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Regelverstösse bei Dacheindeckungen

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Regelverstösse bei Dacheindeckungen

Wird bei offensichtlich gebrauchstauglichen Bauteilen ein Regelwerkverstoß entdeckt, ist Streit meist unausweichlich. Die Verantwortlichen halten die Abweichung für bedeutungslos und verweisen zum Beleg auf die Funktionsfähigkeit, die Auftraggeber bestehen auf regelgerechter Ausführung und befürchten zukünftige Probleme. Ein typisches Beispiel sind Auseinandersetzungen bei Unterschreitung der Mindestdachneigung.

Text und Fotos: Rainer Oswald

Die Pultdächer einer Reihenhaussiedlung mit voll gedämmten Sparren waren mit Faserzementwellplatten eingedeckt worden (Bild 1/2). Man stritt über die Frage, ob kostspielige Änderungen am Dachgefälle notwendig seien, da die ausgeführte Dachneigung mit 4,5 bis 5,1 Grad gemessen wurde. Von bauvertraglichen Vereinbarungen war damit nicht abgewichen worden, da in der Baubeschreibung und den Bauantragsplänen eine Dachneigung von »ca. 5 Grad« angegeben wurde, also eine gewisse Unterschreitung nicht ausgeschlossen war (Bild 3). Entscheidender Anlass zur Kritik waren die Festlegungen in den Regelwerken, dass selbst beim Einbau von Kittschnüren in den Quer- und Längsüberdeckungen die Dachneigung bei dieser Eindeckungsart »mindestens 5 Grad« betragen muss.
Man sollte sich bei der Beurteilung der Bedeutung solcher Abweichungen vor Augen halten, dass technische Regelwerke nicht nur Grundanforderungen stellen, die für die Gebrauchstauglichkeit unverzichtbar sind, sondern in Hilfsregeln den Weg beschreiben, auf dem die Realisation der Grundanforderungen möglich ist. Die Hilfsregeln können z. B. die einfachere Ausführbarkeit oder die sichere Berücksichtigung einmalig ablaufender Verformungen bezwecken (DIN 1045, Teil 1, spricht in diesem Zusammenhang von »Prinzipien« und »Anwendungsregeln«).
Die prinzipielle Anforderung lautet hier selbstverständlich, dass der realisierte Dachquerschnitt dauerhaft dicht sein muss. Alle anderen Festlegungen sind erläuternde Hilfsregeln dazu, wie man im Regelfall dieses Ziel erreichen kann.
Es gehört zum allgemeinen Erfahrungswissen, dass in Regelwerken angegebene Mindestdachneigungen keine wissenschaftlich ermittelten Grenzwerte sind, bei deren Unterschreitung eine Eindeckung schlagartig undicht wird. Die unter ungünstigen Bedingungen eindringende Wassermenge wird mit abnehmender Neigung nur graduell größer, da die Schwellenhöhe der Überdeckungen geringer wird und damit bereits ein geringerer Staudruck zum Überlaufen führt. Ebenso nimmt, auch in Abhängigkeit von der Dachlänge, die Größe und Dauer der Wasserbeanspruchung zu. Da Eindeckungen in der Regel aber ohnehin nur als »regensicher« gelten und daher immer »zusätzlicher wasserableitender Maßnahmen« und einer Unterlüftung bedürfen, werden mit der Gefällereduzierung nur die Anforderungen an die Unterlüftung und die zusätzlichen Wasserableitungsmaßnahmen höher.
Im Bauwesen ist im Übrigen – mit Ausnahme einiger bauordnungsrechtlich relevanter Grenzwerte – eine gewisse Unterschreitung von Maßangaben zulässig, wenn die Abweichungen durch übliche Maßtoleranzen, handwerkliche Ungenauigkeiten, Überlappungs- und Durchbiegeunebenheiten hervorgerufen werden. So darf z. B. bei Eindeckungen nicht die Neigung des Einzelelementes gemessen werden, sondern es muss über die Kanten der Eindeckung hinweg die Neigung der Unterkonstruktion ermittelt werden.
