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Sagengestalt im Passepartout

Besucherzentrum am Herkules-Denkmal in Kassel
Sagengestalt im Passepartout

Der »Herkules«, Wahrzeichen der drittgrößten hessischen Stadt, soll nach deren Wunsch 2013 UNESCO-Weltkulturerbe werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang geplanten Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel entwarf das Berliner Büro – des jüngst mit dem großen BDA-Preis geehrten – Volker Staab ein neues Besucherzentrum. Exemplarisch belegen die Architekten hierbei, dass Fenster nicht nur als schnöde Tageslichtquelle dienen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Innen- und Außenraum funktionieren.

  • Architekten: Staab Architekten Tragwerksplanung: EFG Beratende Ingenieure
  • Kritik: Hartmut Möller Fotos: Jens Achtermann, Hartmut Möller
Zum Bau des gewaltigen Oktogon-Schlosses mit weitläufiger Grotten- und Kaskadenanlage am Hang des Habichtswalds ließ sich Landgraf Karl im ausgehenden 17. Jahrhundert von den barocken Park- und Gartenanlagen Italiens inspirieren. Ziel seines Baumeisters Giovanni Francesco Guerniero war das Verwischen der Grenze zwischen Kunst und Natur mit einem wie aus dem Fels gewachsenen achteckigen Kastell und dem daraus entspringenden künstlichem Wasserlauf. 1713 fiel die Entscheidung das artifizielle Steinmassiv zusätzlich mit einer aufgesetzten Pyramide und der 8,25 m hohen Herkules-Statue zu krönen. Die ungünstige Kombination aus Eisengerüst mit Kupferblechverkleidung bei der Figur und die Verwendung des besonders anfälligen Tuffsteins machen die Sehenswürdigkeit jedoch zu einem Dauersanierungsfall. Aus heutiger Sicht versprüht der Herkules mit seinen moosbewachsenen Brüstungszinnen etwas vom Kitsch eines Walt-Disney-Vergnügungsparks, obgleich er durch seine schiere Größe durchaus beeindruckt. Beeindruckend sind auch die Renovierungskosten von rund 30 Mio. Euro bzw. das Volumen von 200 Mio. Euro für die Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel. Immerhin hat sich ›
› diese mit dem Bergpark, seinen Wasserkünsten und dem Herkules 2013 für den Titel des Weltkulturerbes beworben. Geradezu zwergenhaft erscheint dagegen die Bausumme von etwa 3,5 Mio. Euro für den knapp 700 m² großen Neubau, der durch eine winterbedingte Zwangspause mit leichter Verspätung nach zweijähriger Bauzeit im Juni 2011 eröffnet wurde. Staab Architekten waren nach einem vorangegangenen Realisierungswettbewerb und einer Machbarkeitsstudie hinsichtlich des Standorts 2007 mit der Planung beauftragt worden.
MONOLITHISCHER FINDLING
Vom neu angelegten Parkplatz führt der Weg direkt zum Besucherzentrum. Seine geknickte Form und der helle Beton verleihen ihm eine starke Präsenz, obwohl es sich flach an den steigenden Hangverlauf schmiegt und so den Blick auf das dahinter gelegene Wahrzeichen freilässt. Zwei waagerechte, bündig gesetzte Langfenster gestatten nur wenig Einsicht in den Bau. In der reliefartigen Fassade zeichnet sich die Brettchenschalung aus sägerauem Nadelholz in verschiedenen Dicken und Formaten ab – ein Verweis auf das poröse Felsgestein des Monuments. Dehnungsfugen verlaufen im Muster dieser Schalung und gewährleisten so ein homogenes Erscheinungsbild. Das vom Herkules-Denkmal gut einsehbare Dach wurde als fünfte Ansichtsseite bewusst von Aufbauten freigehalten und mit großformatigen, zu den Außenwänden analogen Sichtbetonplatten bedeckt. Die Entwässerung erfolgt über eine umlaufende, versenkt eingebaute Rinne mit innenliegenden Abläufen.
Sei es noch so erforderlich, von oben betrachtet stellen die angrenzenden Kohorten von bunten Pkws und Bussen ein wahres Ärgernis inmitten der Idylle dar. Dennoch wird der Baukörper ganz nach den Wünschen der Planer zum landschaftlichen Element – wie ein bearbeiteter Findling am Übergang zum Grünraum. Der tiefe Einschnitt an der Längsseite dient der darin untergebrachten Bushaltestelle als Unterstand und leitet die Ankömmlinge über seine Trichterform ins Innere.
GERAHMTER HELD
Dass Wandöffnungen nicht ausschließlich dem Tageslichteinfall dienen, wird unmittelbar beim Betreten des Hauptraums deutlich. Aus dem Halbdunkel heraus orientiert sich das Auge nach Licht, so dass der Blick leicht nach oben gerichtet geradewegs durch ein 3 x 6 m hohes Panoramafenster auf die griechische Sagengestalt fällt. Während linker Hand in das Gebäude Schließfächer und der Zugang zum Personenaufzug ausgezähnt wurden, führt eine axial zum Herkules ausgerichtete Treppe zur oberen Ebene, wobei der Besucher permanent eine gerahmte Ansicht des Helden vor sich hat. Die gekonnte Blickinszenierung lässt keinen Zweifel aufkommen, wer oder was hier im Mittelpunkt steht. Fast scheint es, als würde man sich durch ein überdimensioniertes Fernrohr bewegen. Seitlich des Aufgangs sind über die Raumbreite Sitzstufen angegliedert, von denen aus Filme, Vorträge und Präsentationen verfolgt werden können. Ein weiteres großes Fenster erlaubt im oberen Bereich den Ausblick in das südliche Drusetal. Vor diesem informiert eine kleine Ausstellung über die Historie des Komplexes. Der optisch im Beton eingelassene, aus Holz gefertigte Museumsshop bietet die Tickets und allerlei Souvenirs, wobei die Merchandise-Palette mit Publikationen, Postkarten, Tassen, Schlüsselanhängern sowie Herkulessekt, -wein und -pralinen beinahe an amerikanische Verhältnisse erinnert. ›
