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Neuerliches Debakel bei »BER«

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Neuerliches Debakel bei »BER«

Das Bauprojekt des neuen Berliner Flughafens BER hält beinahe täglich Überraschungen bereit. Zwei Tage vor einer Aufsichtsratssitzung der schwer

~Bernhard Schulz

angeschlagenen Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH sickerte durch, dass der beim letzten Mal auf die peinlichste Weise verschobene Eröffnungstermin nun auch im März kommenden Jahres nicht stattfinden kann. Durchgesickert oder durchgesteckt – ein Politiker wollte sich nicht äußern. Nun wird der Spätsommer 2013 genannt. Genaueres soll aber erst im September verkündet werden.
Bei allen Klagen über Missmanagement, Inkompetenz und Kommunikationspannen lässt sich allerdings die eigentliche Dimension des Problems leicht übersehen. Sie heißt Komplexität. Und sie hat zwei, eng verzahnte Ebenen: die Ebene des Bauvorhabens selbst, was von den Planvorgaben über die Bauplanung, die Ausführung bis zur Finanzierung reicht, und die Ebene der Politik, in die das Projekt eingebettet liegt, und die die Vorgaben formuliert, insbesondere den jeweiligen Finanzrahmen.
Mit der Komplexität des Einzelprojekts ist der Bauherr Flughafengesellschaft heillos überfordert. Die Entrauchungsanlage, die noch nicht ein einziges Mal in toto getestet wurde und dem Vernehmen nach auch bei kleinen Teiltests nicht funktioniert hat, ist zwar das technische Hauptproblem, aber dennoch nur Ausdruck für das Versagen insgesamt. Fataler noch, weil später nicht mehr korrigierbar wie eine fehlerhafte Sicherheitstechnik, sind die Fehlentscheidungen, die aufgrund völlig unrealistischer Kostenvorgaben getroffen wurden. Der dickste Brocken, finanziell gesehen, ist der Lärmschutz, den die Flughafengesellschaft auszuhebeln suchte, nun aber per Gerichtsentscheid erst recht auferlegt bekam: Mehrkosten knapp 600 Mio. Euro. Geradezu aberwitzig sind kurzfristige Einsparungen wie der Verzicht auf einen Tunnel zu einem möglichen, tatsächlich aber wohl bald schon notwendig werdenden Satelliten- terminal auf dem Vorfeld.
Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass zu viele unverbundene oder gar konkurrierende Vorgaben unter einen Hut gebracht werden mussten. Dabei haben die Beteiligten schlichtweg den Überblick verloren. Firmen werkelten drauflos und blieben an der mangelnden Vorarbeit Dritter hängen. Die Flughafenchefs waren nur noch damit beschäftigt, den Deckel auf dem überkochenden Topf zu halten und gegenüber Politik und Öffentlichkeit Optimismus zu verbreiten – bis dann Anfang Mai das heillos verspätete Eingeständnis erfolgte, den Eröffnungstermin nicht halten zu können.
Als Bauernopfer erkor die Flughafenleitung die Generalplanungsgesellschaft gmp/JSK aus, der kurzerhand gekündigt wurde. Damit ist ein ernstes Problem insbesondere im Öffentlichen Bauen benannt: die Rolle der Architekten. Sie sollen umsetzen, was die Politik entscheidet. Die aber pflegt die Vorgaben im laufenden Geschehen zu verändern. So wurde die Kapazität von BER zwischendurch erhöht, von 22 auf 27 Mio. Passagiere jährlich. Die Folge: Zwei seitliche Piers mussten angestrickt werden, die Losung vom »Flughafen der kurzen Wege« wurde Makulatur. Jedenfalls für die Billigflieger, die – wie überall – ganz außen parken müssen.
Hinter vorgehaltener Hand wird gmp vorgeworfen, aus »ästhetischen Gründen« die Entrauchungsanlage falsch geplant zu haben, nämlich durchs Tiefgeschoss statt übers Dach – um diese »signifikante Großform« (gmp-Partner Hubert Nienhoff) nicht zu stören. Über diesen und tausend andere Vorwürfe werden Gerichte befinden, denn die Flughafengesellschaft hat Feststellungsklage eingereicht, um künftige Schadensersatzforderungen abzusichern. Nicht einmal ein Großbüro wie gmp könnte einen mehrjährigen Rechtsstreit in Grundsatzdingen ohne vorhersehbaren Schaden wagen.
Der tatsächliche Schwarze Peter liegt bei der Politik. Sie ist der Komplexität ihrer eigenen Vorhaben kaum noch gewachsen. In Berlin ganz gewiss nicht. Nicht nur, dass der BER von vorneherein als Schnäppchen verordnet wurde, um die Zustimmung der Öffentlichkeit zu finden – und nun mit gut 4 Mrd. Euro doppelt so viel kosten wird, wie anfangs behauptet. Die mittlerweile errechneten Mehrkosten in Höhe von 1,17 Mrd. – bezogen auf einen zwischenzeitlich bereits erhöhten Kostenrahmen – sind aufgrund der neuerlichen Verschiebung erneut überholt. Ohnehin wurde die Kapazität von BER zu gering veranschlagt. So wird der Flughafen auch in der »angestoppelten« Form in wenigen Jahren an seine Grenzen stoßen – mit der Folge entweder banaler oder teurer Erweiterungsbauten. Wahrscheinlich beides.
Definitiv vollständig versäumt aber hat es die Berliner Landespolitik, den Bau eines neuen Flughafens in den Gesamtzusammenhang der Stadtentwicklung einzubetten. Zwei riesige Flughafenareale sind (Tempelhof) bzw. werden (Tegel) frei. Welche Rolle diese Areale im Gefüge der Stadt einmal spielen sollen, ist ungeklärt; die allfälligen, meist ohne realistische Verankerung geäußerten »Visionen« einmal beiseite gelassen. Und nur ein Thema für Fachtagungen sind die Wanderungsbewegungen, die die Verlagerung des Flugbetriebs von Tegel, vom Nordwesten in den Südosten der Stadt nach sich ziehen wird, in puncto Gewerbe, Verkehr, Wohnen.
gmp’s meisterlicher Erstling Tegel tut mittlerweile 38 Jahre seinen Dienst. Gut möglich, dass TXL noch einen runden Geburtstag erleben wird.
Der Autor ist Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegel, Berlin.
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