Allgemein
kirche in die verantwortung!
~Till Wöhler
Der Leerstand der Kirchen, die über Jahrhunderte für christlich geprägte Gesellschaften baulich Urbanität und Zentralität symbolisiert haben, ist symptomatisch für einen gegenwärtig stattfindenden sozialen Wandel. Statt in die Kirche geht man sonntags eher ins Fitnessstudio oder fliegt übers Wochenende mal eben zum Shoppen in europäische Metropolen. Es gibt heute Heerscharen moderner Nomaden, die überall und nirgendwo zu Hause sind, eine Vielzahl schrumpfender Städte – und viele Ratlose, die sich ins soziale Abseits geschoben sehen. Der Sakralimmobilien-Leerstand scheint proportional zu diesen Phänomenen zu wachsen und ist, wenngleich ein Nord-Süd- bzw. Ost-West-Gefälle besteht, spürbar zum gesamtdeutschen Problem geworden. Was tun also mit der »Altlast Kirche«? Dieser Frage gingen Ende 2006 in München Vertreter kirchlicher und öffentlicher Bauverwaltungen, der Denkmalpflege und der Architektenschaft im Rahmen einer Veranstaltung der Akademie der Bayerischen Architektenkammer nach. Nicht ohne Grund: Oft steht nicht nur architektonisch Hochkarätiges, sondern auch die soziokulturelle Identität der Städte und ihrer Bewohner auf dem Spiel.
Diskos, Kneipen, Wohnungen, Reparaturwerkstätten in Sakralbauten? Was in den Niederlanden oder England alltäglich ist, in Deutschland aber manchem als der Anfang vom Ende erscheinen mag, bricht sich auch hierzulande Bahn: Außer neuartigen gemeindlichen Mischnutzungen aus Sakral- und Kulturbetrieb oder Rückbaumaßnahmen angesichts schrumpfender Gemeinden finden aus wirtschaftlichen Gründen inzwischen auch immer öfter Umwidmungen statt, etwa für Gastronomie. Leerstehende Gotteshäuser an andere Religionsgemeinschaften zu übergeben, scheint hingegen für die Oberen der katholischen und evangelischen Kirche jedoch noch abwegiger zu sein als eine »Halleluja-Disko«. Die Vertreter der öffentlichen Bauverwaltungen und der Denkmalpflege wiesen in München darauf hin, dass man traditionelle Denkweisen aufgeben müsse, wenn man das Problem des Leerstands erfolgreich lösen wolle. Noch deutlichere Worte fand der Münchner Oberbürgermeister, Christian Ude, in seiner Funktion als Vorsitzender des Deutschen Städtetages: Es sei nötig, Dämme zu errichten gegen Ansprüche der Kirche an den Staat, Sanierungen zu finanzieren, die sie als Eigentümerin selbst nicht bewältige. Wer zu Zeiten des Wirtschaftswunders absolute Autonomie in allen Belangen für sich beansprucht habe, könne in schlechten Zeiten nicht erwarten, dass die öffentliche Hand seine Probleme löse.
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