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Inspiration oder Ärgernis?

Städtebau zwischen Recht und Kunst
Inspiration oder Ärgernis?

Gebäude entstehen im Kontext spezifisch örtlicher Gegebenheiten. Dazu gehören das Grundstück, seine Topografie, Vegetation und Erschließung, das lokale und regionale Klima – aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die aus der Stadtplanung und der Bauordnung vorgegeben sind. Dieser letzte Punkt bildet den inhaltlichen Schwerpunkt in diesem Heft und soll auch im Fokus dieses Beitrags stehen. Welche Instrumente stehen für die Regelung des Bauens zur Verfügung? Welche Möglichkeiten bieten diese? Wer wendet sie an? Wo liegen die Grenzen? Und vor allem: Lässt sich in diesem Prozess gestalterische Qualität fördern oder gar sicherstellen? Wenn ja: Wie macht man das am besten?

Text: Rüdiger Krisch

Zunächst ein kurzer Blick auf die Grundlagen: Das Baugesetzbuch als Basis des definierten Städtebaurechts weist der Bauleitplanung die Aufgabe zu, »(…) eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung (zu) gewährleisten.« Weiterhin soll sie »dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern (…) sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln.«
Es fällt auf, dass in dieser Aufgabenstellung der Aspekt Gestaltung keine Rolle spielt – er würde völlig fehlen, wenn nicht vor wenigen Jahren das Wort »Baukultur« hier Eingang gefunden hätte. Nach geltender Rechtslage ist Bauleitplanung nicht die Arena, in der gestalterische Ziele diskutiert werden sollen und können. Ihre Inhalte und Verfahren sind gesetzlich klar definiert, sie dienen der Wahrung und dem Ausgleich von Interessen. Damit ist auch klar, warum Bauleitpläne zwar objektive Kriterien wie Art und Maß baulicher Nutzung regeln, aber wenig Einfluss auf die Qualität von Architektur haben. Baugestalt muss vielmehr vor und nach der verbindlichen Rechtsplanung auf kommunalem Parkett verhandelt werden.
Begriffsbestimmungen
Das Rechtsinstrument für die verbindliche Regelung von Bebauung ist der Bebauungsplan. Er ist als kommunale Satzung ein Gesetz mit räumlich begrenzter Geltung. Seine Bestandteile sind eine Planzeichnung und ein Textteil, der in sich gegliedert ist in planungsrechtliche Festsetzungen, die den Planinhalt ins Planungsrecht einbinden und deren Rechtsgrundlage somit das Baugesetzbuch ist, sowie in den bauordnungsrechtlichen Teil der sogenannten Örtlichen Bauvorschriften, die auf der jeweils zuständigen Landesbauordnung basieren. Zum Bebauungsplan werden nach zuständigem Landesrecht grünordnerische Festsetzungen und ein Umweltbericht erstellt, die sich mit den ökologischen Risiken und Nebenwirkungen der Planung beschäftigen und Kompensationsmaßnahmen für die unvermeidlichen Eingriffe festschreiben. Dem Bebauungsplan muss immer eine Begründung beiliegen, in der die Intention und das städtebauliche Leitbild erläutert werden. Die Begründung hat insofern eine hohe Bedeutung, obwohl sie nicht Bestandteil des Rechtsplans ist. Nur selten findet man hingegen leider eine allgemeinverständliche Fibel, in der die Festsetzungen der nicht fachlich informierten Öffentlichkeit erklärt und mit Beispielen zur Anwendung illustriert werden.
Obwohl der Bebauungsplan das zuständige Rechtsinstrument der verbindlichen Bauleitplanung ist, fallen die wichtigen – und gestalterisch relevanten – städtebaulichen Entscheidungen im günstigen Fall schon vor der Formulierung einer Satzung und zwar als Städtebaulicher Entwurf oder vorgeschalteter Rahmenplan. Da diese Instrumente nicht rechtlich verbindlich sind und somit auch in keinem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren abgehandelt werden müssen, ist hier die inhaltliche und politische Freiheit gegeben, die man zur offenen Diskussion von Stadt- und Gemeindeentwicklung braucht. Hier können die Ziele einer Planung verhandelt werden – und auch die regelungstechnischen Mittel, mit denen sie erreicht werden sollen. Dies ist auch der geeignete Zeitpunkt, die betroffene Öffentlichkeit informell in den Planungsprozess einzubeziehen, zum Beispiel in Form von Workshops, Diskussionsforen oder ähnlichen interaktiven Veranstaltungen.
