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Schularchitektur und Lernkultur

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Schularchitektur und Lernkultur

»Der dritte Pädagoge ist der Raum«, heißt es in Schweden. Ein Gedanke, der der Schulbau-Architektur über Jahrhunderte fremd war, dem inzwischen aber erfreulicherweise immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Rückblick und Ausblick auf den Schulbau und die begleitenden Diskussionen in Deutschland.

Text: Ulrike Kunkel

Vom Schulhaus als eigenständigem Bautyp lässt sich eigentlich erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen, zuvor erschöpfte sich der »Schulbau« im Wesentlichen im zur Verfügung stellen von Raum. Der architektonische Ausdruck der frühen Schulen (vor allem der Gemeindeschulen) ist einfach und streng, der Vergleich mit Kasernenbauten liegt nahe. Zum erzieherischen Auftrag durchaus passend, schließlich sollten Disziplin, Ordnung, Gehorsam und Sauberkeit vermittelt werden. Klassengrößen von bis zu siebzig Schülern ließen allerdings auch kaum Spielraum bei der Wahl der Unterrichtsmethoden. Der architektonischen Gestaltung von Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien widmete man damals hingegen schon etwas mehr Aufmerksamkeit; wenngleich vor allem auf das äußere Erscheinungsbild bezogen, so wird das höhere gesellschaftliche Ansehen dieser Schulen auch im Raumprogramm deutlich: zu den Klassenzimmern kommen Fachräume und eine Bibliothek hinzu.
Der Zusammenbruch des Kaiserreichs und die Revolution von 1918 ermöglichten, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Deutschen ein Schulsystem in der Verfassung festgeschrieben wurde, das weder auf der Grundlage gesellschaftlicher Klassen noch den finanziellen Möglichkeiten der Eltern basierte. Die wohl größten Neuerungen waren die Einführung der Grundschule für alle und die achtjährige Schulpflicht. Die allgemeine Aufbruchsstimmung der Zwanzigerjahre wirkte sich auch auf das Schulwesen aus: eine verstärkte Diskussion über Lehr- und Lernmethoden sowie Überlegungen zum Schulbau setzten ein und Schulexperimente wurden ins Leben gerufen. Unmittelbare Einflüsse auf die Schulbau-Architektur gab es allerdings selten, nur wenige Beispiele – wie die Schule am Bornheimer Hang (1927–30) in Frankfurt am Main von Ernst May – zeigen Merkmale des neuen Bauens. Das Gebäude ist nicht Respekt einflößend in die Höhe gestapelt, sondern offen und flächig mit Bezug zum umgebenden Freiraum angelegt.
Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft kamen die Reformen im Schulwesen wieder zum Erliegen; oberstes Ziel war schließlich die Unterordnung unter die Staatsdoktrin und nicht die individuelle Förderung des Einzelnen. Einer Schul- und Schulbaureform bedurfte es also nicht.
Im Zuge des Wiederaufbaus nach 1945 war der Bedarf an neuen, wohnortnahen Schulen groß und wie in kaum einer anderen Bauaufgabe spiegelte sich im Schulbau die Hoffnung auf einen Neubeginn wider. Bereits Anfang der fünfziger Jahre entstanden unterschiedliche Gebäudetypen: Die Pavillonschule, meist aus industriell vorfabrizierten Materialien, folgte dem Gedanken des kleinmaßstäblichen demokratischen Schulhauses, die großmaßstäblicheren Rasterbauten aus Stahlbeton, inspiriert durch Mies van der Rohe, dem Gedanken der Ökonomie.
Vorreiter der gebauten Pädagogik
