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Kulturhauptstadt als Motor

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Kulturhauptstadt als Motor

Von Athen über Glasgow bis zur Ruhrregion, vom Tourismus-Festival zum Stadtentwicklungsinstrument – ein Gespräch mit dem künstlerischen Direktor der Bereiche Architektur, Stadtentwicklung und Bildende Kunst der RUHR.2010, Prof. Karl-Heinz Petzinka, und der Projektleiterin dieses Bereichs, Katja Aßmann, über 25 Jahre europäische Kulturhauptstadt und die Frage: Was bleibt, wenn das Kulturhauptstadtjahr vorüber ist.

Interview: Ulrike Kunkel Fotos: Ilka Drnovsek

Ulrike Kunkel: Lassen Sie uns eingangs kurz auf die generelle Idee einer europäischen Kulturhauptstadt eingehen. Seit dem Beschluss 1985, der einem Vorschlag der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri folgte, haben sich sowohl die Bezeichnung als auch die Idee selbst verändert: Im kommenden Jahr wird nun sogar erstmals eine gesamte Region Kulturhauptstadt sein.
Katja Aßmann: In der Tat wurden in den ersten Jahren mit Athen, Florenz, Amsterdam die gängigen europäischen Kulturmetropolen ausgewählt, bevor mit Glasgow der Titel 1990 erstmals an eine Arbeiterstadt ging. Das war eine entscheidende Zäsur. Der Kulturhauptstadt-Titel hat damals einen erfolgreichen Imagewechsel und einen städtebaulichen Wandel für die Stadt bewirkt. Das hat sich in der Folge weiterentwickelt. Ich glaube, Glasgow ist immer noch die Mutter der neuen Kulturhauptstädte. Und das Ruhrgebiet mit dem regionalen Anspruch ist eigentlich noch mal eine ganz neue Stufe: Nicht nur auf eine Stadt mit ihren Einzelproblemen zu wirken, sondern das Beziehungsgeflecht einer ganzen Region zu betrachten.
Karl-Heinz Petzinka: Man kann sagen, aus dem ursprünglichen Festival des Tourismus ist eine inhaltliche Diskussion über die Stadt geworden, von dort ging es zu einer städtebaulichen Dimension bis hin zur Betrachtung ganzer Regionen. Fakt ist aber, dass im übergeordneten Sinne die Kulturhauptstadt nach wie vor das Gleiche geblieben ist: Nämlich, die Idee, in einen Kommunikationsprozess zu treten.
Also war es durchaus ein kontinuierlicher Prozess, der fast zwangsläufig darin münden musste, dass der Kulturhauptstadtgedanke irgendwann auf eine Region ausgeweitet wurde. Aber warum nun gerade auf das Ruhrgebiet? Genießt es eine europaweite Sonderstellung?
K.-H. Petzinka: Ja vielleicht. Auch früher hatten sich Regionen beworben, die aber nicht gewählt wurden. Wenn es das Ruhrgebiet jetzt geschafft hat, dann weil der Strukturwandelprozess hier bereits spürbar ist, er ist in vollem Gange. Das hat letztendlich auch die Kommission überzeugt und es hieß: »Okay, wenn Ihr das alles schon geschafft habt, dann ist es interessant, in solche Strukturen weiter zu investieren, auch wenn es ein Wagnis bleibt.«
Gibt es herausragende Maßnahmen anderer Kulturhauptstädte, die Ihnen bis heute in Erinnerung sind?
K. Aßmann: Da denke ich natürlich an Glasgow und Porto. Beide haben die Kulturhauptstadt als Stadtentwicklungsinstrument genutzt. Porto hat 2001 die gesamte Stadtinfrastruktur erneuert. Das ist ein Beispiel, das ich wirklich herausragend finde.
K.-H. Petzinka: Mir kommt auch noch Liverpool in den Sinn. Die Stadt hat mit ihrem großen innerstädtischen Einkaufskomplex keine architektonische Marke gesetzt – das muss man dann schon differenzieren – sondern hat Ideen zu Projekten entwickelt, die ohnehin anstanden. Die Liverpooler haben das damals sehr schön formuliert: Wir hätten alles auch ohne die Kulturhauptstadt gemacht, aber die Kulturhauptstadt beflügelt zusätzlich, sie wirkt als Beschleunigungsfaktor. Ähnliches passiert ja nun auch hier im Ruhrgebiet.