Bei der Beurteilung solcher Grenzfälle ist die Bewertung der Randbedingungen daher von ganz entscheidender Bedeutung. So waren an dem vorliegenden Fall die Kittschnüre in den Quer- und Längsüberdeckungen sorgfältig ausgeführt (Bild 1) und die Dächer wiesen auch keine komplizierten Anschlüsse an aufgehende Bauteile, Lichtkuppeln, Dachflächenfenster oder Lüftungshauben auf, die sonst bei flach geneigten Eindeckungen erfahrungsgemäß wesentliche Undichtheitsquellen sind, da sie häufig schwer abdichtbare Querstöße und quer zum Gefälle liegende Kehlen zur Folge haben.
Bei der Bewertung der Unterschreitung von Regel- oder Mindestregeldachneigungen ist vor allem zu untersuchen, was mit dem ggf. bei sehr ungünstigen Witterungsbedingungen unter die Eindeckung gelangenden Wasser im Dachquerschnitt passiert. Man muss sich also mit den zusätzlichen wasserableitenden Maßnahmen unter der Eindeckung beschäftigen.
Grundsätzlich kann man Eindeckungen beliebig flach ausführen, wenn unter der Eindeckung ein wasserdichtes Flachdach realisiert wird, das für sich allein genommen schon alle Schutzfunktionen erfüllt und lediglich aus »dekorativen Gründen« mit einer Eindeckung ohne entscheidende Schutzfunktion überspannt wird. (Über einen solchen Konstruktionsfall habe ich im Schwachstellen-Aufsatz db 1/2004 bezüglich der Instandsetzung der Bleiblecheindeckung einer Kirche berichtet.)
Zur weiteren Beurteilung war demnach die Unterkonstruktion der Dächer zu untersuchen. Wie aus der Planskizze ersichtlich (Bild 3), bestand die Dachkonstruktion (Dachlänge in Gefällerichtung 10 m) aus einer tragenden, quer zum Gefälle liegenden Holzbalkenlage mit Mineralfaserdämmung als Vollsparrendämmung, ›
› die unterseitig mit einer Polyethylenfolien-Luftdichtheits- und Dampfsperrschicht von 0,22 mm Dicke mit sorgfältig überlappten Stößen und Randanschlüssen ausgeführt war. (Ein aus anderen Gründen durchgeführter Differenzdrucktest ergab einen n50-Wert von 1,8-fach/h. Das Gebäude war also luftdicht.) Die tragende Dachschale schloss oberseitig mit einer OSB-Dachschalung ab, die vollflächig mit einer Unterdeckbahn versehen wurde. Es handelte sich um eine wasserdichte Folie mit beidseitigem ankaschierten Polypropylen-Vlies mit einem sd-Wert von 0,01 m. Die Bahn ist demnach als »diffusionsoffene« Schicht einzugruppieren. Prüfzeugnisse wiesen eine Wasserdichtheit bis zu einer Wassersäule von 5600 mm nach.
Entscheidend für die Leistungsfähigkeit solcher Unterdächer sind – ähnlich wie bei den Eindeckungen selbst – die Bahnenüberlappungen und die Durchdringungsanschlüsse. Überlappungen und Anschlüsse wurden hier mit Alu-Butyl-Klebebändern abgedichtet (Bild 4). An den drei Rohrdurchführungen wurde eine Lücke entdeckt, die unmittelbar beseitigt werden konnte (Bilder 5/6). Vor allem die Abdichtung der Befestigungspunkte für die Unterkonstruktion der Eindeckung stellen ein wesentliches Problem dar. Die Frage, wie Vernagelungen oder Verschraubungen gestaltet sein müssen, um von einem wasserdichten Unterdach sprechen zu können, wird in den Dachdeckerfachregeln ausführlich behandelt. Will man wirklich eine absolute Dichtheit bei stehendem Wasser auf der Abdichtungsoberfläche erreichen, so muss nach den Festlegungen des Dachdeckerhandwerks auch die Konterlatte mit in die Abdichtungsmaßnahme einbezogen werden, damit die Durchnagelungsstellen der Lattung an Hochpunkten der Unterkonstruktion liegen. Sonst handelt es sich um ein regensicheres Unterdach, s. dazu die Regelwerkauszüge (Bild 7).