Im städtebaulichen Entwurf (bezogen auf ein begrenztes Gebiet) oder im Rahmenplan (in größerem Umgriff) kann die Angemessenheit der Mittel geprüft, die Tiefenschärfe der Regelungen an die Aufgabe, ihre Komplexität, aber auch ihre Bedeutung im städtebaulichen Umfeld angepasst werden.
Die dadurch verbleibende Regelungslücke kann das Instrument Gestaltungssatzung füllen. Die meisten derartigen Satzungen haben allerdings die lästige Eigenschaft, dass sie schlechte Architektur nicht effektiv verhindern können, gleichzeitig aber wirklich gute Architektur oft erheblich behindern. Das liegt zunächst einmal daran, dass sie von politischen Gremien beraten und beschlossen werden, die aus Laien bestehen und den Kenntnisstand (und Geschmack) des Durchschnitts der Bevölkerung in gestalterischen Fragen widerspiegeln. Zudem ›
› beschäftigen sich Satzungen meist vorrangig mit Kleinigkeiten, definieren Materialien, Proportionen und Details, bleiben aber mangels sauberer analytischer Grundlage Aussagen zu städtebaulich prägenden übergeordneten Themen schuldig.
Gestaltungssatzungen neigen systembedingt dazu, neue Projekte vorrangig nach dem Kriterium ihrer harmonischen Einfügung in die Umgebung zu beurteilen. Das ist leicht zu erklären: wie kommerzielle Bauträger bevorzugt bauen, was sie kennen, verlassen sich auch die Ämter und Räte von Städten und Gemeinden gerne auf dasGewohnte und – zumindest vermeintlich – Bewährte. Allerdings lässt sich mit guten Argumenten hinterfragen, ob Einfügung immer die beste Lösung ist. Ein homogenes Ortsbild kann nicht a priori als erstrebenswert gelten. Brüche und Kontraste müssen nicht schmerzhaft, sie können vielmehr gerade reizvoll sein.
Man stelle sich nur vor, wie eine nach Harmonie strebende Gestaltungssatzung einen großen, mutigen Wurf wie beispielsweise das Ozeaneum in Stralsund beurteilt hätte – und doch hatte selbst die Unesco an diesem Projekt nichts auszusetzen. Denn letztlich steckt Architekturqualität in der Synthese aus dem übergeordneten Dialog zwischen Situation und Intervention und der Umsetzung und Behandlung in Material und Detail. Im Einzelfall wird manches Projekt, das durchaus politisch mehrheitsfähig wäre, durch die Satzung als geltendes Ortsrecht verhindert, ohne jemals in die politische Diskussion zu gelangen. Daher darf eine Klausel für Befreiungen in begründeten Fällen in keiner Satzung fehlen.
Wer entscheidet über Befreiungen von den Vorgaben einer Gestaltungssatzung oder den Festsetzungen eines Bebauungsplans? Üblicherweise liegt diese Befugnis bei der zuständigen Bauordnungsbehörde – und dort leider oft in Händen von Personen, die zwar über Erfahrung in öffentlicher Verwaltung verfügen, aber keinerlei Ausbildung in gestalterischen Fragen durchlaufen haben. Ihre Arbeit sollte daher unterstützt werden durch gestaltungsfachlich kompetentes Urteilsvermögen. Als sinnvolles Instrument dafür haben sich in den letzten Jahren in vielen Städten und Gemeinden beratende Gremien etabliert, die üblicherweise als Gestaltungsbeirat bezeichnet werden. Sie sind im Idealfall besetzt mit handverlesenen Expertinnen und Experten, deren fachliche Kompetenz überregional anerkannt ist und ein breites fachliches Spektrum (Städtebau, Landschaft, Architektur, Energie, Denkmalpflege) abdeckt. Beirätinnen und Beiräte sollten am Ort ihrer Beiratstätigkeit keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen dürfen und insofern meist aus sicherer Entfernung kommen. Es hat sich bewährt, bei der Auswahl der Beiratsmitglieder auf ausgeprägte Kommunikations- und Dialogfähigkeit zu achten, damit das Gremium die Inhalte seiner Arbeit mit den Betroffenen qualifiziert diskutieren und in der Öffentlichkeit angemessen vertreten kann. Denn die Effektivität des Beirats hängt nicht nur vom wechselseitigen Vertrauen in die zuständigen Ämter ab, sondern gerade auch vom Ansehen und Rückhalt in der Bevölkerung.
Gerade traditionsreiche alte Städte wie Regensburg und Salzburg haben sich zu Paradebeispielen entwickelt, wie die Institution eines Gestaltungsbeirats anspruchsvolle, oft innovative zeitgenössische Architektur im Dialog mit historischen Stadtstrukturen ermöglicht, die im Rahmen üblicher Genehmigungsverfahren nicht hätte umgesetzt werden können.