› Die spärliche Verwendung von Materialien – polygonale Wände und das gefaltete Dach in glattem Sichtbeton, geschliffener Estrichboden, alle Möbel und Einbauten in dunklem Holz – und das diskret gesetzte Licht über Deckeneinbaustrahlern und Downlights verleihen dem fließenden Raum eine geradezu andächtige Atmosphäre. Umso eindrucksvoller wirken auch die Bezüge durch die gerahmte Außenwelt. Der Ausgang (oder wahlweise zweiter Eingang) neben der Verkaufsfläche führt den Besucher schließlich zum Wahrzeichen.
KLEINER BAU – GROSSE ARCHITEKTUR
Die Fenster wurden als großflächige Wandöffnungen mit ungeteilter Festverglasung und Profilen in dunkel eloxiertem Aluminium ausgeführt. Der Sonnenschutz erfolgt über Beschichtungen der Glasscheiben, zudem setzt eine Nano-Beschichtung die Oberflächenspannung des Regenwassers herab, so dass dieses durch leichteres Abfließen den Schmutz hinwegschwemmt. Lediglich die Fenster in Büro- und Aufenthaltsraum verfügen als zweiter Fluchtweg über Öffnungsflügel. Ein im UG untergebrachtes raumlufttechnisches Gerät sorgt über Schlitzauslässe für den ständigen Luftaustausch. Die Abluft aus dem Besucherraum wird mittels eines Radialventilators in den Sanitärbereich eingeblasen und von dort über das RLT-Gerät abgeführt. Da vor Ort weder Fernwärme noch Erdgas zur Verfügung standen, entschied man sich für eine naheliegende Lösung: Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Fußbodenheizung mittels Wärmepumpe bei Nutzung geothermaler Energie durch ein Erdsondenfeld unter dem Parkplatz.
Der Koloss von Kassel mag gefallen oder nicht, Wohnungssuchende in der Umgebung zahlen jedenfalls trotz kilometerweiter Entfernung für den »Herkulesblick« sehr viel Geld. Insbesondere die zweimal wöchentlich stattfindenden Wasserspiele und der von englischen Landschaftsvorstellungen geprägte Bergpark locken auch verstärkt internationales Publikum an. Das neue Besucherzentrum zeugt in seiner hervorragenden Ausführung in jedem Fall von höchster Handwerkskunst und sorgfältiger Detailplanung. Wie so oft sind es die kleinen Dinge, die große Wirkung haben und große Architektur manifestiert sich eben nicht unbedingt über ihre (Erscheinungs-)Größe. Diese Bereicherung für die Anlage dürfte der UNESCO-Bewerbung definitiv zugutekommen! •
  • Standort: Schlosspark Wilhelmshöhe, 34131 Kassel Bauherr: Land Hessen, vertreten durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, vertreten durch das Hessische Baumanagement Nutzer: Museumslandschaft Hessen Kassel, Schloss Wilhelmshöhe Architekten: Staab Architekten, Berlin Wettbewerb: Sonja Hehemann, Diana Saric; Planung: Per Pedersen, Jens Achtermann (Projektleitung); Mitarbeiter: Antje Bittorf, Sonja Hehemann, Julia Löscher, Florian Nusser, Kiri Westphal Tragwerksplanung: EFG Beratende Ingenieure GmbH, Fuldabrück Bauleitung: Atelier 30 Architekten, Kassel Haustechnik: Ingenieurgruppe HSK, Göttingen Akustikplanung: Renate Szabunia, Berlin Ausstellungsplanung: Brigitte Fischer Ausstellungsgestaltung, Berlin Lichtberatung: Licht Kunst Licht, Berlin Freiraumplanung: Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin BGF: 550 m² BRI: 1 500 m³ Baukosten: 3,46 Mio. Euro Planung und Bauzeit: 2007 bis 2011
  • Beteiligte Firmen: Ortbeton, Zementlieferant Sichtbeton: SIBO, Baunatal, www.sibo-beton.de Fensterprofile, Eingangstüren: Schüco International, Bielefeld, www.sibo-beton.de Verglasungen: Thiele, Falkenhain, www.sibo-beton.de Betoneinbauleuchten: Siteco Beleuchtungstechnik, Traunreut, www.sibo-beton.de Ganzglasbrüstungen: Glas-Marte, Bregenz, www.sibo-beton.de
1 Zugang von Bushaltestelle und Parkplatz 2 WC 3 Ausstellung 4 Ausblick auf das Herkules-Denkmal 5 Shop 6 Büro 7 Zugang vom Bergpark
A Parkplatz B Besucherzentrum C Gastronomie D Herkulesdenkmal E Kaskaden F Wasserbecken
db-Ortstermin
Am 10. Dezember um 14 Uhr laden wir Sie ein, gemeinsam mit dem Projektarchitekten das Besucherzentrum zu besichtigen. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, die Neue Galerie, die am 23. November nach Sanierung – ebenfalls durch Staab Architekten – wiedereröffnet, zu besuchen. Anmeldung bis 30. November unter: www.db-bauzeitung.de/ortstermin