K. Aßmann: Die Kunst ist eigentlich, die Kulturhauptstadt nicht nur als Marketingmaschine zu sehen, sondern zu nutzen, um nachhaltige Veränderungen für die Städte und ihre Bewohner zu lancieren. Dabei ist es vor allem wichtig, die Menschen von den Ideen zu überzeugen, sie mitzunehmen und für Neues zu öffnen. Das Bauprogramm kommt dann fast wie selbstverständlich.
Bei der RUHR.2010 bilden 53 Kommunen gemeinsam die Kulturhauptstadt. Das bedeutet viele Meinungen, Interessen, unterschiedliche städtebauliche und architektonische Voraussetzungen. Das birgt einerseits Chancen, ist andererseits aber auch mit besonderen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden.
K.-H. Petzinka: Ich sage mal, in unserer »Stadt der Möglichkeiten« haben wir keine Schwierigkeiten. Ich sage das so pauschal, weil Sie gleich sehen werden, wie die Methodik ein Teil der Lösung ist. Unsere erste Aufgabe war es, zu definieren, welche Vorschläge und Projekte überhaupt für die Aufnahme in das Kulturhauptstadt-Programm qualifizieren. Wir haben es relativ simpel gemacht. Wenn ich die Kulturhauptstadt als meine Zielsetzung beschreiben würde, würde ich sagen, ob dabei eine Straße, eine Seenplatte oder ein Stadtquartier rauskommt, interessiert mich nicht; entscheidend ist, dass wir in einer Zusammenarbeit von verschiedenen Kommunen oder Institutionen zu einem Mehrwert kommen. Die Zusammenarbeit haben wir dann »horizontale und vertikale Verknüpfung« genannt, denn immer, wenn mehrere Beteiligte an der gleichen Idee in eine Richtung arbeiten, entsteht ein Mehrwert. Das meint, wir arbeiten immer Disziplin übergreifend und ein Projekt muss immer mehr als drei Städte betreffen. Und nur, wenn alles zusammenkommt, kann ein Projekt Teil der Kulturhauptstadt sein. Alle wichtigen Projekte haben auf dieser Ebene geklappt. Sie sind übrigens zum großen Teil 2010 nicht fertig, sondern sie haben eine Zeitschiene von bis zu 20 Jahren.
Und das ist unsere Kulturhauptstadt-Idee, die wir programmatisch verfolgen. Weniger die Frage nach einem Einkaufszentrum wie in Liverpool oder einem Konzerthaus. Vernetztes Denken ist gefragt. Für Projekte dieser Art ist die allgemeine Akzeptanz auch größer: Ein Masterplan für eine Bundesautobahn zum Beispiel oder ein 17 Museen überspannendes Konzept, das sind Dinge, die letztendlich alle 53 Kommunen betreffen.
Gibt es andere Länder oder Städte, die sich für Ihre Methodik interessieren?
K.-H. Petzinka: Aus den Niederlanden gibt es großes Interesse. Aber auch Vertreter aus Berlin waren schon zweimal hier, da man sich dort für 2017 mit der Stadtplanungsidee einer besonderen IBA für den Flugplatz Tempelhof auseinandersetzt. Auch Planer aus Hamburg waren zu Besuch und sogar aus Detroit. Und alle übrigens, ohne dass wir sie gezielt eingeladen hätten.
Im Zusammenhang mit der RUHR.2010 wird von der »Metropolregion Ruhr« gesprochen. In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist das sicher plausibel, aber zu einer Metropole gehört schließlich noch etwas mehr. Ist die Idee nicht zum Scheitern verurteilt?
