1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

stachel im fleisch?

Allgemein
stachel im fleisch?

~Claas Gefroi

Wer Deutschlands erste private Lehranstalt für Architektur, die Academy for Architectural Culture (aac), betritt, ist überrascht: In der Planckstraße, mitten in Hamburgs quirligem Szenestadtteil Ottensen, hat man sich recht bescheiden, fast improvisiert, in Teilen einer alten Fabrikhalle eingerichtet. Zwischen dreißig und vierzig »hochbegabte Studenten«, die allesamt ihre Architekturausbildung bereits abgeschlossen haben, sitzen hier dicht gedrängt auf mehreren Ebenen, um in intensiven Blockkursen Architektur und Städtebau in Theorie und Praxis nach von Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan aufgestellten Maximen zu erlernen. Der Impuls zur Gründung der Akademie entstand aus der Unzufriedenheit der beiden über die Defizite in der deutschen Architektenausbildung. Vor allem das Entwerfen, also die »Fähigkeit, konzeptionell vom Ganzen ins Einzelne zu denken«, werde sträflich vernachlässigt. Weil sie nicht lernten, ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, Bezüge zu Ort, Kultur und Klima herzustellen, würden Studenten und Absolventen ästhetische Ikonen und vermeintlich avantgardistische Vorbilder nachahmen, ohne deren theoretischen Hintergrund zu kennen.
An der aac hingegen sollen die Eleven »angemessene Antworten für die Probleme der Umweltgestaltung finden«. Die erste Lehrzeit endete am 7. Oktober. In den fünf Wochen mussten die Studenten Entwurfsaufgaben in drei Kursen mit zugeordneten Leitthemen bewältigen: Im dreizehn Tage langen Teamkurs zum Thema Nachhaltigkeit galt es, Gebäude für Universitätscampi in Nord- und Südchina mit unterschiedlichen topografischen und klimatischen Bedingungen bis in die Details zu entwerfen. Für eine fünftägige Stegreifübung zur »Transformation der Tradition in die Moderne« war eine alternative Fassade für das von gmp geplante Parlamentsgebäude von Hanoi zu entwickeln; im zweiwöchigen Individualkurs über »Icon, Metapher, Identität« hatten die Teilnehmer ein Ost-West-Handelszentrum in der Hamburger HafenCity zu entwickeln.
Für die aac kann man sich nicht bewerben – man wird berufen. Die Teilnahme an den Kursen kostet die Studenten vorerst keinen Euro, denn der gesamte Betrieb wird von einer Stiftung getragen, die der Akademie mit einem Jahresetat von 400 000 Euro ausstattet. Die 32 Auserwählten teilten sich in zwei Meisterklassen à 16 Studenten, geleitet von von Gerkan und Marg. Für den Teamkurs wurden Vierergruppen gebildet, die aus deutschen, vietnamesischen und chinesischen Studenten bestanden, um den interkulturellen Dialog anzuregen und gemeinschaftliches Arbeiten zu erlernen. Während der fünf Wochen gab es eine ständige Betreuung durch fünf Tutoren, allesamt ehemalige Mitarbeiter oder Partner bei gmp. Das Verhältnis von Betreuern zu Studenten lag zwischen 1:6 und 1:10 – für staatliche Hochschulen eine wohl unerreichbare Quote. Für die Abschlussdiskussionen der Ergebnisse wurden zusätzlich u. a. Werner Sobek, Gesine Weinmiller und Dietmar Eberle als Visiting Professors eingeladen. Ein Begleitprogramm aus öffentlichen Vorträgen und Diskussionen ergänzte den Stundenplan.
Der Druck auf die Studenten muss immens gewesen sein: Allein die Anforderungen an den Entwurf im Teamkurs sind mit denen von Diplomarbeiten an Hochschulen vergleichbar. Bei der Abschlusspräsentation und Preisverleihung für die besten Arbeiten war jedermann erstaunt über die Intensität, mit der die Teilnehmer an ihren Beiträgen gearbeitet haben. Die Detaillierung sowie die professionelle Darstellung der Entwürfe war bestechend. Es gab eine ganze Reihe herausragender Arbeiten mit interessanten Konzepten zu besichtigen, die die Maximen der aac mit Inhalt füllten. Da war nichts Effekthascherisches, Modisches zu sehen, sondern disziplinierte, präzise Entwürfe, dem Kontext der Aufgabe verhaftet. Doch überraschenderweise – schließlich werden nur die Besten der Besten von der aac aufgenommen – gab es auch eine Reihe Arbeiten, die zwar brillant in der Darstellung waren, jedoch mit schwachen Entwurfsideen. Es ist zu vermuten, dass durch den Zeitdruck und der Forderung nach durchgearbeiteten Entwürfen die konzeptionelle Phase etwas zu kurz kam.
Das zeigte, dass in der gegenwärtigen Anfangsphase der aac noch nicht alles rund läuft. Man kann zudem die Frage stellen, welche Relevanz diese »einzigartige Zusatzausbildung« über die aac und das Büro gmp hinaus entwickelt. So sehr man die Kritik am verschulten Massenbetrieb der Universitäten teilen mag: Es wäre vielleicht effektiver gewesen, die mit der aac angestrebten Ziele im Rahmen einer staatlichen Hochschule zu verfolgen – die neu gegründete Hamburger HafenCity Universität (HCU), die bislang noch kein eindeutiges Profil entwickelte, hätte sich dafür angeboten. Es ist schade, dass dieser Weg den beiden Gründern zu mühevoll erschien: Man wolle sich mit der aac »der Bevormundung durch Ministerien und durch Studienpläne entledigen«, so Meinhard von Gerkan. Immerhin ist eine Kooperation mit der HCU zur Erlangung des Masters geplant, die dann auch die Prüfungen abnimmt. So ganz ist also noch nicht klar, welchen Weg die aac einschlagen wird: gmp-Nachwuchsförderanstalt, Elite-Akademie oder staatlich anerkannte Privathochschule? Doch das eigentlich Wichtige ist, dass es die aac mit ihrem hohen Anspruch überhaupt gibt: Sie könnte zum Stachel im Fleische der mediokren deutschen Architektur-Hochschulen werden.
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de