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Landschaft auf Rezept

Oder: Architektur als Therapie
Landschaft auf Rezept

Forschungen belegen, dass Architektur und Landschaftsgestaltung Einfluss auf den Therapieverlauf von Patienten haben. Im Krankenhaus Wien Nord, das sich z. Z. in Planung befindet, soll daher nun erstmals ein sogenannter Healing Garden realisiert werden. Das Projekt der Bostoner Landschaftsarchitektin Martha Schwartz könnte die Außenraumgestaltung von Krankenhäusern revolutionieren.

Text: Wojciech Czaja

In Wien soll bis 2015 das Krankenhaus Nord entstehen. Mit 850 Betten wird es eines der größten Spitäler Österreichs sein. Das Ungewöhnliche daran: Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) wünschte sich von Anfang an ein sogenanntes Wohlfühlspital. Sonja Wehsely, Stadträtin für Gesundheit und Soziales, sprach gar von einem »Beitrag zur Steigerung der Effizienz im Wiener Gesundheitswesen«. Und die Wettbewerbsjury unter Vorsitz der hospitalerprobten Schweizer Architektin Silvia Gmür stellte schon am ersten Tag ihrer Auswahltätigkeit fest: Egal wie, doch das Krankenhaus Wien Nord müsse als »Lokomotive der Krankenhausentwicklung in Wien« hervorgehen.
Architekt Albert Wimmer, ein gut vernetzter Zampano im Wiener Baugeschehen, gewann den Wettbewerb in Zusammenarbeit mit der Bostoner Landschaftsarchitektin Martha Schwartz. Und diese holt weit aus. Obwohl sich die Planung noch im Embryonalstadium befindet, lassen die ersten Skizzen große Erwartungen aufkommen. Geplant ist ein 70 000 m2 großer Garten mit Wasserflächen, Irrwegen und zahlreichen Pavillons. Für Demenzpatienten oder für solche, die nicht komplett bettlägerig sind, gibt es auch Hochbeete zum selber Pflanzen und Experimentieren. Nicht zuletzt ist das Gebäude von grünen Atrien durchzogen.
»Es soll nicht nach Spital riechen«, sagt die in Massachusetts und London tätige Architektin. »Das soll ein emotionaler, glücklich machender und üppig grüner Garten sein, der den Stress der Patienten lindert und sich auf den Heilungsprozess positiv auswirkt.« Ein solcher Garten sei nicht nur lebendiges und blühendes Grün, sondern biete auch eine gewisse Distanz zu den Visiten und Operationen, zu den Krankengeschichten und Schmerzen. »Wir werden definitiv mit Farbe arbeiten, wir werden Sitzgelegenheiten vorsehen, wir werden den Leuten die Möglichkeit geben zu lachen. Es gibt Tausende von Möglichkeiten.«
Glückliche Einflussnahme
Was sich anhört wie eine naive Fantasie aus dem Wunschbuch der Architektur, ist wissenschaftlich längst belegt. Zahlreiche Studien aus aller Welt haben sich mit dieser Materie auseinandergesetzt. Steve Mitrione von der University of Minnesota beobachtete, dass bei Patienten, die auf eine grüne Hecke blicken, mehr Alpha-Aktivität zu verzeichnen ist. Sprich: Sie empfinden Entspannung. Bei Patienten hingegen, die auf eine Betonwand schauen, nimmt die Beta-Aktivität zu. Sie haben Stress. »Umgebungen, die das Überleben unterstützen, wurden schon von unseren Vorfahren als visuell attraktiv und entspannend wahrgenommen«, heißt es in der Studie. Das sei bei einem Krankenhaus nicht anders.
Roger Ulrich, Architekturprofessor an der Texas A&M University und Partner am Center for Health Systems & Design, stellte fest, dass Patienten mit Aussicht in den Garten schneller gesund werden als solche, die auf eine Ziegelwand blicken müssen. Der Aufenthalt im Krankenhaus werde dadurch verkürzt. Im Gegenzug warnt er vor dem Einsatz abstrakter Kunst und allzu modernen Designs, da sie bei Menschen in labilen Lebenssituationen mehr Stress als Freude verursachten.
Und Clare Cooper Marcus, Professorin für Landschaftsarchitektur an der University of California in Berkeley, erkannte in einer 1995 durchgeführten Studie, dass Patienten in grüner Umgebung weitaus weniger Schmerzmittel benötigen und im Schnitt um ein paar Tage früher das Krankenhaus verlassen als Patienten ohne natürliche Umgebung. »Je mehr Sinne angesprochen werden, desto niedriger sind Angst und Schmerzempfinden«, schreibt Cooper Marcus. Auch die Zufriedenheit und Gesundheit des Personals nehmen zu und die Krankenstandstage werden deutlich weniger.
Baukosten, Betriebskosten, Therapiekosten
Der volkswirtschaftliche Gewinn eines grünen Krankenhauses ist also schwarz auf weiß belegt. Fragt sich nur, wieso diese Forschungen und Erkenntnisse die Architektur von Krankenhäusern bislang nur unwesentlich beeinflusst haben – und wie viel so ein Garten kosten darf. »Falsche Frage«, entgegnet Architekt Albert Wimmer. »Die Baukosten eines Krankenhauses mitsamt Infrastruktur und Nebenflächen sind im Vergleich zu den Betriebskosten absolut vernachlässigbar. Innerhalb von wenigen Jahren wird die Investition vom laufenden Betrieb regelrecht eingeholt.« Maximilian Koblmüller, stellvertretender Generaldirektor des KAV, kann das bestätigen: »Innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren betragen die Betriebskosten eines Krankenhauses so viel wie die anfänglich getätigten Errichtungskosten. Die Baukosten fallen also gar nicht so ins Gewicht. Viel wichtiger ist es, die Betriebskosten zu reduzieren.« Dass sich die Therapie-und Krankheitskosten durch mehr Grün ebenso reduzieren lassen, ist indes mit Zahlen nicht messbar.
Stellt man die Kosten eines Krankenbetts und die durch einen solchen Garten mögliche Verkürzung des Spitalaufenthalts gegenüber, rechnet Martha Schwartz vor, könnte sich ein »Healing Garden«, wie er in Wien realisiert werden soll, innerhalb von drei bis fünf Jahren amortisiert haben. »Ich glaube fest an die Heilkraft eines solchen Gartens, die Beweise könnten nicht eindeutiger sein«, sagt Martha Schwartz. »Bisher wurden all diese Studien jedoch rückblickend an bereits realisierten Krankenhäusern in den USA durchgeführt. Nun gibt es erstmals die Möglichkeit, so eine »Healing Landscape« vorausblickend zu planen. Dieses Projekt wird die Krankenhausarchitektur revolutionieren.« •
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