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Sonnenkirche

Pfarrzentrum St. Franziskus in Wels (A)
Sonnenkirche

Die neue Pfarre in Wels-Laahen folgt mit bescheiden wirkenden Mitteln und hohen Ansprüchen an Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit dem Denken des Heiligen Franziskus – er gilt in der katholischen Kirche als Patron der Umweltschützer und Ökologen.

The new parish in Wels-Laahen follows, with modest means and high demands concerning conservation of resources and sustainability, the teachings of St Francis; he is regarded within the Catholic Church as patron of environmentalists an ecologists.

Text: Klaus-Dieter Weiß
Fotos: Walter Ebenhofer, Klaus-Dieter Weiß
Als dynamischste Stadtkirche von Wels sorgt die beliebte »Sonnenkiche«, weitgehend im Passivhaus-Standard, für zahlreiche Überraschungen: architektonisch, energetisch und organisatorisch. Folgte der Fünfziger-Jahre-Bau der benachbarten Ursprungsgemeinde (1952–57, Franz J. Hörzing) noch dem klassischen Bild des vom Kirchturm dominierten Gemeindemittelpunkts mit Platz, Schule und Gasthof, liegt der Neubau (2003–05), erster Preis in einem geladenen Wettbewerb, wie eine Wallfahrtskirche mitten im Grünen, umgeben von Wiesen und Feldern zwischen Grünbach und Schleheiderbach. Die vier Meter breite und 13 Meter lange verglaste Lichtachse des Kirchenraums in der Südwestwand und im Dach öffnet sich zu Sonne, Mond, Sternen und Landschaft oder schließt den Raum mit Hilfe verfahrbarer Klima- oder Lichtsegel ab. Je nach gewünschter Stimmung oder den Erfordernissen der Klimatechnik.
Hinter den dichten Baumreihen der Wiesenränder und in Konkurrenz zu einem benachbarten Siloturm hatte das klassische Motiv Kirchturm ohnehin kaum eine Chance. Die Kirche zieht sich aus dem kunterbunten und leider auch in Österreich viel zu disparaten Multifunktionsgewebe der Peripherie mit Gewerbe, Bauernhof, Industrie, Schrebergarten, Geschosswohnung, Wohnidylle und amerikanischer Reklametafel zurück und gewinnt offenbar gerade daraus große Anziehungskraft. Solange ihr dieser Freiraum zwischen Flugplatz und Autobahnkreuz bleibt.
Mit nur 60 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Oberösterreichs verzeichnet Wels regelmäßig den höchsten regionalen Kaufkraftzuwachs. Die schnell zusammenwachsende Städteachse Linz-Wels gehört sogar – weithin unbemerkt – zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen Europas. Zentrale Funktionen wie der Eurocity-Bahnhof entstehen neu bzw. entwickeln sich aus dem Bestand bei laufendem Betrieb zu neuer Dimension und Komplexität – eine inzwischen quer durch fast alle Bauaufgaben nachgewiesene Spezialität der Architekten Luger & Maul. Im schnell ausufernden Norden der Stadt spaltete sich vor zehn Jahren von der Pfarre Wels-Vogelweide die neue Franz von Assisi gewidmete Seelsorgestelle Wels-Laahen ab. Von Anfang an war der 1998 mit viel Selbsthilfe und Engagement errichtete Ausgangsbau (Architekt: Georg Kirchweger) mit seinen beiden noch erkennbaren großen Flügeltoren vor dem inzwischen umgenutzten ehemaligen Kirchenraum als Grundstein für den schnell notwendigen Endausbau gedacht. Noch ist die Nahtstelle zwischen Alt- und Neubau am Verwitterungsgrad der nur um wenige Monate differierenden Lärchenholzfassade des zur großen Pfarrwiese hin orientierten Langbaus mit Büros, Wohnungen und Jugendräumen zu erkennen.
Feiern unter freiem Himmel Der ungewöhnliche Erfolg über die Pfarrgrenzen hinaus gibt dem Motor der Idee, Pfarrleiter Franz Schrittwieser, Diakon und ehemaliger Entwicklungshelfer in Zentralafrika, Recht. »Die Menschen kommen nicht zum Beten in die Kirche. Das können sie auch daheim tun. Die Menschen wollen Gemeinschaft erleben. Mich hat immer gestört, dass die Leute in den meisten Kirchen aufgefädelt wie in einem Autobus dasitzen.« Darum hat die Kirche schon in ihrer städtebaulichen Disposition den Charakter eines Versammlungs- und Festortes. Nach dem Kirchenbesuch gehen die Besucher auch nicht nach Hause, sondern tauschen sich im frei integrierbaren Eingangsfoyer mit Pfarrbuffet und angeschlossener Küche oder im als Außenfoyer nutzbaren, glasgedeckten Gelenk zwischen multifunktionalem Kirchenraum und Pfarrheim aus.
Der Zugang am Fuße des roten, 15 Meter hohen Turmgestells, dessen Aluminiumröhren nach den Vorgaben des Komponisten Christoph Herndler mit Schlagwerk oder Hammer zum Instrument werden, bildet mit einfachsten Mitteln eine Torsituation nach. Auf der Gegenseite des schlichten Arkadenhofs, der nur von seinem Schattenspiel lebt, bleibt der Zugang offen. Auch Taufen, für die ein abteilbarer Andachtsraum mit Taufbecken eingerichtet ist, oder Hochzeiten können im unmittelbaren räumlichen Anschluss weitergefeiert werden. Beim jährlich stattfindenden Flohmarkt oder bei großen Festen wie der Sonnenwendfeier im Juni mit großem Feuer, Tombola, Bioweinverkostung und Quietschentenrennen im Grünbach lockte die Kirche zuletzt 1500 Besucher. Gerade unter Jugendlichen ist sie auf diesem Weg wieder zu einem Synonym für Treffpunkt und Gemeinschaft geworden.
