, oft viel zu nah an den Wohnhäusern, deren Fassaden sie mit Abgasen schwärzten. Die alte Stadt schien den modernen Erneuerern obsolet geworden;iIhre Strukturen überholt und gefährlich. Mit ihr bröckelt auch die Fassade. Die Maßstäblichkeit der alten Stadt wird provokativ gesprengt. Die Moderne erklärt den massiven Eingriff in Bild und Struktur der Stadt zum festen Bestandteil ihrer Agenda.
Adolf Loos muss 1910 noch einen Baustopp hinnehmen, bevor sein Haus am Michaelerplatz in Wien fertig gestellt werden konnte, nur weil es auf den bis dahin üblichen Bauschmuck verzichtete. Die »zu einfache Bauweise« sei Schuld am Niedergang des Bildhauergewerbes, war einer der harmloseren Vorwürfe an den Architekten. Mit dem Projekt gebliebenen Glashochhaus an der Berliner Friedrichstraße 1921 löste Ludwig Mies van der Rohe die Fassade als Schauseite auf. An ihre Stelle trat der Bau als durchsichtige Skulptur, als Hülle, dessen Schmuck sich verflüchtigt hat. Ein allseitig reduziertes Monument, das die Gegenwart feierte. Zugleich zelebrierte der Architekt die neue Welt der Angestellten. Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als Mies van der Rohes Glashaus-Vision zum Standard-Typus der Moderne geworden war, beschrieb der amerikanische Sozialwissenschaftler Richard Sennett dessen Ambivalenz: »Die ganz aus Glas bestehenden, nur von dünnen Stahlstreben unterbrochenen Wände gestatten es, Innen und Außen eines Gebäudes fast bis zur Ununterscheidbarkeit zu verwischen. (…) In diesem Konzept verschränken sich eine Ästhetik der Sichtbarkeit und die gesellschaftliche Isolation.«
Das Transparenz-Versprechen der Moderne wird bei Sennett zur »Isolation inmitten von Sichtbarkeit.« Dabei ist die Transparenz nur eine technische Errungenschaft, die den traditionellen Umgang mit der Fassade radikal verändern wird: Die Vorhang-Fassade, wie sie Walter Gropius 1911 erstmals beim Fagus-Werk in Alfeld realisierte, schaffte Spielraum, um Bauköper und Hülle konstruktiv zu entkoppeln. Von nun an war beides möglich: Ein Bauen aus der Funktion heraus und eines, das die Wirkung der Fassade in den Vordergrund stellte.
Vorerst verloren die Fassade weiter an Bedeutung, zugunsten einer geradezu metaphorischen Ausformung des gesamten Baukörpers. Bei Le Corbusier wird das Haus zum weißen Dampfer mit Reling und Bullaugen. Noch waren akademische Traditionen in den Köpfen der praktizierenden Architekten präsent. Noch war der Verzicht auf Ornament tatsächlich eine Reduktion überkommener Entwurfsvorstellungen auf ihren zeitgenössischen Kern.
Alt gegen Neu Ob die neu gebauten Häuser nach dem Zweiten Weltkrieg altertümliche oder moderne Fassaden bekommen sollten, darum entbrannte ein Kampf. Wiederaufbau oder Neubau: Im »richtigen Sinne bester Tradition« konzipierte in Frankfurt am Main Werner Hebebrand, für kurze Zeit Leiter des Stadtplanungsamtes, den Plan, die alte mit der neuen Stadt harmonisch zu verbinden, denn auch dazu taugten die Mittel der Moderne. Die zum Teil unzerstörten Sockelgeschosse der zerbombten und ausgebrannten Frankfurter Fachwerkhäuser wollte Hebebrand erhalten und »senkrecht dazu oben darüber, auf Stützen stehend und in die richtige Besonnungslage gebracht, viergeschossige Wohnzeilen in neuzeitlicher Bauweise als innerstädtische Wohnungen für Großstädter« schaffen. Seine »kulissenförmig angeordneten Scheiben-Wohnblocks« blieben Projekt. Modern oder historisch, Mischformen oder puristische Konzepte: Der Streit um die richtige Fassade, die richtige Hülle und Außenseite zeitgenössischen Bauens hält bis heute an.
