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Vom kurfürstlichen Park zum Guerilla-Garten

Formen und Nutzung urbaner Grün- und Freiflächen
Vom kurfürstlichen Park zum Guerilla-Garten

Die Nutzung städtischer Freiräume und Gestaltung zu öffentlichen Parkanlagen hat eine mehr als zweihundert Jahre alte Geschichte. Wie hat sich Grün im urbanen Raum bislang entwickelt, welche Formen öffentlicher Grünräume gibt es? Eine Tendenz sind von Städtern regelrecht »eroberte« Brachen und Freiflächen, die großes Potenzial für eine neue Art öffentlichen Grüns in der Stadt besitzen.

{Text: Claudia Moll

Seit der französischen Revolution gibt es in Deutschland von Bürgern benutzbare Grünflächen: Der Bayerische Kurfürst Karl Theodor machte 1789, beeindruckt von den Geschehnissen in Paris, einen ursprünglich für Militärangehörige geplanten Garten in den Münchner Isarauen für alle frei zugänglich. Dabei handelt es sich um den heute weit über Münchens Stadtgrenzen bekannten Englischen Garten, dessen Erweiterung Friedrich Ludwig von Sckell (1750–1823) um etwa 1800 gestaltete. Im 19. Jahrhundert, als die Lebensqualität in den Ballungszentren durch die zunehmende Industrialisierung sank, wurden die Forderungen nach »Grünen Lungen« immer lauter. Es entstanden Gartenstädte, in denen Grünflächen und -korridore von Beginn an eingeplant waren. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollten Selbstversorgergärten für jedermann – gefordert vom Gartenreformer Leberecht Migge (1881–1935) – die Existenz von Arbeiterfamilien garantieren. Im Laufe von etwas mehr als hundert Jahren gewann die Bedeutung öffentlicher Grünflächen gegenüber repräsentativer Gärten und Parks immer mehr an Gewicht.
Der endgültige Schritt weg von der Repräsentation, hin zum demokratisch nutzbaren Grün geschah mit dem Bau des Münchner Olympiaparks, der zwischen 1968 und 1972 entstand. Günther Grzimek (1915–96) schuf, in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Behnisch, einen Park, der nicht nur von den Nutzern mit geplant, sondern von ihnen auch vollständig in Besitz genommen werden sollte. Unter dem Motto »die Besitzergreifung des Rasens« versinnbildlichte dieser Park die neue Demokratie Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute, mehr als dreißig Jahre danach, kann die These gewagt werden, dass Grün als weicher Standortfaktor wahrgenommen wird und dass die Landschaftsarchitektur zunehmend an Bedeutung gewinnt. Bei heute neu entstehenden Quartieren – meist bedingt durch den Rückzug der Industrie aus innerstädtischen Bereichen – eröffnet sich Landschaftsarchitekten ein ganz neues Arbeitsfeld. Die zu den Erweiterungen gehörenden Grünflächen werden oft schon parallel zur Bebauung geplant und, teilweise sogar bevor diese endgültig steht, bereits eingeweiht. Hier kann Landschaftsarchitektur zum Experimentierfeld werden: Tradierten Bildern von Parks können Planer neue, ungewöhnliche entgegenstellen.
