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Themenbau und Inhaltsraum

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Themenbau und Inhaltsraum

Wuchernde Gewerbe-Agglomerationen sind an den Rändern nahezu aller mitteleuropäischen Gemeinden ein bedeutendes Problem der Raumordnung, des Städtebaus, der Verkehrsplanung und der Architektur. Handeln ist dringend geboten, jedoch fehlt es an verträglichen Konzepten, wie mit steigendem Verwertungsdruck umgegangen werden soll. Im Tiroler Inntal wollen nun zwei Projekte modellhaft zeigen, wie es zukünftig anders gehen könnte.

Die beiden Tiroler Bauprojekte Stublerfeld in Terfens und Unternehmerzentrum Aldrans-Lans-Sistrans, beide kurz vor Baubeginn, sollen außergewöhnliche Architekturqualität hervorbringen – soweit zum Glück nicht ganz singulär. Schon ungewöhnlicher ist, dass es sich um Gewerbeparks handelt, somit um Zonen, die bis dato eher unangenehm auffallen. Besonders eindringlich zeigen beide Projekte, dass Gestaltqualität auch Rahmenbedingungen weit jenseits der architektonischen Gestaltung des Einzelobjektes braucht.

Die Vorgeschichte reicht ins Jahr 2004. Gemäß Regierungserklärung des Tiroler Landeshauptmanns Herwig van Staa beschloß der Tiroler Landtag damals, einen breiten Diskussionsprozess über die Entwicklung Tirols in den nächsten zehn Jahren einzuleiten. Sowohl Fachleute verschiedener Sparten als auch interessierte Bürger wurden dazu in den letzten zwei Jahren gehört, Stärken und Schwächen benannt und Umrisse eines Arbeitsprogramms entwickelt, das bis Ende 2006 verbindlich werden soll. Unter dem Schlagwort »ZukunftsRaum Tirol« finden sich im zweiten Zwischenbericht von April dieses Jahres fast alle menschlichen Lebensbereiche; dennoch ist er in erster Linie ein Raumordnungsplan. Die Tiroler Wirtschaft soll ihre teilweise stark einseitige Ausrichtung auf den Tourismus verlassen, innovativer werden und stärker kooperieren.
Politische Gemeinden sollen ihre thematischen und inhaltlichen Vorteile gemeinsam – nicht gegeneinander, wie derzeit oft der Fall – in den mitteleuropäischen Standortwettbewerb um Betriebsansiedlungen, Arbeitsplätze und Kommunalsteuern einbringen.
Legistisch floss die Absicht 2005 in eine Novelle zur Tiroler Raumordnung, die kooperative Planungsverbände zwischen Gemeinden anregt und zu fördern verspricht. Bei beiden Projekten hat der Tiroler Bodenfonds die Grundstücke angekauft und gibt sie finanziell günstig, jedoch mit neuen Auflagen an Betriebe weiter.
Das erste Projekt erstreckt sich auf rund 44 000 Quadratmetern Grund in den Gemeinden Aldrans, Lans und Sistrans, östlich von Innsbruck, am Fuß des Skigebiets Patscherkofel, einer beliebten Wohnlage der Innsbrucker. Die Gemeinden wünschten Arbeitsplätze, hatten zunächst jedoch keine klare Zielrichtung. Die Projektentwickler Walter Peer (Baupraktiker) und Georg Schöffthaler (Wirtschaftsgeograf) aus dem Porr-Konzern entwickelten gemeinsam ein Analyse- und Evaluierungswerkzeug für Projektgebiete. Marktforschung, Analyse und Standortbewertung dieser so genannten OPE (Optimierte Projektentwicklung) fließen in knappe Entscheidungsempfehlungen, samt Masterplan, Maßnahmenkatalog und Kostenprognose ein. Der Bürgermeister, hier Baubehörde erster Instanz, gewinnt rational fundierte, räumliche Ziele für seine Gemeinde, einen Handlungsrahmen und Entscheidungssicherheit gegenüber – bisweilen nahezu erdrückenden – individuellen Wünschen einzelner Investoren.
