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Minimalistisches Outfit

Zweifamilienhaus in Müllheim
Minimalistisches Outfit

Minimalistisches Outfit
1 Die verschränkte Treppenanlage weckt Assoziationen an die zeichnerischen Visionen Giovanni Battista Piranesis 2 Die ebenso spiegelnde wie auch durchscheinende Polycarbonat-Hülle sorgt für wechselnde Farbspiele auf der Gebäudehaut 3 Blick in den Spitzboden; erwärmte Luft wird mechanisch in die unteren Geschosse zurück- oder über den Firstbereich nach außen abgeführt 4, 5, 6 Bei Nacht wird die innere Struktur des Gebäudes deutlich 7, 8 Das offene Atrium nimmt die gesamte Gebäudehöhe ein und wird von den Architekten augenzwinkernd »Energiegarten« genannt. Hier verteilt sich in Heizperioden warme Luft ungehindert durchs ganze Haus
In der Kubatur ein klassisches Wohnhaus, das sich den örtlichen Gestaltungsrichtlinien fügt, im Detail eine komplexe Raumstruktur, flexibel bewohnbar, in ungewöhnlichem Gewand. Die Polycarbonathülle hebt den Bau nicht nur aus der Masse der umliegenden Einfamilienhäuser heraus, sondern ist auch wichtiger Bestandteil des Energiekonzepts. In its cubic mass, a classic house which observes the local design regulations; in detail, a complex spatial structure, for flexible living in an unusual guise. The polycarbonate envelope not only lifts the building out of the bulk of surrounding detached housing but it is also an important constituent of the energy concept.