Das Terrain, das Hebebrand beplante, steht heute wieder im Zentrum der Debatte. Völlig unproportional ragt seit Mitte der siebziger Jahre das Technische Rathaus (Bartsch, Thürwächter, Weber) mit seiner Waschbeton-Oberfläche und den technoiden Brise-Soleils aus der Kompromiss-Architektur der Umgebung heraus. Hoch verschuldet und zugleich von wirtschaftlicher Dynamik getrieben, will sich die Stadt ihres Verwaltungsbaus entledigen. Das Büro KSP Engel und Zimmermann entwickelte einen Plan für die neue Bebauung des Restareals, das seit 1984 von der Nachschöpfung einer Fachwerkhaus-Front dominiert wird, der »Römerberg-Ostzeile«. Prompt kamen Diskussionen um den Bau weiterer Fachwerkhäuser auf, unabhängig von historischen Fakten oder Standorten in der einstigen Altstadt. Wie schon 1984 befeuert eine populistische Stadtregierung aus CDU und SPD den Retro-Wahn. Diskussionsveranstaltungen, Zeitungskommentare und die Stimmungslage führten dazu, dass KSP Engel und Zimmermann ihre Entwürfe überarbeiteten. Die großen, streng gegliederten Baukörper wurden nun zu gefälligen Einzelhäuschen im Stil einer Kreissparkasse der siebziger Jahre weiterentwickelt, doch der Fachwerk-Fraktion geht dies noch lange nicht weit genug.
Hier, wie auch andernorts, wenn es ums Rekonstruieren alter Ansichten geht, tritt eine Vorstellung von Fassade zutage, die auf der Entkoppelung von Inhalt und Erscheinungsform, also höchst modernen Errungenschaften basiert. Statt zunächst einmal Struktur und Raumprogramm, Gebäudegrößen und Inhalte zu klären, soll bei den Stadtbild-Rekonstrukteuren zuerst das Aussehen der Fassade bestimmt werden, alles andere hat sich ihm unterzuordnen.
Bildretusche Frankfurts Technisches Rathaus war zu Zeiten seiner Entstehung eine Hochburg der technokratischen Stadtpolitik. Hier wurde der Abriss historischer Stadtteile mit Vehemenz betrieben, historische Bausubstanz hatte keine Chance, bis sich die studentische Protestgeneration und Bürgerinitiativen zur Wehr setzten. Ihr Erfolg darf, zumindest in Frankfurt, als zweifelhaft gelten. Denn seit den achtziger Jahren herrscht hier ein »Fassadismus« wie er in dieser Radikalität in Europa nur in Brüssel oder Paris bekannt ist. Der Fassadismus will das äußerliche historische Stadtbild schonen und projiziert das Konzept der Moderne, außen und innen zu entkoppeln, nun sogar auf die historische Bausubstanz. Damit sind alle Bauten Verfügungsmasse, solange nur die Fassade erhalten bleibt. Preiswerter, und daher nicht minder beliebt, ist die umgekehrte Variante: Die Struktur eine Gebäudes bleibt bestehen, die Fassade wird aktuellen Notwendigkeiten angepasst.
Der Notwendigkeiten gibt es viele: Die Moderne hat ihre Bauten mitunter nicht nur aussehen lassen als stünden sie an warmen Ausflugsorten, sie hat sie auch entsprechend schlecht gedämmt. Steigende Energiekosten, aber auch die Abweichung von aktuellen Ausstattungsstandards erzwingen die Modernisierung, die sich meist als gestalterische Radikalkur auswirkt. Auch das um sich greifende Stadtmarketing fordert seinen Tribut. Städte wie Hamburg und Berlin konkurrieren nicht nur um den Firmensitz von Bahn- und Medienkonzernen. Auch innerhalb der Städte schaffen Business Improvement Districts künftig neuartige Konkurrenzbeziehungen. Immer stärker beschleunigt sich in den Boomstädten der Verwertungszwang der besten Lagen. Und immer weniger wissen Architekten und Investoren, welche Inhalte hinter den Fassaden ihrer schönen neuen Bauten wohl Bestand haben werden.
Ganze Bautypen wie das Bürohaus scheinen derzeit gefährdet, denn die Digitalisierung des Dienstleistungssektors hat gerade erst begonnen, dem Unternehmensumbau der Fusionen und Arbeitsplatzverlagerungen wird der Stadtumbau folgen.
Wiederum in Frankfurt ersteht derzeit »Frankfurt Hoch Vier«. An der Zeil, einstmals Deutschlands umsatzstärkster Einzelhandelsstraße, wächst ein Komplex für unterhaltsames Shoppen, Wohnen, Entspannen und Logieren aus dem Boden. Die Konsumtempel der Wirtschaftswunderjahre verschwinden nach mehrmaligen Fassaden-Kuren. Von Massimiliano Fuksas stammt eine »Landmark« mitten in der Stadt, das Hotel-Hochhaus mit viergeschossigem Verteilergeschoss für die gesamte Anlage. Auch das kriegszerstörte Palais Thurn und Taxis darf in neuer Pracht wiedererstehen, denn es spielt im Mix der Fassaden eine tragende Rolle.