Für Aldrans-Lans-Sistrans resümiert die OPE, dass sich ein hochwertiger, Know-how- und dienstleistungsintensiver Firmencluster bilden soll. Der architektonische Masterplan des Innsbrucker Architekten Johannes Wiesflecker dazu beschreitet gleichfalls innovative Wege, weitab trüber Einzelbauten auf Parzellenraster. Wiesflecker projektierte als Großform drei gefaltete, längs gestreckte Zeilen. Sie sollen ab diesem Sommer von einem Architektenpool den Bedürfnissen der Nutzer entsprechend in Bauabschnitten variabler Größe errichtet werden. Die Zeilen schmiegen sich mit begrünten Dächern an die hügelige Topografie und werden im Dialog mit der Landschaft die architektonische Identität des neuen Unternehmerzentrums prägen. Die Abkehr vom Parzellenraster ermöglicht den ungezwungenen Umgang mit den Baumassen; die verdichteten Zeilen in freien Geometrien bilden eine Art Rückgrat und schaffen eine markante Adresse für kreative Köpfe abseits traditioneller Handels- oder Handwerksformen. Eine der drei gekrümmten Zeilen wird Wohnungen enthalten; sie soll die Unternehmensbindung und Lebensqualität der zugezogenen, hochqualifizierten Mitarbeiter fördern. Dazwischen schärfen fünf orthogonale Punkthäuser für kleinere Büros die Lesbarkeit der künstlichen und natürlichen Strukturen.
Vor Ort ist beeindruckend, mit welchem Engagement nicht nur Architekt und Projektentwickler, sondern auch Politik und Behörden hinter diesem Modellprojekt stehen. Reinhard Huber vom Tiroler Bodenfonds spricht ganz klar von der Verantwortung auch der Wirtschaft für das Orts- und Landschaftsbild. Land Tirol und Stadt Innsbruck hätten in den letzten Jahren als Bauherren viel in gute Architektur investiert. Nun setze man einen Rahmen für die Freiheit des einzelnen Investors – kein leichter Balanceakt. Robert Ortner, Fachbereichsleiter für örtliche Raumplanung, stößt ins selbe Horn: Gewerbegebiete sollen sich räumlich stärker in ihr Umfeld integrieren, bis hin zu Infrastrukurleistungen für nahe gelegene Wohngebiete. Die Geschäftsstellen für Dorferneuerung hingegen gelten nicht gerade als Anwälte moderner Baukunst – außer in Tirol: Zeitgemäße Architektur sei Tiroler Dörfern zumutbar. Nikolaus Juen, Leiter der Dorferneuerung, spricht von einem »Bildungsprozess«. Projekte werden gemeinsam mit den Gemeinden entwickelt und sie müssen von einer Jury mit einem Überhang an örtlichen Laienpreisrichtern positv bewertet werden. Die Minderzahl der Fachpreisrichter in der Jury muss die Mehrzahl der Laienpreisrichter überzeugen.
In der Gemeinde Terfens nördlich von Innsbruck gelang dies für einen neuen Gewerbepark am Stublerfeld. Rund 42 000 Quadratmeter Grundfläche soll das siegreiche Projekt des Innsbrucker Architekten Daniel Nocker im Endausbau beanspruchen. Das Gelände liegt zwischen Autobahn, Bahntrasse und einem ortsprägenden Föhrenwald; rundum Wohngebiete und ein Bach. Nocker projektierte eine straffe Baustruktur, ost-west-linear entwickelt mit flexiblen Breiten und ansteigenden Bauhöhen zur Mitte hin. Niedrigere Bauten an den Rändern vermitteln zu neuen und bestehenden Wohnhäusern. Zwei Grünstreifen, die als freies Erholungsgebiet für alle dienen sollen, verweben das Areal mit seinem Umland. Hier soll eine starke Adresse für das Handwerk entstehen. Neu ist beim Leitprojekt Stublerfeld, dass sich alle Interessenten – gerechnet wird mit zwanzig Betrieben – nicht nur diesem Masterplan unterwerfen, sondern auch mit ihren Einzelprojekten einen Gestaltungsbeirat passieren müssen.
Architekt Johannes Wiesfleckers Erfahrung mit dem Leitprojekt Unternehmerzentrum der drei Gemeinden Aldrans-Lans-Sistrans floss durch seine Tätigkeiten als Berater des Wettbewerbsauslobers und als Jurymitglied in den Entwicklungsprozess in Terfens ein. Er spricht von einem erforderlichen »Themenstädtebau« und einer »Inhaltsraumordnung«. Wie verhalten sich innovative Unternehmen (in Aldrans), innovative Handwerker (in Terfens) im 21. Jahrhundert? Mehrwerteigenschaften über die minimale Funktionserfüllung hinaus sind zentrale Themen. Flexibilität, Innovation, Wechselbeziehungen, Veränderbarkeit sollen die Außen- und Innenräume dieser beiden Tiroler Leitprojekte deutlich mehr strukturieren als mitunter kleinliche, statische Vorschriften. Ihre Lerneffekte sollen in weitere Planungen einfließen. M. G.
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