K.-H. Petzinka: Wir haben gesagt: Wir sind eine andere, eine unkonventionelle Metropole. Wenn man hier aus dem Fenster schaut und die fünf Hochhäuser von Essen sieht, dann ist das natürlich nicht metropolitan. Oder die Halden, die Innenstädte, die B1, das ist alles nicht im eigentlichen Sinne metropolitan, aber es ist unsere Metropole. Von mir aus lachen alle darüber, aber wenn man einen Großraum mit 5,5 Mio. Menschen in eine Richtung bewegt, dann ist das ein durchaus urbanes Projekt. Wir bieten Randgruppen Chancen, sich zu entwickeln. Unna Massimo zum Beispiel, ein Quartier mit 350 Wohnungen, die leer stehen, weil es Übergangswohnungen von Aussiedlern waren. Dort können sich nun Kreative ansiedeln. Suchen Sie das mal in einer Großstadt, dort ist es unbezahlbar. Wir glauben, dass die Kreativen ihren Raum hier haben, und wir denken, dass die Wohnungswirtschaft zu neuem Leben erwacht, weil die Mieten niedrig sind, weil wir Wasserflächen haben und noch mehr Seenflächen bekommen werden und einen hohen Freizeitwert bieten. Wir werden dem Rheinland ganz schön Konkurrenz machen. Wir clustern die Wissenschaft, wir clustern Technologie, wir clustern kreative Branchen. Unter dem Begriff der Kreativwirtschaft bündeln wir kreativ arbeitende Industriezweige und Jungdesigner sowie Künstler. Und nicht zuletzt bieten wir attraktive Wohnortgebilde. Attraktiv kann dabei eben auch preiswert und sogar runtergekommen bedeuten, es kommt immer darauf an, für wen.
Derzeitige Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass die Region weiter mit massiver Abwanderung und nur wenig Zuwanderung rechnen muss. Hat da ein Projekt wie die RUHR.2010 überhaupt Möglichkeiten gegenzusteuern?
K.-H. Petzinka: Ob wir erfolgreich gegensteuern können, kann ich noch nicht sagen, aber wir glauben eine geeignete Antwort auf die Abwanderungstendenz gefunden zu haben: Dort, wo Kultur und Kreativität sind, werden Sie immer Interessierte finden, die hin wollen. Wie viele kann ich nicht sagen, aber ohne Kultur und ohne Freiräume kommt gar keiner. Der nächste Schritt ist, die Lebensqualität durch Freizeit- und Wohnumfeldverbesserungen zu steigern. Die demographische Entwicklung, ist letztendlich ein gesellschaftliches Phänomen und kein spezifisches des Ruhrgebiets. Das einzige, was uns unterscheidet: Hier finden die Entwicklungen zehn Jahre früher statt. Wir haben uns also schon jetzt gewappnet, während andere noch vor sich hin dösen. Wir setzen auf Immigration und Internationalität, die Universitäten rücken zusammen in eine neue gemeinsame Ruhr-Universität. Wir haben den Sektor Gesundheitswirtschaft und nicht zuletzt die Logistik als einen großen Wachstumsmotor.
K. Aßmann: Eben sind ja schon ein paarmal die Stichworte Raum für kreativ arbeitende und Kretativquartiere gefallen. Das könnte durchaus eine Initialidee der RUHR.2010 sein, die in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten weiterverfolgt und umgesetzt wird. Derzeit sind wir noch auf dem Weg dorthin.
K.-H. Petzinka: Wenn in Rotterdam und Amsterdam die Mieten davongaloppieren, weil diese Städte einen hohen internationalen Zuzug haben, aber keine Expansionsflächen, dann ist das für viele Künstler dort nicht zu bezahlen. Und so gibt es etliche, die an unseren leerstehenden Hallen und Räumen interessiert waren, schließlich ist Rotterdam nur zwei Zug-Stunden entfernt. Und so hat sich auf einmal ein Stück Kreativwirtschaft entwickelt.
Dann konkurrieren Sie also weniger mit Rotterdam und natürlich auch nicht mit New York, wenn es um die kreative Szene geht, aber immer noch mit Berlin. Dort finden Sie ebenfalls unkompliziert günstigen Raum.
K.-H. Petzinka: Ja, natürlich. Die Attraktivität Berlins werden wir nicht toppen können. Aber zum Glück denken die Menschen verschieden und so werden sich die einen für Berlin und die anderen für das Ruhrgebiet entscheiden. Und wenn Leute zu uns kommen, wird das auch bewirken, dass die Region endlich ihre Stärken sieht und das allgemeine Selbstbewußtsein und die Identifikation mit der Gegend wieder zunimmt. Auch dabei wird uns das Kulturhauptstadt-Projekt helfen.
