1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Original und Fälschung

Museum »Plagiarius« in Solingen
Original und Fälschung

Das Museum »Plagiarius« wird im Zuge der Umstrukturierung des Areals der einstigen Güterbahnhöfe in Solingen in eine der Hallen integriert werden. Dem bestehenden Gebäude wird hierzu ein Foyerbau vorgesetzt, der den Gebäudeumrissen folgt. Durch eine ungewöhnliche Materialwahl wird die traditionelle Hausform dabei verfremdet und in die Zukunft transformiert: Sowohl das Dach als auch die Fassade bestehen zum überwiegenden Teil aus Kunststoff. As part of the restructuring of the former rail goods station in Solingen, the museum »Plagiarius« will be integrated into one of the halls. A new foyer building will be placed in front of the existing building, continuing its outline. The traditional building form will be contrasted and transformed into the future by means of an unusual selection of material; both the roof and the façade are largely made up of plastic.

Die Geschichte des Solinger Museums Plagiarius begann vor knapp dreißig Jahren. Damals schlenderte der Designer Rido Busse über die Frankfurter Messe »Ambiente« und entdeckte auf dem Stand eines Anbieters aus Hong Kong plötzlich einen Artikel, der ihm sonderbar bekannt vorkam. Er stellte sich als Plagiat einer von ihm entworfenen Brief- und Diätwaage heraus, nur von schlechterer Qualität und deutlich preiswerter. Busse war wie gelähmt, ohne Zweifel war er im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit angekommen. Seither führt der Designer den Kampf des edlen Ritters gegen Plagiate, Imitate, Fälschungen und sonstige Scheinwesen, die er doch niemals besiegen wird. Aber immerhin, Busse hat sich gerüstet: Jährlich vergibt er – im Beisein von Presse, Funk und Fernsehen, wie er betont – den »Plagiarius«, einen schwarzen Zwerg mit goldener Nase, der dem dreistesten Plagiator überreicht wird. Neben seinen sonstigen Veranstaltungen zum Thema Plagiat hat Busse in der Zwischenzeit eine wahre Sammelleidenschaft entwickelt. 2001 hatte er so viele Plagiate und Originale zusammen, dass er dafür in Berlin ein Museum einrichtete. Da Busse mit dem Standort wenig Glück hatte und sich nach einem neuen Museum umschauen musste, kam das Strukturförderungsprogramm der »Regionale 2006« in NRW, das für Solingen die Umrüstung des ehemaligen Bahnhofsgeländes vorsieht, gerade recht.

