Allgemein
IndustrieZEIT: Fotografien 1845 – 2010 (München)
~Klaus F. Linscheid
Zwei Ausstellungen im Münchner Stadtmuseum thematisieren in diesem Sommer die Industriefotografie. Eine davon ist die Retrospektive auf die Entwicklung der Industriefotografie von 1845 bis heute. Etwa 200 Originalaufnahmen, vorwiegend aus der Sammlung des Museums, zeigen die Verbundenheit von Fotografie und Industriezeitalter. Parallel wird ein Teilaspekt in einer eigenen Ausstellung behandelt: Bergwerke und Hütten, fotografiert von Bernd und Hilla Becher.
Architektur- und Industriefotos waren die ersten Genres der aufkommenden Fotografie Mitte des 19. Jahrhunderts. Bei Belichtungszeiten von mehreren Sekunden war an eine spontane Abbildung von sich bewegenden Objekten kaum zu denken. Da kam es den Fotografen gerade recht, dass die Ingenieure dieser Zeit die Fotografie zur Dokumentation ihrer Leistungen einzusetzen wussten. Der technische Fortschritt sollte inszeniert und zur Schau getragen werden. Das früheste Industriefoto in der Ausstellung ist eine Daguerreotypie der Franzosen Marie Charles Isidore Choiselat und Stanislas Ratel. Dargestellt wird ein Hüttenwerk in Frankreich mit rauchenden Schornsteinen (um 1845). Neun Jahre später war es der königliche Hoffotograf Franz Hanfstaengl, der die Entstehung der spektakulären Stahl-Glas-Architektur des Münchner Glaspalasts in großformatigen Ansichten festhielt. Diese Bilder spiegeln nicht nur die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse ihrer Entstehungszeit wider, sie sind auch eine Art visuelles Gedächtnis, denn die meisten dieser Bauwerke existieren schon lange nicht mehr.
Im Vordergrund der Bilder stand stets der dokumentarische Charakter. Später dienten sie auch publizistischen Zwecken, wurden in Ausstellungen gezeigt oder auch für Werbezwecke eingesetzt. Häufig fallen fotografische Abbildungen in die Rubrik »repräsentative Erinnerungsbilder, die einen besonderen Moment in der Unternehmensgeschichte darstellen«. Das hat Reinhard Matz in einer Untersuchung über die Industriefotografie im Ruhrgebiet herausgefunden. Der Autor unterscheidet vier Arten typischer Bildformen: Gesamtansichten eines Werksgeländes, Produkt- und Rohstoffaufnahmen, Dokumentationen von Arbeits- und Produktionsabläufen, Darstellung des Menschenbildes der Industriearbeiter.
Letzteres führte mit fortschreitenden fotografischen Möglichkeiten dazu, dass Stahlarbeiter in den Farbaufnahmen von Ludwig Windstosser aus den 50er Jahren bei ihrer schweißtreibenden und gefährlichen Arbeit wie Helden des Industriezeitalters stilisiert wurden. Fotografen wie August Sander, Herbert List oder Erich Retzlaff inszenierten die Arbeiter und setzten ihre Muskelkraft in Beziehung zu großen Maschinen.
Stets ging es darum, das Positive des Industriezeitalters herauszustellen. Das kann der Zauber des Materials sein wie bei Albert Renger-Patzsch und Peter Keetman oder die Ästhetik von Hochofenanlagen, Kühltürmen oder Förderanlagen. Kurator Rudolf Scheutle: »Albert Renger-Patzsch rückte Hochofenanlagen in die Nachbarschaft von Sakralbauten und verlieh ihnen die Aura von Kathedralen des Industriezeitalters.« Der Kurator stellt die Fotografien in einen chronologischen Zusammenhang und bildet mit kleinen Kabinetten thematische Schwerpunkte, z. B. zum Aufbau des Glaspalastes in München.
Bis 11. September. Münchner Stadtmuseum, St.-Jakob-Platz 1, 80331 München, Di-So, 10-18 Uhr, Katalog »IndustrieZEIT – Fotografien 1845-2010« 35 Euro. www.stadtmuseum-online.de
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