Als Pionier einer pädagogisch durchdachten Schulbau-Architektur kann Hans Scharoun bezeichnet werden. Bei seinem Entwurf für eine Volksschule in Darmstadt (1951) und dem realisierten Gymnasium in Lünen (1956–62) nimmt die Grundrissgestaltung erstmals auf die verschiedenen Entwicklungsstufen der Schüler Rücksicht. So haben die Räume der Jüngeren einen beschützenden Charakter, während die der Älteren ihrer zunehmenden Selbstständigkeit entgegenkommen.
Mitte der sechziger Jahre wandelten sich die Ziele im Schulbau abermals; Begriffe wie Chancengleichheit und Bildungskatastrophe mischten sich in die Diskussion. Von der Leistungsschule wollte man endgültig weg, die neuen Schulen sollten Offenheit demonstrieren und soziale Unterschiede aufheben. Ende des Jahrzehnts entsteht ein neuer Schultyp: die Gesamtschule. Sie war nicht nur im Hinblick auf ihre absolute Größe neuartig, sondern vor allem aufgrund der hohen räumlichen Nutzungsvarianz. Um diese zu erreichen, bestimmte, wie schon in den Fünfzigern, das Denken in Systemen und Rastern die Architektur. Doch die Umsetzung der wohlmeinenden Konzepte misslang allzu oft. Vollklimatisierte, fensterlose Betonburgen gaben den Schülern keinerlei Möglichkeit der Identifikation mit ihrer Schule, und Untersuchungen zeigten, dass sie »Freundlichkeit« und »Geborgenheit« vermissten und die Gebäude daher ablehnten.
Mitte der Achtziger ließ der Rückgang der Schülerzahlen den Schulbau drastisch zurückgehen, und das Gros der wenigen Neubauten vermochte nicht wirklich zu überzeugen: Monotone Fassaden und vermeintlich kindgerechte, in Wirklichkeit eher willkürlich bunte Farbgebungen bestimmten das Bild.
Lernlandschaften
Gut zwanzig Jahre später und unter dem Eindruck der PISA-Studien hat die Diskussion um erfolgreiche Lehr- und Lernmethoden neue Relevanz bekommen. Um den passenden architektonischen Rahmen, den längst erwiesenen Zusammenhang zwischen dem zur Verfügung gestellten Raum und dem Lernerfolg der Schüler, geht es leider immer noch zu wenig. Architekten werden zwar nicht den guten Unterricht in die Schulen bringen, aber sie können ihn erleichtern und unterstützen oder wesentlich erschweren. Doch wie muss die neue Schule im Sinne eines neuen Lernens aussehen? Eine Forderung ist die nach möglichst viel Fläche. Im Weiteren muss diese Fläche flexibel zu gliedern und zu bespielen sein, damit konzentrierte Einzelarbeit ebenso wie Arbeiten in Klein- und Großgruppen oder das Feiern von Festen möglich sind.
In »Lernlandschaften« können Aktivitätsbereiche verändert werden, so dass es je nach Bedarf zu Verschiebungen und Überlagerungen von Funktionsbereichen kommt. – In diesen Punkten waren die Gesamtschulen in den siebziger Jahren bereits auf dem richtigen Weg. »Der dritte Pädagoge ist der Raum.« Das gilt nicht nur bezogen auf rein ästhetische Qualitäten. Die Schüler müssen sich mit ihrem Schulhaus identifizieren können; je nach Alter sollen sie Geborgenheit, Anregung oder Abwechslung erfahren. Letztendlich muss die Gestaltung der Räume und des gesamten Gebäudes die Schüler in ihrem Lern- und Entwicklungsprozess unterstützen, ihnen Orientierung geben sowie Freiheiten lassen und ihnen helfen, ihr Leben zu strukturieren. Gelingen kann das in erster Linie natürlich über die städtebauliche Lage des Gebäudes oder der Gebäude zueinander sowie die Grundrissgestaltung, unterstützt durch den Einsatz von Materialien, Farbe und Licht. Auf den nächsten Seiten stellen wir Schulen vor, in denen nicht nur gelernt wird, sondern die bereits Orte sind, von denen Kinder lernen können. •
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