Das neue Plagiarius-Museum zieht nun in eine Güterhalle im Südpark, die der Kölner Architekt Reinhard Angelis derzeit umgestaltet. Die Umwandlung des weitläufigen Areals der einstigen Güterbahnhöfe gehört zu den Paradeprojekten von Düsseldorf und Solingen. Während den Düsseldorfern nördlich des Hauptbahnhofs jedoch 30 ha Stadtentwicklungsfläche für Mischnutzungen zur Verfügung stehen, können die Solinger auf lediglich 4 ha entlang der Bahntrasse zurückgreifen. Anders als in der Landeshauptstadt hat man in Solingen auf den Produktionsbereich Design gesetzt. Entsprechend werden der aufgegebene Hauptbahnhof nun zum »Forum für Produktdesign« und die angrenzenden Güterhallen in Ateliers umgewandelt. In die markanteste dieser Hallen ziehen eine von Künstlern betriebene Artothek sowie Gastronomie ein. Doch der Blickfang des gesamten, von Angelis umgestalteten, Areals, ist zweifellos das Museum Plagiarius, das in einer benachbarten Halle eingerichtet wird.
Zunächst fällt die poppig gestaltete Fassade des neuen Museums auf, die wie ein verspäteter Nachklang der längst verschiedenen Postmoderne anmutet. Dazu muss man wissen, dass Reinhard Angelis in den frühen achtziger Jahren die Kunstakademieklasse von James Stirling besuchte, der nach Errichtung der Stuttgarter Staatsgalerie als Papst der Postmoderne galt. Der Einfluss dieser Bewegung auf Angelis kann allerdings nicht nachhaltig gewesen sein, denn wenig später arbeitete er im Kölner Büro von Peter Kulka und gründete 1985, zusammen mit Johannes Kister und Reinhard Scheithauer, die »Kölner Bucht«. Nachdem Angelis 1991 in Köln-Mülheim das »Büro für Architektur und Gestaltung« ins Leben gerufen hatte, widmete er sich »dem gesamten Spektrum zwischen Möbel und Stadtplanung«. Angelis berät Projektentwickler in Marketingfragen, entwarf für den Kölner Wohnkomplex »Zwitschermaschine« ein modulares System mit dem Ziel, ein Hybridgebäude zum Wohnen und Arbeiten zu erzeugen und arrangierte für einen Juwelierladen mobile Raumkompartimente, die durch aufgehängte Betonplatten gegliedert werden.
»Ich sehe mich nicht als letzten Mohikaner der Postmoderne, ich benutze aber gerne Materialien in ungewohnten Zusammenhängen. Mir liegt daran, sie gegen den Strich zu bürsten. Hier gibt es eine Verbindung zwischen den frei angeordneten Betonplatten im Juweliergeschäft und dem Museumsdach, das wie eine Zipfelmütze gestaltet ist. Mich interessiert diese Überraschungsqualität von Architektur, letztlich ist es eine Verzauberung, die aus dem Alltag herauslösen soll.« Das als Blickfang gestaltete Foyer des Museums Plagiarius kontrastiert stark mit dem übrigen Baukörper – dem Ausstellungsbereich mit Putzfassade und Giebeldach sowie der angrenzenden Halle mit traditionellem Dachüberstand.
An die Postmoderne mag einen die beabsichtigte Verfremdung des geläufigen Bildes von Haus und Museum, der verfremdende Umgang mit Form und Material erinnern. Angelis sagt allerdings, dass er sich vor allem von Busses Plagiatsammlung leiten ließ, die neben dem Original immer mit dem Künstlichen, Gefälschten, Unseriösen, Unernsten und Scheinhaften konfrontiert. Künstlichkeit ist tatsächlich der vorherrschende Eindruck beim Anblick des Foyers. Angelis lässt nämlich eine orange gemusterte Dachbahn aus PVC-Folie mit Löffelmuster bis zum Betonsockel herunterziehen. Lediglich die Unterkonstruktion besteht aus Holz. Der Kölner Architekt liebt den ironisch-distanzierten Umgang mit Bedeutungen und gibt gerne zu, dass die Dachformation an eine Zipfelmütze erinnert. Dass nun ausgerechnet das Museum Plagiarius zum Imagefaktor für Solingen taugt, liegt auch an der Fassadengestaltung der Frontseite. Der Architekt meint, er habe sich dabei vom »ironischen Spiel mit dem Bergischen Fachwerkmotiv« leiten lassen. Natürlich, gibt Angelis zu bedenken, handele es sich dabei um ein falsches Spiel, da die Rahmenkonstruktion aus perlmuttfarbenem Kunststoff bestehe und die klassischen Ausfachungen wegfallen. »Das Kokettieren mit Wahrnehmungen, das Spiel mit seriös und unseriös, womit sich anständige Architekten nicht beschäftigen«, treibt Angelis noch auf die Spitze, indem er anstatt der Ausmauerung Sonnenschutzgläser einsetzt. »Wenn ich die gewohnten Baustoffe ersetze, dann ist die Materialität nicht mehr klar fassbar. Und dies führt dazu, dass unsere Sehgewohnheiten hinterfragbar werden. Das Motto des Entwurfs ist ›Original und Fälschung‹ – dies passt doch bestens zum Motiv der Sammlung.« K. E.
Bauherr: Sanierungsgesellschaft Südliche Innenstadt Solingen GmbH & Co., Solingen Architekt: Reinhard Angelis, Büro für Architektur und Gestaltung, Köln Mitarbeiter: Lisa Ehses, Christian Korte, Markus Kraszinat Bauleitung: Martin Janda Tragwerksplanung: Pirlet & Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Köln Haustechnik: Ingenieurbüro Rainer Behlen, Solingen Bausumme: 900 000 Euro Bruttogeschossfläche: 1078 m² Bauzeit: Dezember 2005 bis Juni 2006
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de