Das Ende der Gegenwart Noch immer prägt das Bild einer organisch gewachsenen Gemeinde, die beinahe naturwüchsig entstanden ist, unser naives Ideal von der alten Stadt. Wollten wir dieses Ideal nicht nur postulieren, sondern praktizieren, so würden wir Bauten aus allen Epochen mit mehr Respekt begegnen. Ihre Fassaden sind nicht banale, ablösbare Hüllen, die sich im Handumdrehen auswechseln lassen, ohne dabei Proportion und Maß des ganzen Gebäudes zu beschädigen. Wie Untote stehen entkernte Häuser, neu ausgebaut und mit herausgeputzten alten Fassaden in der Gegend herum. Wann wird eine Abrissbirne sie erlösen? Peter Conradi, der einstige Präsident der Bundesarchitektenkammer, plädiert für einen überlegten Umgang mit historischer Bausubstanz: »Es ist nicht alles gut, nur weil es alt ist.«
Um die Wende zum Jahr 2000 etablierte sich eine Strömung, die der Moderne den boshaften Eingriffscharakter zu nehmen schien. Die Bauten der Zukunft, versprach sie, seien bald entmaterialisiert. Übrig blieben Projektionsflächen für allerlei mediale Inszenierungen. Shigeru Ban schuf 1995 mit dem »Curtain Wall House« in Tokio ein Gebäude, bei dem Innenraum des Hauses und Außenraum der Stadt nur von einem Vorhang getrennt scheinen. Tatsächlich lassen sich Garage, Wohn- und Schlafräume hinter beweglichen Glaswänden schützen. Doch für das Lebensgefühl von Offenheit, Austausch und Grenzenlosigkeit, das in der kurzen Phase vor der Jahrtausendwende bis zum 11. September 2001 herrschte, gibt es kein schöneres Architektur-Beispiel als die wehenden »Curtain Walls«. Aus der Vision des Bauens, fast ohne Materie entwickelte die Werbung einen schalen Abklatsch: Riesige Fassadenbanner, die inzwischen ganze Teile einer Stadt verhüllen. Je länger die Fassadensanierung dauert, desto länger spielt das Werbebanner Geld ein. Seither wird überall saniert.
Anziehungspunkte Hans Kollhoff, der sich flüssig eines Vokabulars vergangener Bauepochen bedient, veranstaltete an der ETH Zürich erstmals 1993 sein Seminar »Experimentelles Entwerfen mit Industrieprodukten«. Die unbehandelte Oberfläche sei im Verschwinden begriffen, konstatierte er. Beschichtungen sorgten dafür, »dass wir in zunehmendem Maße in einer farbüberzogenen, entmaterialisierten Welt« lebten. Wie man mit der Katalogware der Bauindustrie fantasievoll und qualitätsbewusst umgehen kann, demonstriert jeder der sechs Bände seiner Seminar-Reihe.
»Es gibt Gebäude,« sagt Jaques Herzog, »bei denen man nur die Fassade wirklich neuartig machen kann.« Aus dem Fassadenmaterial pflegen die beiden Basler Architekten von Weltrang, Funken zu schlagen. Die Münchner Allianz-Arena, ein puristischer Zweckbau reinsten Wassers, bekommt durch ihre farblich pulsierende Fassade Anziehungskraft. Rautenförmige hinterlüftete Kissen aus dem Kunststoff ETFE (Poly Ethylen-Tetra-Fluorethylen) glühen im Abendlicht in den Vereinsfarben der Betreiber-Clubs Bayern München (rot) oder 1860 München (blau). Auf dem riesigen Kaispeicher A im Hamburger Hafen entsteht eine neue Konzerthalle, mit Hotel und Wohnungen, ein ungewöhnlich massives Monument. Über der backsteinverblendeten Betonstruktur, die Werner Kallmorgen in den sechziger Jahren schuf, setzen Herzog & de Meuron ein mehr als doppelt so hohes Gebilde, dessen glänzende Fassaden Fernwirkung entfalten und Hamburg kulturell erleuchten sollen. Auf ein Material scheinen die beiden Schweizer keineswegs festgelegt. Mal verwenden sie hinterleuchtete Membranen, dann wieder, wie bei der Dominus Winery in Napa Valley, Stahlkörbe, gefüllt mit Basaltsteinen. Fassaden sind bei Herzog & de Meuron stets Sinnstifter, emotionale Anziehungspunkte, die schon im Vorfeld der Vermarktung positive Identifikationsgefühle erzeugen. Architektenkollege Rafael Moneo kritisierte gar in der Neuen Zürcher Zeitung, bei ihren neueren Bauten hätten sie sich auf »Fassadenstrategien« wie Flüssigkristall, Siebdruck und kinetische Effekte beschränkt. Wobei das Zutagetreten der Materie jene condición sustancia verliere, die Moneo an den frühen Entwürfen bewunderte.
Ob Fassadismus oder Fassadenstrategie: Die Zukunft der westlichen Stadt liegt irgendwo zwischen Boom und Schrumpfung, Erneuerung und Rückbau. Es ist die Ungewissheit über das Dahinter, was die Fassade heute so bedeutend macht. K. Th. E.
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