Die Eroberung der Brachen
Grünraum entsteht dort, wo Menschen ihn fordern. So könnte man die aktuelle Tendenz zur Besitzergreifung möglicher Freiflächen umschreiben. Zum Beispiel beim alten Flugplatz im Grüngürtel Frankfurts. Die bis 1992 von den amerikanischen Streitkräften als Hubschrauberlandeplatz genutzte, rund 22 000 Quadratmeter große Fläche in den Niddaauen, eroberten nach dem Wegzug des Militärs zuerst Ruderalpflanzen und alle möglichen Tierchen. Kurz danach kamen die Erholungssuchenden, denen der Ort ohne definierte Nutzung gefiel. Hier konnte man tun und lassen was man wollte: Start- und Landebahn wurden zum Übungsfeld für Inlineskater und Radfahrer, in den angrenzenden verwilderten Grünflächen konnten Lager- feuer entfacht und der Tag genossen werden. Bald traten die Naturschützer auf den Plan und forderten eine komplette Unterschutzstellung des Areals – die angesiedelte Flora und Fauna galt mittlerweile als wertvoll. Investoren hingegen hätten das Gebiet gerne überbaut. Doch die Stadt Frankfurt entschied, den ehemaligen Flugplatz in einen öffentlichen Park zu verwandeln. Jedoch mit der Prämisse, dass Erstellungs- und Unterhaltskosten tief gehalten werden und die naturschützerisch wertvollen Randgebiete möglichst sich selbst überlassen bleiben. Die neuen Flächen sollten als Ausgleichsflächen dienen und renaturiert werden. Aus diesen Vorgaben entstand ein sehr raues und pragmatisches Projekt: Nach den Vorstellungen von Gnüchtel Triebswetter Landschaftsarchitekten wurden die versiegelten Flächen teilweise aufgerissen, der Beton kam jedoch nur teilweise als Abfall auf die Deponie, der größte Anteil diente im Park als Gestaltungselement (s. links). Gebrochen oder geschreddert und nach unterschiedlichen Größen sortiert, wurde er in Feldern und Streifen angelegt und wird im Laufe der Zeit von der Vegetation überwuchert. Als Pfade, die sich im Grünen verlieren, oder als breite Bahnen blieb der Belag teils bestehen und kann so von den Besuchern vielfältig genutzt werden. Ein dynamischer Park entstand, ein Park, dessen ehemalige Nutzung nach wie vor ablesbar ist und in dem die Rauheit des Ortes spürbar bleibt.
Auch die schrumpfenden Städte Ostdeutschlands haben für Grünflächen nur wenig Geld zur Verfügung. Doch gerade diese werten die sich entleerenden Quartiere auf und tragen mit dazu bei, den Abwärtstrend zu stoppen. »Gestattungsvereinbarung« heißt das Handlungsinstrument, mit dem die Stadt Leipzig darauf reagiert: Eigentümern von unbebauten, innerstädtischen Baufeldern erlässt sie die Grundsteuer und gestaltet die Brache als öffentlich nutzbare Grünfläche. Der Eigentümer seinerseits stimmt dieser öffentlichen Nutzung für mindestens zehn Jahre zu und kümmert sich um die Pflege, das Baurecht bleibt erhalten. So konnte in Leipzig in den vergangenen Jahren ein dynamisches Freiflächensystem entstehen, mit heute rund 182 000 Quadratme-tern. Im Vordergrund steht hier nicht ›
› die Gestaltung dieser Orte, sondern die Wandlung ihres Gesichts: Sie sind nicht mehr Brache, sondern eine Art Park und wirken für die Bewohner problembelasteter Viertel identitätsstiftend und integrierend.
Mittlerweile ist man bei diesen durchweg erfolgreichen Anstrengungen aber zunehmend auf Initiative von Privaten angewiesen: Die Grundstückseigentümer kümmern sich oft nicht um die Pflege der Brachen und so steigt, bei der wachsenden Zahl an Grünflächen, für die Stadt der Aufwand für deren Unterhalt. Gleichzeitig nimmt das Geld, das in den öffentlichen Kassen dafür zur Verfügung steht, ab. So gewinnen ehrenamtliche Arbeit, Patenschaften und privates Engagement vermehrt an Bedeutung. Positives Beispiel dafür sind die Nachbarschaftsgärten an der Josephstraße im Quartier Lindenau im Westen Leipzigs. Unter Federführung des Stadtteilvereins konnten 2004 rund 5000 Quadratmeter brachliegende Fläche zu individuell gestalteten und genutzten Gärten für die Anwohner gewandelt werden, bis heute ist die Fläche bereits auf 7000 Quadratmeter angestiegen.
