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Architektur am Kalterer See

Lokales Idiom und internationaler Ausdruck
Architektur am Kalterer See

Text: Roman Hollenstein

Das durch malerische Dörfer geprägte Weinbaugebiet am Kalterer See sorgt derzeit mit Bauten von plastischer Präsenz für viel Aufsehen. Den Anfang dieser architektonischen Blüte markierte 1997 ein turmförmiges, von Walter Angonese und Markus Scherer gekonnt ins Dorfbild eingefügtes Weinhaus in Tramin. Ihm folgten 2004 die viel beachteten Zubauten zum barocken Rebgut Manincor, die Angonese – diesmal zusammen mit Rainer Köberl und Silvia Boday – als unterirdisches, an fünf Stellen aus dem Rebberg auftauchendes Bauwerk realisierte. Seit jüngstem nun zieht am östlichen Dorfeingang von Kaltern der rostbraune, neokubistische Monolith eines Winecenters die Aufmerksamkeit auf sich. Das junge Wiener Büro Feld 72, dessen Mitglieder teilweise aus Bozen stammen, schuf ihn in spannungsreicher Auseinandersetzung mit der landschaftlichen Situation. Unten am See schließlich, wo Othmar Barth, der wichtigste Südtiroler Modernist, schon 1973 das Hotel Ambach errichtete, setzen neuerdings ein Kiosk von Angonese sowie das neue Strandbad des Duos Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs vom Wiener Büro The Next Enterprise Akzente. Kern der Anlage bildet eine riesige Architekturskulptur. Diese besteht aus einer in der Untersicht tektonisch zerklüfteten, an Betonkonstruktionen von Zaha Hadid oder Coop Himmelb(l)au erinnernden Kragplatte, die von sieben Stützkernen über das Ufergrundstück gestemmt wird und fast wie ein Flugzeugträger die auf den See hin orientierten Pools und Sonnendecks aufnimmt.
Allgemeine Aufbruchstimmung
Wie kein anderer südtiroler Ferienort verstand Kaltern es dank einer engagierten Wettbewerbskultur, Architektur und Tourismus zu vereinen. Dabei beteiligten sich andere Gegenden der seit 1919 zu Italien gehörenden Provinz schon länger am architektonischen Dialog, der – seit dem Triumph der Tessiner Tendenza vor dreißig Jahren – im zentralen Alpenraum um Themen wie Tradition und gebauter Kontext kreist. Erste Anzeichen eines Neuanfangs finden sich seit den achtziger Jahren in jenen Neubauten, welche die Regierung Südtirols nach Erlangen des Autonomiestatus im Jahre 1972 in Auftrag gab. Heute sind Innsbruck und seine praxisbezogene Baukultur sowie Venedig mit seiner Lust am Theoretisieren wichtige Bezugspunkte, studieren doch die meisten angehenden Südtiroler Architekten in diesen Städten. Am klarsten manifestiert sich die vor allem von Westösterreich und Graubünden beeinflusste Erneuerung der Südtiroler Baukunst auf einer Fahrt durch den Vinschgau. Im mittelalterlich anmutenden Mals antwortet dem 1970 vollendeten, burgartig kompakten Gamperheim des Bozner Altmeisters Helmut Maurer ein präzis gesetztes Zeichen: die Erweiterung der alten Lokremise der vor kurzem wiedereröffneten Vinschgaubahn. Das Gebäude stammt wie die meisten neuen Bahnhofsbauten sowie einige bemerkenswerte Wohnhäuser zwischen Mals und Meran von Walter Dietl. Zeugen dessen Bauten von einem Hang zur Einfachheit, so steht das vor wenigen Monaten von Thomas Höller und Georg Klotzner im Dorfzentrum von Schenna erbaute, extravagante Geschäftshaus eines Goldschmieds für die derzeit besonders erfolgreiche Mischung aus lokalem Idiom und internationalem Ausdruck.
Unweit dieses viel diskutierten Hauses befindet sich der neue botanische Garten von Meran. Hier konnten 2004 die jungen Südtiroler Kurt Rauch, Rita Pirpamer und Andreas Grasser vom Architekturbüro Sofa ein von der eklektizistischen Wiener Szene beeinflusstes, zwischen Rem Koolhaas‘ Villa dall’Ava und Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon oszillierendes Besucherzentrum erstellen. Das eigentliche Juwel, mit dem die Touristenstadt aufwarten kann, ist jedoch das hoch über dem Tal thronende Schloss Tirol, das 2003 von Angonese und Scherer mit gezielten Interventionen zum kulturhistorischen Landesmuseum umgestaltet wurde. Im Zentrum von Meran hingegen arbeiteten die beiden Bozener Architekten Zeno Abram und Heiner Schnabl an der Typologie der ineinander verschachtelten Altstadtbauten weiter und schufen einen um drei Innenhöfe komponierten Neubau, der sich an der Freiheitsstraße mit kühner Geste auf ein kleines Bankhaus abstützt.
Urbanistische Erneuerung
Weniger spielerisch erscheinen die städtebaulichen Eingriffe in Bozen, das sich den internationalen Einflüssen gegenüber besonders offen zeigt. So wurde das 1936 vollendete ehemalige GIL-Gebäude, ein rationalistisches Meisterwerk aus der Mussolini-Zeit, 2002 vom Grazer Klaus Kada um einen diskreten, dunkeltonigen Glasbau zum Sitz der Europäische Akademie (Eurac) erweitert. Städtebaulich ebenso präzise gingen die beiden Züricher Matthias Bischoff und Roberto Azzola vor, als sie zwischen 1998 und 2005 die Neubauten der Freien Universität Bozen passgenau ins Altstadtgefüge integrierten.
Südlich von Bozen kann sich neben der KaltererSee-Region die schnell gewachsene Stadt Leifers mit einem interessanten Neubau behaupten: der Erweiterung der katholischen Pfarrkirche durch Höller & Klotzner aus Meran. Der in Form einer bronzefarben schimmernden Pyramide gestaltete Anbau, welcher aus der exakten architektonischen und städtebaulichen Analyse des Ortes resultiert, evoziert im Innern mit der leicht geneigten Stirnfront einen schwebenden Eindruck, der dem Raum eine sakrale Ausstrahlung verleiht.
Ländliche Interventionen
Der katholischen Kirche sind noch andere architektonisch bemerkenswerte Lösungen zu verdanken, etwa die unlängst von Gerhard Mahlknecht und Heinrich Mutschlechner durchgeführte Vergrößerung des Friedhofs von Luttach im Ahrntal, als deren Highlights sich eine perfekt gesetzte Zugangsrampe und eine fast japanisch wirkende Aufbahrungskapelle aus hellem Sichtbeton erweisen. Selbst in den weniger zentrumsnahen Tälern Südtirols, wo seit 1992 in Sexten die internationale Auszeichnung »Neues Bauen in den Alpen« verliehen wird, begegnet man heute spannenden Neubauten. Sie zeugen von einem baukünstlerischen Aufbruch, der von der Architekturzeitschrift »turrisbabel« dokumentiert und durch den »Architekturpreis Südtirol« gefördert wird. Trotz wachsender Weltoffenheit entstehen die besten Bauwerke noch immer dort, wo einheimische Architekten – herausgefordert durch die urbanistischen, kulturellen oder baulichen Gegebenheiten – nach neuartigen regionalen Ausdrucksformen suchen.
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