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neue chancen für l’aquila
~Claudius Ziehr
Noch während man nach dem schweren Erdbeben in der Abruzzenstadt L´Aquila nach Opfern suchte, wedelte Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit Plänen für – wie er sie nannte – »New Towns« herum. Die Idee, abseits der zerstörten Orte neue Wohnungen und öffentliche Einrichtungen zu bauen, hätte den Vorteil, die Flüchtlinge schnellstmöglich aus den Zeltstädten in dauerhafte, erdbebensichere Häuser zu übersiedeln. Doch dagegen regt sich Widerstand, auch in Berlusconis Partei. Denn das Konzept ist nicht neu. Nach einem Erdbeben im Januar 1968 in Sizilien wurden die Reste des zerstörten Gibellina von dem Künstler Alberto Burri mit einem Leichentuch aus Beton zugedeckt. Ein neues Gibellina wurde unter Beteiligung vieler renommierter Architekten in achtzehn Kilometer Entfernung errichtet. Doch die Erdbebenflüchtlinge nahmen diese Stadt nie an, und Gibellina Nuova macht heute den Eindruck einer Geisterstadt.
Immerhin ist die Wiederherstellung der barocken Kirchen von L’Aquila unstrittig, und es haben sich auch schon Sponsoren gefunden. So will die Bank Monte dei Paschi di Siena die Rekonstruktion der Kirche San Bernardino di Siena finanzieren. Doch die Kirchen sollen nicht in einem toten Freilichtmuseum stehen, sagt Bürgermeister Massimo Cialente. Er regte an, dass die nicht vom Erdbeben betroffenen italienischen Provinzen Patenschaften für einzelne zerstörte Straßenzüge übernehmen.
Anders stellt sich die Situation in den Dörfern östlich der Provinzhauptstadt dar, von denen am 6. April viele wesentlich stärker zerstört wurden. Sie litten schon vor dem Erdbeben unter einer starken Abwanderung. Das wird sich wohl verstärken, wenn die Einwohner keine attraktive Perspektive haben. Ein Vorbild könnte das Dorf Santo Stefano di Sessanio sein, das seit dem Zweiten Weltkrieg neunzig Prozent seiner Einwohner verloren hat. »Vor fünf Jahren sah das Dorf so aus wie heute die vom Erdbeben betroffenen Nachbarorte«, sagt Daniele Kihlgren. 2004 kaufte der Millionärssohn aus Mailand das halbe Dorf auf, um die Idee eines »Albergo diffuso« zu verwirklichen, eines über den ganzen Ort verteilten Hotels. Damit wurde Santo Stefano wiederbelebt und Arbeitsplätze für die verbliebenen Einwohner gesichert. Die Architekten Di Zio und Di Clemente aus Pescara achteten bei der Restaurierung auf strikte Verwendung historischer Bauweisen. Offenbar mit Erfolg: Zwar fiel während des Bebens ein mittelalterlicher Turm ein, doch die Häuser des Hoteldorfs überstanden es mit wenigen Kratzern.
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