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Neue Spielräume

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Neue Spielräume

Interview mit Stefan Diez
Ab Januar 2008 wird sich die db mit den Themen Licht, Gebäudeautomation und -steuerung, Medien und Kommunikation beschäftigen und im Rahmen einer Artikelserie deren funktionalen und gestalterischen Einfluss auf die Architektur untersuchen. Wir sprechen mit Wissenschaftlern, Produktentwicklern und Designern über den aktuellen Stand der Technik und die zu erwartenden Innovationen.

Der Industriedesigner Stefan Diez entwirft zur Zeit eine neue Schalterserie und hinterfragt die seit Jahrzehnten fast unverändert gebliebenen technischen Standards.
Herr Diez, Sie entwerfen Möbel, Garderoben, Stühle, Regale für Unternehmen wie Thonet, Flötotto, Schönbuch und Moroso; aber auch Taschen, Kochgeschirre und Besteckserien. Kann ein Industriedesigner alles entwerfen?
Die meisten meiner Aufträge haben für mich etwas Jungfräuliches, da ich fast noch nichts zweimal entworfen habe. Die Frage, ob ein Designer alles entwerfen kann, steht für mich noch im Raum, sicherlich wird es irgendwann ein Projekt geben, mit dem ich nicht zurechtkomme.
Meine Motivation ist die Neugier, auch bei etwas so Trockenem wie einer Schalterserie. Die allgemeine Frage, ob es bei einem Projekt um ein für die Gesellschaft interessantes oder weniger interessantes Produkt geht, beantworte ich aus meiner eigenen Perspektive. Auch in eigentlich trockenen Themen kann große Spannung liegen, außerdem habe ich keine Berührungsangst vor komplexeren Arbeiten. Das sehe ich sportlich. Einen Stuhl zu entwerfen ist eine komplexe Aufgabe. Stühle gibt es seit vielen tausend Jahren, das Sitzmöbel hat sich in seinen Anforderungen kaum verändert. Aber die Materialien, die Produktionstechniken und der Geschmack haben sich verändert. Die Aufgabe, einen Holzstuhl zu entwerfen, ist etwas ganz anderes als einen Lichtschalter zu entwerfen.
Was ist zuerst da? Die Idee des Designers oder der Gestaltungswunsch eines Herstellers?
Ich arbeite ausschließlich mit Auftrag. Der Hersteller kommt also auf uns zu. Wir unterhalten uns dann darüber, was er vorhat, welche Motivation ihn bewegt. Wenn bereits eine lange Tradition in der Zusammenarbeit mit Designern besteht, dann sucht er sich in der Regel gezielt jemanden für eine gemeinsame Arbeit aus. Es kann aber auch sein, dass man von einem Unternehmen eine Anfrage erhält, das noch nie oder schon sehr lange nicht mehr mit Designern zusammengearbeitet hat. Viele Firmen haben die Kommunikation mit den Gestaltern verlernt, was die Zusammenarbeit schwierig werden lässt.
Möbel, Regale oder Besteckserien sind seriell hergestellte Produkte, bei denen Funktion und Gestaltung eine Einheit bilden. Für Merten gestalten Sie gerade eine Schalterserie. Zwischen dem Schaltvorgang und dem daraus resultierenden Ereignis, der Raum wird beleuchtet, besteht kein physischer Zusammenhang. Bedeutet das nicht eine große Freiheit für den Designer?
Der fehlende Zusammenhang gibt an sich noch keine neue Freiheit. Heutzutage geht es nicht nur um den Lichtschalter, die komplette Haustechnik muss in einem schlüssigen System integriert sein.
Natürlich kann man das Licht auf hundert verschiedene Arten einschalten. Es gibt jedoch Muster, auf die man sich gesellschaftlich geeinigt hat. Jeder weiß wie eine Türklinke oder ein Kugelschreiber funktionieren, das sind Standards, sie funktionieren einfach. Würden wir uns darauf einigen, unser Licht mit einem Fingerschnippen einzuschalten, bräuchten wir auch eine Lösung, wenn wir Licht dimmen wollen. Wir müssten uns eine Geste einfallen lassen, die sozusagen einen graduellen Zustand herstellt. Man kommt sehr schnell dahinter, dass es ein vernünftiges Interface braucht, welches zwischen den einzelnen Bedienvorgängen Verwandtschaft zeigt, das jedoch nicht allzu weit von unserer Erfahrungswelt entfernt ist. Tatsächlich besteht in diesem Fall die größte Restriktion darin, ein etabliertes technisches System aufzuweiten und neu zu interpretieren.
Ein Beispiel: Das deutsche beziehungsweise nordeuropäische System besteht darin, dass wir in 71 mm Abständen Löcher in die Wand bohren und anschließend jedes Loch mit einer Funktion füllen. Als dieses System eingeführt wurde, hat man nicht mehr als geschaltet und gesteckt. Heute dimmt man nicht nur, man regelt, man interagiert mit Heizungssteuerungen und ähnlichen Systemen. Das Problem ist, dass wir für sehr komplexe Funktionen nur sehr wenig Platz haben, wobei andererseits ein simpler Antennenstecker im Verhältnis unglaublich viel Platz benötigt. Das sind Ansatzpunkte, die mich in diesem Zusammenhang interessieren.
Wie konkret sind die Vorgaben, welche Freiheiten haben Sie?