Text: Werner Jacob

Fotos: Ruedi Walti
Es steht ein Haus am Siedlungsrand. Ganz schlicht und reduziert: Als wär’s das Haus vom Nikolaus. Vier Wände um ein Quadrat, darauf ein spitzes Dach gesattelt – ein Haus ist ein Haus ist ein Haus. Punktum. Keine Arabesken. Keine Dachüberstände, keine Gauben, Türmchen, nicht mal eine Dachrinne. Scheinbar fugenlos die Hülle, wandbündige Lichtöffnungen. In den Giebelfassaden im Erdgeschoss raumhohes, beinahe quadratisches Glasentree hier, gleichgroß gläserner Terrassenaustritt dort; an den Traufseiten stehende Fensterformate, ebenso giebelseitig im ersten Stock; im darüberliegenden Dachgeschoss ein schlank liegendes Lichtband im blaugrau verputzten Porenbeton.
Und das Giebeldreieck schimmert metallen, blendet sonnentags im direkten Licht. Ebenso Traufwände und Fünfundvierziggrad-Dach. Welches nachts poetisch leuchtet wie ein gestrandeter Stern. Ganz prosaisch indes geschuldet den transluzenten Fünffachstegplatten aus Polycarbonat, in die das Gebäude gekleidet ist. Passives wie zugleich aktives Energieelement: Dämmt allein mit U-Wert 1,15, welcher winters durch eine innenseitig stehende Luftschicht zusätzlich abgesenkt wird; und schaufelt mit dem Licht ganzjährig Wärme ins Haus. Welche sommers über motorisch bewegte Dachluken emigriert, in kühleren Zeiten zu Hause bleibt und dann durch einen Umkehrkamin vom Top hinunter zu den Füßen zirkuliert.
Doch zunächst zu Grundriss und Konstruktion. Aufgerichtet über einem Geviert von zwölf mal zwölf Metern, werden je drei Zwölfquadratmeter-Module zusammengebunden zu einem Funktionsriegel, vier Meter breit, zwölf lang. Firstparallel zieht sich ein solcher als »Mittelschiff« durchgängig offen durchs Erdgeschoss, nimmt in einem querrechteckigen Kubus am Eingang Garderobe und Gästetoilette auf, schirmt das dahinterliegende Atrium vor Einblicken vom Entree ab. In den spiegelbildlichen »Seitenschiffen« befinden sich je drei Räume: Küche und Essen, Aufenthalt, Facilities – Widerschein des Wohnkonzeptes: Zwei Partien teilen sich die 450 Quadratmeter Wohnfläche auf allen dreieinhalb Ebenen. Freilich nicht nach dem Töpfchen-und-Kröpfchen-Prinzip – ich die Sonnen-, du die Schattenseite –, sondern nach ausgeklügeltem Ausgleich: Schräg von Ecke zu Ecke läuft die Nord-Süd-Achse durchs Haus, erlaubt so eine passiv heliotrope Balance der Baupartien.
In der längsrechteckigen Zentralsektion des Mitteltrakts nimmt die bis unters Dach offene Halle an ihren Längsseiten je einen offenen Treppenlauf auf. Gegenläufig angeordnet, gelangen darüber die jeweiligen Bewohner in den ersten Stock, wo die nun quer zum First liegenden Riegel je drei geschlossene Schlafräume nebst Sanitärzelle bieten; zudem gegenüberliegend je eine so zentrale wie offene Galerie. Und wieder gegenläufig zu erklimmen, führt die piranesische Treppenanlage in einer weiteren Drehung zur letzten Ebene mit je einem nutzungsneutralen Zimmer.
Wesentliche Voraussetzung für das effiziente Energiemanagement – nach kybernetischer Systemanalyse nahe dem Niedrigenergiehausstandard – ist der zentrale »Schaltraum«: das gebäudehoch offene Atrium, von den Architekten augenzwinkernd »Energiegarten« genannt. Hier hinein fällt mit dem Licht die passiv gewonnene Sonnenwärme; und vom Boden dieser polyvalenten Schnittstelle steigt in Heizperioden ungehindert warme Luft durchs ganze Haus: Die Betonböden und -decken bergen bauteilaktivierende Heizschlangen, die gleich wie die Handtuchheizungen in den Bädern gespeist werden aus einer regional betriebenen Holzschnitzelanlage – eine Umweltauflage der Gemeinde, die bestimmt, dass in diesem Baugebiet zehn Jahre lang keine Fremdenergie eingesetzt werden darf.
Gleichwohl ist für die Zeit danach vorgesorgt: In die vorerst als Stauraum genutzten Giebelspeicherspitzen sowie in den an der nördlichsten Ecke untergebrachten Technikraum führen Rohrleitungen für allfällige Folgesysteme: Solarmodule auf dem Dach ebenso wie eine holzbetriebene Heizanlage am zentralen Schornstein in der Halle können zukünftig ihre Energie in dann zu installierenden Wasserspeichern deponieren. Und sogar die Gegenwart ist keine herdlose: Offenes Feuer gilt nicht als fremdenergetische Heizquelle, am zweizügigen Kamin – abwärts die der Sonne entzogene Wärme, aufwärts die Rauchgase – werden die Flammen im offenen Kamin mindestens atmosphärische Wärmeeinheiten beisteuern.
Auch von daher erklärt sich der Name des von den Architekten so genannten »Patchwork-Hauses«: Die Niedrigenergiebilanz entsteht aus einem Potpourri aktiver und passiver Elemente. Stringenter noch aus dem optischen Zusammenspiel solch scheinbar disharmonischer Materialien wie Beton, Polycarbonat und Holz. »Natur«-belassen würden sie, mindestens von außen, wohl eher kakophonische Assoziationen hervorrufen. Doch mit dem Kunstkniff, die verputzten Betongiebelfassaden im selben metallischen Blaugrau zu streichen wie die Traufwände, homogenisiert die stählern schimmernde Dach- und Traufwandhaut das »Patchwork« im Tageslicht zum selben technoiden Farbklang.
Freilich ist die futuristische Attitüde eher Mimikry. Denn im Wettbewerb mit High-Tech-Aposteln der Null- oder Plusenergiehäuser können Pfeifer Roser Kuhn Architekten durch pfiffigen Einsatz von Low-Tech mithalten. Die inhäusig gesammelten Joule werden eingefangen und sukzessive von den großflächig freiliegenden Speichermedien wieder freigelassen: Neben den profanen Porenbetonwänden sind dies die sechzehn Zentimeter dicken Brettstapelmodule der Traufwände. Sie sind dunkel gestrichen und erwärmen dadurch die Luft, welche an der Innenseite der bis an den Boden gezogenen Stegplatten bis zum Dach aufsteigt. Eingespeist wird die Frischluft im Sockelbereich, wo eine einfache Rückschlagklappe als Membram fungiert, die bei Unterdruck den Luftstrom in dieses zeitgenössische Hypokaustensystem einlässt. Was erst geschieht, wenn sich die hand- und/oder sensorgesteuerten Dachfenster im Dachfirst öffnen. Wie in einem Aufwindkraftwerk strömt die zu erwärmende Luft durchgängig in einer mindestens acht Zentimeter tiefen Kammer. Anfangs erst in der Senkrechten, um dann vom Traufknick an ungehindert an der Innenseite der Polycarbonat-Dachhaut nach oben zu strömen. Wo sie dann je nach Bedarf, entweder über die Dachluken abgeführt oder über den bidirektionalen Schornstein wieder nach unten ventiliert, um im Aufstrom durch den »Energiegarten« durchs ganze Haus zu vagabundieren.
Für Technofreaks vielleicht nicht die ultima ratio zeitgenössischer Bautechnik. Doch sind die Bewohner des »Patchwork-Hauses« gewiss im Vorteil gegenüber jenen in den hermetisch gegen die Außenwelt abgeschotteten Gehäusen der vordergründig energieeffizienteren Fraktion: Abgesehen von der baumaterialen Kosten-Nutzen-Bilanz, also dem Aufwandsverhältnis zwischen eingesetzter und eingesparter Energie im Lebenslauf des Gebäudes – was Bauherren meist eher »kalt« lässt – ist es doch bestimmt ein Wohlfühlgewinn, in eher symbiotischer Beziehung zwischen Außen und Innen, Licht und Luft durch Türen und Fenster nach Gusto einlassen oder ausschließen zu können. Und nicht ängstlich darauf bedacht sein zu müssen, nur ja nicht die komplexen Lüftungssysteme in solch schleusengesteuerten Autistenboxen durcheinanderzubringen. Wobei den Müllheimern überdies wohl auch eine Bekanntschaft mit dem Sick-Building-Syndrom erspart bleiben wird. W. J.
Bauherr: Dr. Claudia Daubenberger Architekten: Pfeifer Roser Kuhn Architekten, Freiburg Mitarbeiter: Thomas Gillich (Projektleitung); Simone Wechsler Tragwerksplanung: Greschik + Falk + Partner, Berlin Haustechnik: Balck + Partner, Heidelberg Nutzfläche: 304 m2 Bruttorauminhalt: 1329 m3 Kosten: 440 000 Euro Fertigstellung: April 2005 Primärenergiebedarf (dynamisch simuliert): 26 kWh/(m2a) mit thermischen Kollektoren erreichbar: 13 kWh/(m2a)
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