Kassel (S. 26)

Staab Architekten
Volker Staab
1957 in Heidelberg geboren. Architekturstudium an der ETH Zürich, Diplom 1984. 1985-90 freie Mitarbeit im Büro Bangert, Jansen, Scholz und Schultes, Berlin. Seit 1991 eigenes Büro, seit 1996 mit Alfred Nieuwenhuizen. 2002-04 Gastprofessuren und Lehraufträge in Berlin, Nürnberg und Münster. 2005-07 Professur in Münster. Seit 2005 Mitglied der Akademie der Künste Berlin. 2008-09 Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Stuttgart.
Alfred Nieuwenhuizen
1953 in Bocholt geboren. Architekturstudium an der RWTH Aachen, Diplom 1984. Mitarbeit in einem Heidelberger Büro, seit 1987 eigenes Büro. 1990-91 freie Mitarbeit im Büro Bangert, Jansen, Scholz und Schultes, Berlin. Seit 1996 gemeinsames Büro mit Volker Staab, seit 2007 als GmbH.
Hartmut Möller
1975 geboren. Architekturstudium in Oldenburg und Praxissemester bei SITE/James Wines in New York. 2002 Mitorganisation der Ausstellung »Die Moderne als Modell« im Horst-Janssen-Museum, Oldenburg. 2003 Redaktionspraktikum bei der db. Diverse Zeitschriften- und Buchpublikationen. Lebt und arbeitet seit 2005 in Hannover.
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