Im vorliegenden Fall war man einen anderen Weg gegangen, um die Dichtheit der Befestigungsdurchdringungen zu verbessern. Die Konterlattungen waren jeweils mit Alu-Butyl-Klebeband unterlegt worden, durch das dann durchgenagelt wurde (Bilder 8/9). Der Nagelschaft liegt dann dicht am Butylband an, so dass insgesamt – angesichts der äußerst geringen zu erwartenden Feuchtemengen – von einer hinreichend zuverlässigen, zusätzlichen wasserableitenden Maßnahme gesprochen werden konnte.
Als Alternative hätte man ein Unterdach aus gängigen Dichtungsbahnen konzipieren können, die nach den Regeln der Bauwerksabdichtung an Überlappungen und Anschlüssen dicht ausführbar sind. Dann wäre aber keine diffusionsoffene Konstruktion möglich gewesen und man hätte dann eine Dampfsperre mit größerem sd-Wert mit noch höherer Sorgfalt ausführen müssen. Das hätte aber den weitgehend dampfdichten Ab- schluss der tragenden Holzkonstruktion bewirkt. Da neues Bauholz einen erhöhten Feuchtegehalt besitzt, und daher immer noch auf den späteren Ausgleichsfeuchtigkeitsgehalt zurücktrocknen können muss, habe ich insgesamt in der hier vorliegenden Situation die ausgeführte diffusionsoffene Schichtenfolge als die bauphysikalisch günstigere angesehen. Folglich ist eine voll gebrauchstaugliche, dauerhafte Lösung entstanden, die nicht zu bemängeln ist.
Demontierbarkeit von Eindeckungen als Qualitätsmerkmal
Zur Untersuchung des Falls waren Dachöffnungsarbeiten erforderlich. Dabei zeigte sich ein weiteres Problem vieler großformatiger Eindeckungssysteme, die zur hinreichenden Dichtheit auf Kittschnüre in den Überdeckungen angewiesen sind: Es werden dazu durchweg Dichtmittel verwendet, die eine nicht mehr lösbare Verbindung der Eindeckelemente zur Folge haben. Die Eindeckung ist nur noch zerstörend zu öffnen. Die Untersuchungen wurden daher im dargestellten Fall auf der mit Bleiabschlussblechen ausgeführten Firstseite der Rohrdurchdringungen durchgeführt, da diese Stelle leicht reparabel war.
Mit dem wachsenden Bewusstsein der notwendigen Ressourcenschonung ist das Thema der Instandsetzbarkeit und der einfachen Demontierbarkeit von Bauteilen verstärkt ins Blickfeld geraten. Es ist ein Unding, dass prinzipiell demontable Bauteile nur aufgrund von Dichtungsmaßnahmen diese positive Eigenschaft verlieren.
Abgesehen vom Aspekt der Ressourcenschonung sollten Planer und Ausführende aber auch die Bauherren auf die Demontierbarkeit von Bauelementen achten, da eventuelle Fehler in der Planung und Bauausführung dann kostengünstiger korrigiert und auch spätere Umbauten wesentlich einfacher realisiert werden können. Als erste Norm hat DIN 18 531, Dachabdichtungen, in der neuen Ausgabe von 2005 diesen Aspekt angesprochen: Dort wird deutlich hervorgehoben, dass z. B. nur unter Zerstörung demontierbare, aufgeklebte Blechabdeckungen zwar zulässig sind, aber einen geringeren Qualitätsstandard K1 ergeben (s. dazu den Schwachstellen- Beitrag 11/2004). Die Demontierbarkeit ist demnach eindeutig ein Qualitätsmerkmal. ›
› Dieses Ziel sollte auch in anderen Bereichen des Hochbaus vermehrt angestrebt werden. Mein Appell geht daher an die Hersteller von großformatigen Dacheindeckungssystemen, Dichtmaßnahmen zu entwickeln, die eine Lösbarkeit der Verbindungen ermöglichen. Solche kleinen Schritte sind effektivere Beiträge zum nachhaltigen Bauen als lange theoretische Abhandlungen ohne praktischen Wert.