Wir arbeiten ausschließlich an solchen Projekten, von denen ich denke, dass sie mir in ihrem Verlauf genügend Freiheiten zum manövrieren bieten. Wir beschäftigen uns bei dem jetzigen Projekt mit der Technik, die in der Wand steckt, also der elektrischen Seite, genauso wie mit der Technik, die sich auf der Wand befindet. Das Entscheidende ist: Das, was sich in der Wand befindet, beeinflusst in eklatanter Weise das, was sich vor der Wand befindet. Wir haben bei dieser Arbeit die riesige Chance, über verschiedene Innovationen, die wir hinter der Wand einführen, vor der Wand ganz neue Freiheiten zu bekommen.
Industriedesign bewegt sich innerhalb der Grenzen, die die industrielle Massenfertigung vorgibt. Können Sie sich von den gewohnten Herstellungsprozessen unabhängig machen?
Wir wollen etwas entwerfen, das wir in zwei Jahren verkaufen können, und daher verbietet es sich für mich, eine Idee vorzuschlagen, wie es beispielsweise Jürgen Mayer H. anlässlich eines im Unternehmen gemachten Workshops gemacht hat, nämlich Schalter über eine elektrische Aura zu steuern. Natürlich ist ein solcher Vorschlag im Umfeld eines Workshops absolut wichtig. Wir wollen jedoch ein Serienprodukt schaffen, das mit den heutigen Möglichkeiten herstellbar ist und mit bestehenden Systemen kompatibel bleibt.
Die Produkte, die wir heute kennen, sehen aus wie versinnbildlichte Morsealphabete. Ich möchte ein System haben, das eher dem normalen Alphabet entspricht. Eine Schalter- oder Steckdosenleiste wird also nicht als Konglomerat addierter einzelner Produkte wahrgenommen werden, sondern als Gesamtprodukt.
Wir sprechen hier über Gebäudeautomation, Gebäudesteuerung. Die bereitgestellte Funktionsvielfalt, die Bedienung dieser Technologien überfordert viele Menschen, die Akzeptanz lässt zu wünschen übrig. Sollte nicht jemand die Entwicklungsingenieure bei der Hand nehmen und ihre Geräte und Funktionen »gestalten«? Zur Funktion auch eine ergonomische Entsprechung finden. Ist das eine Aufgabe für einen Designer oder bleibt er bei seinem dreidimensionalen, berührbaren Sujet?
Unser Projekt mit Merten wird nicht allein von uns durchgeführt, sondern vom Industrieberater Stylepark moderiert und von weiteren Planungspartnern begleitet. Als Designer haben wir die Rolle, den Erfahrungsschatz dieser Partner zusammenzuführen. Das, was wir im Dreidimensionalen entwerfen, bekommt dadurch eine »zweidimensionale« Interface-Entsprechung. Sehr wichtig ist es, dabei zu überlegen, was überhaupt als Funktion und Produkt sinnvoll ist. Die ganze Hauselektronik ist zum Teil vermutlich von Leuten erfunden worden, die eine riesige elektrische Eisenbahn im Keller haben. Der Anwender, der unsere Produkte später bedienen soll, wird sehr viel pragmatischere Ansprüche haben. Es wird eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Nutzer mit den Produkten konfrontiert sein.
Zu den vielen Steuerungsmöglichkeiten fehlen oftmals sinnvolle Entsprechungen. Bezüglich der Bussysteme hat man versucht, die Nützlichkeit mit Sicherheitsaspekten zu begründen. Sie fahren beispielsweise in den Urlaub, vergessen, ihr Bügeleisen auszuschalten und werden darüber informiert. Wenn das ein wirkliches Problem wäre, sollte man einfach eine Zeitschaltuhr in das Bügeleisen einbauen, die das Gerät nach einer gewissen Zeit ausschaltet.
Bislang kann von Komfortlösungen keine Rede sein, letztlich muss ich doch wieder selbst kontrollieren und agieren. Eine Gebäudesteuerung muss in der Lage sein, aktiv zu reagieren und Probleme zu lösen. Sie darf sich nicht auf die Informationsübermittlung beschränken.
Richtig! Dieses Problem lässt sich auf sehr viel intuitivere Art lösen. Wir werden im Rahmen unserer Arbeit hierzu neue Vorschläge machen, um diese Technik für den Nutzer brauchbarer zu machen. Wir werden diese Probleme sicher nicht auf einen Schlag lösen, möchten aber einen Anfang finden, der für die kommende Zeit neue Spielräume eröffnet. •
Stefan Diez, geboren 1971, absolvierte eine Tischlerlehre und anschließend ein Studium an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste. Während seines Industrial Design Studiums arbeitete Diez für Richard Sapper und Konstantin Grcic, bei dem er von 1999 bis 2002 Assistent war. 2002 gründete er ein eigenes Designbüro in München. Stefan Diez legt auf einen Entwurfsansatz wert, der dem Designer die Freiheit gibt, sich nicht nur mit Oberflächen und Formen zu beschäftigen, sondern ein Produkt komplett zu entwerfen. Von seinen Auftraggebern fordert er den Verzicht auf starre Vorgaben und die Bereitschaft, ihn auch grundlegende technische Anforderungen formulieren zu lassen. Der Münchner Industriedesigner wurde mit zahlreichen Designpreisen ausgezeichnet.
Mit Stefan Diez sprach Rolf Mauer am 8. August in München.
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