Thesen
Bauleitplanung ist zwar rechtlich erforderlich, um den oben aus dem Baugesetzbuch zitierten Belangen gerecht zu werden und die – oft widersprüchlichen – Interessen der Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Gleichzeitig ist ihr Handlungsspielraum zur Ermöglichung guter oder gar innovativer Baugestalt eng begrenzt. Dementsprechend ist das Verhältnis zwischen Architektur und städtebaulicher Planung keineswegs ein ungetrübtes – die wechselseitigen Vorbehalte sind mir insofern sehr geläufig, als ich auf beiden Gebieten tätig bin. Architektinnen und Architekten fühlen sich durch städtebauliche Vorgaben oft eingeengt und ihrer kreativen Freiheit beraubt, daher rütteln sie am Käfig der Bestimmungen und erzeugen damit nicht selten Verärgerung bei Stadtplanerinnen und Stadtplanern, Ämtern und politischen Gremien.
Typologische und gestalterische Innovation kann im Rahmen der rechtlichen Rahmenbedingungen entstehen, oft ergibt sie sich aber auch im konstruktiv kritischen Widerspruch dazu – oder durch intelligente Interpretation. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Akteure der städtebaulichen Planung, der politischen Entscheidung und der Architektur in intensivem fachlichen Austausch gemeinsam an der Weiterentwicklung der baulichen Umwelt arbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass die Qualitätsdebatten ohne gesetzgeberischen Druck, das heißt außerhalb formalisierter Verfahren ausgetragen werden, ihre Ergebnisse aber trotzdem anschließend in den beschließenden Gremien nachvollziehbar sind. In diese Diskussionen sollte neben der ökologischen auch die zeitliche Nachhaltigkeit Eingang finden: Bauleitplanung hat eine lange Halbwertszeit und muss auch für künftige Generationen noch sinnvoll und anwendbar sein. In der Weiterentwicklung ihrer Interpretation, auch in der graduellen Verschiebung ihrer Grenzen liegt die Bedeutung fachlicher Beurteilungsgremien, die mit der Zeit gehen und Planung wie Politik kontinuierlich beraten.
Seitens der fachlichen Beurteilung aus Behörden zeigt sich ein zwiespältiges Bild: in manchen Ämtern steigt der Anteil von Fachleuten in den zuständigen Behörden, die reinen Verwalter werden entsprechend weniger. Andernorts ist die Tendenz zu beobachten, dass städtebauliche Planung (die im Gegensatz zur Architektur nahezu keinen berufsständischen Schutz genießt) zunehmend von Berufen ohne gestalterische Ausbildung bestimmt wird, zum Beispiel von Vermessungstechnikern, Geographen und vor allem von Juristen. Daher kommt es darauf an, dem gestaltenden Berufsstand zu verdeutlichen, dass nicht nur der gute Entwurf die Architekturqualität verbessert, sondern auch eine kompetente Beurteilung seitens der Bauherrschaft und Behörden wichtig ist. Dies ist eine wichtige Rolle und Aufgabe, die sich Architekt/innen und Stadtplaner/innen nicht aus der Hand nehmen lassen sollten.
Daher werden die Impulse zu gestalterischer Innovation auch in Zukunft vor allem von Architektinnen und Architekten kommen müssen. Eine gewisse gedankliche Freiheit im Umgang mit den Rahmenbedingungen ist gerade von ihnen erwünscht und erforderlich. Gute Bebauungspläne und Gestaltungssatzungen vertragen selbstbewusste Auslegung und bieten die Freiräume an, die anspruchsvolle Architektur braucht. Starke Gestaltungsbeiräte fordern dies sogar explizit und füllen diesen Anspruch im direkten Dialog mit Leben. Das Wechselspiel von Freiheit, Selbstbewusstsein und Verantwortung zwischen planerischer Rahmensetzung und konkretem Entwerfen im – oder gegen den – Rahmen ist der Nährboden für Innovation im Bauen.
Der genauere Blick auf das Thema macht deutlich: Reibereien an der Schnittstelle zwischen Bauleitplanung und tatsächlicher Baugestaltung sind meist Indizien eines mangelnden Dialogs zwischen (fachlicher wie politischer) Stadtplanung und Architektur. Die wechselseitige Skepsis zu mildern und die erwähnten Instrumente zielführend weiterzuentwickeln, kann nicht nur Sache von Akteuren sein, die oft aus ihrer Rolle nicht herauskönnen. Dies wäre ein treffliches Handlungsfeld für eine Einheit, die sich zwischen Politik und Gestaltung bewegt – zum Beispiel für Deutschlands junge Bundesstiftung Bau- kultur, die noch auf der Suche nach ihren Kerninhalten ist? •
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