Dem Projekt Garten Rosa Rose in Berlin Friedrichshain war nicht das gleiche Glück beschert. Auch hier ging es um brachliegende Grundstücke inmitten eines mit Grünflächen eher schlecht versorgten Stadtteils. Im Mai 2004 fanden sich Anwohner zusammen, die den unattraktiven Ort zum blühenden Garten wandeln wollten. Sie entsorgten den Müll, der sich auf den rund 2000 Quadratmetern im Laufe der Zeit angesammelt hatte, säten eine Wiese, legten Gemüse- und Blumenbeete an und nutzten den Ort fortan als offenen Raum für alle. Die Initiative wurde zwar begrüßt und von Senat und Bezirk als gelungenes Beispiel für Integration gelobt. Dennoch wurde das Gelände im vergangenen Jahr versteigert und dieses Frühjahr von den neuen Besitzern – einer Immobilienfirma, die familienfreundliche Wohnbauten verspricht – unter Polizeischutz zerstört. Ein Randbereich von knapp dreihundert Quadratmetern blieb vom Garten übrig. Die Initiatoren der Rosa Rose versuchen zurzeit mit Hilfe von Spenden, das Gelände zu kaufen.
Halblegal wie dieser Garten entstehen heutzutage in den meisten dichten Städten Freiräume. Sie sind eine Art des »Guerilla Gardening«, eine Protestform gegen die Kommerzialisierung der Städte, die von Großbritannien nach New York und von dort zurück in europäische Metropolen gelangte. In einer ersten Phase beschränkten sich die Guerilla-Gärtner darauf, illegal Blumensamen auf öffentlichen Flächen einzubringen. Diese wandelten sich in bunt blühende Pflanzen, die einen Kontrapunkt zur Uniformisierung unserer Umwelt setzten. Mittlerweile hat sich Guerilla-Gardening zum urbanen Gärtnern oder zu urbaner Landwirtschaft weiterentwickelt und möchte so eine Verschönerung trister Innenstädte erreichen. Der Garten Rosa Rose verstand sich als Zeichen gegen den »globalen Ausverkauf Berlins«.
Atmosphärische Strandkulisse
Andernorts findet die Inbesitznahme des öffentlichen Raums schnell offizielle Partner. Bekanntestes Beispiel dafür sind die von der Stadtverwaltung Paris angelegten künstlichen Strände, wie sie in der Stadt an der Seine diesen Sommer bereits zum siebten Mal anzutreffen sind: Die an den Fluss grenzende Schnellstraße wird abschnittsweise gesperrt, einzelne Rasenflächen mit Sand überschüttet und auf dem Rathausplatz entstehen Beachvolleyballfelder. Berlin zog mit seinen Stadtstränden nach, der Pressestrand in unmittelbarer Nähe des Bundestags erlebt dieses Jahr bereits seinen fünften Sommer. Heute ist er das Projekt einer Agentur, deren Ziel es ist, Menschen an ungewöhnlichen Orten zusammenzubringen. Die Idee zieht ihre Kreise: In fast allen größeren deutschen Städten kann heutzutage, tatkräftig unterstützt von finanziell potenten Werbepartner, sommers der Feierabenddrink in Strandambiente genossen werden.
Ob politisch motiviert oder einfach nur zum Zweck, in der Stadt Natur zu genießen: Eine direkte Eroberung städtischer Freiräume »von unten«, durch die Nutzer selbst, kann immer häufiger beobachtet werden. Immer mehr Urbanisten wünschen sich wirklich »freie« Freiräume – Orte ohne vorgegebene Nutzung und vorgefasstes Verhaltensschema, »offene« Räume. Auftraggeber wie Planer sollten diese Tendenz ernst nehmen. Sie lässt sich für alle gewinnbringend nutzen. •
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