Die Kirche ist in bestem Sinne ein offenes und modernes, aber auch ökologisches Haus, nach dem Motto »im Einklang mit Gott, im Einklang mit der Natur« eine Brücke zu neuen Ufern. Das erregte neben der Begeisterung der Gemeindemitglieder schon die Neugier konservativer Kritiker. Von Liturgie-Chaos war die Rede, weil auf Fotos der Homepage ein Diakon und eine evangelische Pfarrerin am Altar zu sehen waren. Die katholische Internet-Nachrichtenagentur »Kath.Net« rügte die Gestaltung des Kirchenraums: »Bilder oder Statuen von Heiligen sucht man vergeblich, an Stelle eines Kreuzes ist ein y-förmiger Olivenbaum aufgestellt, und statt Glocken gibt es Klangrohre.« Aber ist die Energie dieser Kirche nicht im Raum, im roten Kern der schwarzen Glasbox mit ihrem verborgenen technischen Hintergrund, in den Lichtzeichen der Glasfuge und ihrer vorgelagerten Wasserfläche, die den Taufstein der Bildhauerin Gabriele Berger speist, viel stärker verankert? Die größte Überraschung dieses mit kleinem Etat und wandhohen Fassadenfertigteilen errichteten Holzriegelbaus, innen mit Gipskarton beplankt oder mit farbig gebeizten Birkensperrholzvertäfelungen ausgekleidet, liegt in seiner Mittelllosigkeit, in seinem symbolischen und emotionalen Mehrwert.
Kraftwerk Gottes Die auf den Pfarrpatron Franz von Assisi bezogenen Ziele Umweltbewusstsein, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit durften darum nicht unmittelbar sichtbar werden. Zwar sind in die Glashaut der Fassade des Kirchenraums 200 Quadratmeter Photovoltaik-Elemente integriert. Aber sie werden nur in seltenen Witterungssituationen sichtbar, auch dann lediglich wie unscheinbare quadratische Fassadenmuster. Die 32 Quadratmeter große thermische Solaranlage mit zweimal 1000 Liter Pufferspeicher für die Warmwasseraufbereitung ist gar nicht präsent. Die thermische Optimierung der Gebäudehülle und die Nutzung der passiven Sonnenenergie vor allem über die Lichtachse des Sakralraums sorgen für einen niedrigen Heizenergiebedarf. Die gewonnene Wärme wird im magnesitgebundenen Holzzementestrich des Kirchenbodens besonders gut gespeichert. Insgesamt wird für den Bau ein Heizenergieverbrauch von 31 kWh/m2a berechnet, so dass der größte Teil der noch benötigten Raumwärme über die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung bereitgestellt werden kann. Die benötigte Frischluft wird dabei über einen Erdwärmekanal angesaugt, der je nach Jahreszeit dazu dient, die Zuluft vorzuwärmen oder abzukühlen. So ist im Winter auch an Tagen mit geringer Sonneneinstrahlung eine Temperatur des Sakralraums zwischen 12 und 15 °C ohne Heizung möglich.
Der Restwärmebedarf wird über eine Fußbodenheizung geregelt, die wie die Warmwasseraufbereitung oder bei starker Sonneneinstrahlung auch die Wärmetauscher der Lüftungsgeräte von den Sonnenkollektoren betrieben wird. Diesen Bedarf deckt ein auf 85 kW ausgelegter Pellet-Kessel CO2-neutral. Die reine Biomasse der gepressten Säge- und Hobelspäne zeichnet sich durch einen hohen Energiegehalt und eine umweltschonende Verbrennung aus. Der Preisvorteil gegenüber Heizöl lag schon vor dessen dramatischen Preissprüngen bei 40 Prozent. Der Jahresertrag der Photovoltaik-Elemente liegt bei geschätzten 15300 kWh und deckt damit weit mehr als den Eigenbedarf. An einem schönen Sommertag sind zusätzlich 45 Haushalte mit elektrischer Energie zu versorgen. Die aktive Nutzung der Sonnenenergie ergibt damit insgesamt eine jährliche CO2-Reduktion von etwa 15,7 Tonnen. Mit diesen Werten erreicht das ökologische Konzept weit größere Vorteile als konventionell beheizte Passivhäuser. Die unmittelbare Umsetzung des Passivhausstandards hätte dagegen Kompromisse notwendig gemacht (kompakterer Baukörper, Verzicht auf überdachte Terrassen, eine noch aufwändigere Dreischeibenverglasung), die entweder funktional nicht gewünscht oder aber ökonomisch nicht tragbar waren.
K.-D. W.
Bauherr: Röm.-kath. Pfarre St. Franziskus in Wels / Diözesanfinanzkammer Linz Architekt: Luger & Maul ZT-Gesellschaft OEG, Wels Mitarbeiter: Maximilian Luger, Günther Salfinger (Projektleitung); Andreas Kirchsteiger Tragwerk Massivbau: DI Raffelsberger, Wels Tragwerk Holzbau: DI Kulcsar, Wien Haustechnik: Ing. Helmut Priesner, Linz Energiekonzept: team gmi, Bernhard Gasser, Dornbirn Nutzfläche: 1305 m2 Bruttorauminhalt : 9260 m3 Bauzeit: November 2003 bis Dezember 2004
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