Da Sie von Selbstbewusstsein und Identifikation sprechen: Es gibt durchaus Kritiker, die sagen, dass sich die Planer sowohl bei der IBA als auch bei der RUHR.2010 zwar mit viel Engagement um die baulichen Hinterlassenschaften gekümmert haben, aber nicht genug um die Menschen in der Region. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
K.-H. Petzinka: Nein, sage ich einfach mal. Aber bei 5,5 Mio. Menschen werden Sie irgendwo immer ein paar Millionen finden, die sich gar nicht angesprochen fühlen. Ansonsten haben wir bewusst die Transformationsarchitektur gewählt, weil sie ganz anders Erinnerungsvermögen und Emotionen weckt als zum Beispiel der Museumsentwurf von Chipperfield in Essen, der sich einem Laien viel schwerer erschließt und der dann eher sagt, das interessiert mich nicht. Aber wenn Sie nach dem Dortmunder U, der Küppersmühle und den Halden fragen, dann hören Sie: »Ja, da habe ich gearbeitet. Die Kunst ist zwar bescheuert, aber da gehe ich hin, da verbringe ich Zeit.«
Lassen Sie uns noch auf die Zeit nach 2010 kommen. Im Anschluss an die IBA war es 1999 ja so, dass viele der Projekte stagnierten, weil es keine Folgegesellschaften gab. Wie wird es nach dem 31. Dezember 2010 aussehen und weitergehen?
K.-H. Petzinka: Ich glaube, das ist ganz einfach. Die EU-Mittel sind bedingungsgemäß auf 20 Jahre zweckgebunden. Also kann ich Ihnen sagen, dass wir zumindest 20 Jahre lang die Projekte, die mit EU-Mitteln gefördert sind, betreiben werden. Projekte wie die der Transformationsarchitektur sind ohnehin auf lange Zeit angelegt. Es sind keine Einmalergebnisse, es sind Prozesse.
K. Aßmann: Das Entscheidende denke ich, ist, dass bei den meisten Projekten die RUHR.2010 nicht der Projektträger ist, sondern wir haben immer Partner mit hinzugenommen, die die Projekte nach 2010 weiterführen. Das hat uns bei der Planung ein bisschen aufgehalten, weil wir natürlich die Partner »abholen«, für unsere Ziele gewinnen mussten. Aber wir haben darüber die Gewährleistung, dass die Projekte weitergeführt werden. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch das Besondere der Kulturhauptstadt, dass wir unangepasst sein können und Experimente zulassen. Experimente führen nicht immer zum Erfolg. Von daher finde ich das gar nicht schlimm, wenn manche Dinge nicht nachhaltig bleiben, aber wir haben Anstöße gegeben. Und wenn nur die Hälfte nachhaltig eine Wirkung zeigt, dann wäre das ein riesiger Erfolg. Auf einmal gibt es wirklich noch eine spürbare Urbanität. Vielleicht schafft man es zum Beispiel, die Metropolen-Card, diese öffentliche Nahverkehrskarte, zu behalten. Wenn das passieren würde, wären wir, glaube ich, wirklich ein Stück weiter in Richtung Ruhrmetropole.
Ein schönes Schlusswort. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
  • Das Interview führte Ulrike Kunkel am 3. Juni in der Zeche Nordstern.
  • Karl-Heinz Petzinka, geboren in Bocholt, ist Architekt und künstlerischer Direktor für die Bereiche Architektur, Stadtentwicklung und Bildende Kunst der RUHR.2010. Er ist Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und Vorsitzender der Geschäftsführung des Immobilienkonzerns THS in Gelsenkirchen.
  • Katja Aßmann, Projektleiterin für die Bereiche Architektur, Stadtentwicklung und Bildende Kunst bei der RUHR.2010, studierte Architektur und Kunstgeschichte. Sie ist Projektleiterin im Europäischen Haus der Stadtkultur und hat den »Baukultur Salon« erfunden und etabliert. Sie arbeitete bereits maßgeblich an der IBA Emscher Park.
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