»Gerichtsfestigkeit« als Planungsziel
Durch das dargestellte Fallbeispiel sollte – wie bei vielen anderen in dieser Artikelserie angesprochenen Fällen – nicht nur ein konkretes Problem diskutiert, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht werden, dass sowohl die Anwendung von Regelwerken als auch die Diskussion über Abweichungen sich niemals im rein formalen Abhaken von Grenzwerten erschöpfen darf, sondern immer zuerst nach dem Sinn der Regel und dem Ziel der zu lösenden Aufgabe zu fragen ist.
Damit möchte ich selbstverständlich keineswegs dazu animieren, gegen Regelwerke zu verstoßen. Im vorliegenden Fall führte die grenzwertige Situation zu jahrelangen Streitigkeiten und beschäftigte mehrere Gutachter. Es ist daher klug, Regelwerke möglichst so zu erfüllen, dass weitere Diskussionen von vornherein vermieden werden. So ist z. B. die Überschreitung von Mindestdachneigungen um 1 Grad äußerst sinnvoll, um zukünftigen Diskussionen auch bei Ungenauigkeiten einfach begegnen zu können. Angesichts der zunehmenden Prozessfreudigkeit und deren gravierenden wirtschaftlichen Folgen für Planer und Ausführende, ist es immer wichtiger, nicht nur gebrauchstauglich und sicher, sondern auch »gerichtsfest« zu konstruieren und auszuführen. Es sind also Lösungen zu empfehlen, die auch einer rein formalen Überprüfung ohne lange Diskussion standhalten. •
Literaturhinweise: [1] Die wesentlichen Anforderungen an Eindeckungen mit Faserzementwellplatten beschreiben die »Fachregeln für Dachdeckungen mit Faserzementwellplatten«, Ausgabe März 2002, und hinsichtlich zusätzlicher wasserableitender Maßnahmen das »Merkblatt für Unterdächer, Unterdeckungen und Unterspannungen« vom 8. September 1997. Es handelt sich um Fachregeln des Deutschen Dachdeckerhandwerks (Bezugsquelle: Rudolf Müller Verlag, Köln). Weiterhin ist die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung zu beachten. Für die 2002 errichteten Gebäude galt der Bescheid.
Die bauphysikalischen Aspekte der Schichtenfolge bei Eindeckungen über beheizten Räumen sind dargelegt in: DIN 4108 »Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden«, Teil 3 – Klimabedingter Feuchteschutz, Anforderungen, Berechnungsverfahren und Hinweise für Planung und Ausführung, Juli 2001
Die Qualitätsklassen (Anwendungskategorien) bei Flachdächern werden in Teil 1 der DIN 18 531, Dachabdichtungen – Abdichtungen für nicht genutzte Dächer (November 2005) definiert, verklebte Abdeckbleche werden genauer in Teil 3 angesprochen.
Über die Instandsetzung einer Bleiblecheindeckung durch Ausführung einer zweischaligen Konstruktion wurde im Schwachstellen-Aufsatz »Unbelüftete Blecheindeckungen« in der db 1/2004 berichtet.
Zum grundsätzlichen Umgang mit Abweichungen von technischen Konstruktionsregeln wird auf Oswald, Abel, »Hinzunehmende Unregelmäßigkeiten bei Gebäuden«, 3. Auflage, 2005, Vieweg Verlag, verwiesen.
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