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Dachausbau

Falkestraße, Wien, 1983 / 1987– 88
Dachausbau

Als visualisierte Energielinie sahen die Architekten ihren Entwurf für den Dachausbau eines Wiener Gründerzeithauses. Die provokante Ecklösung aus Glas und Stahl hat kaum etwas von ihrer Attraktivität eingebüßt. Der Bespechungsraum ist immer noch das Herzstück der Anwaltskanzelei. The architects saw their design for the conversion of an attic in a Wilhelminian building in Vienna as a visualisation of an energy curve. The provocative corner solution from glass and steel has lost hardly any of its attractiveness. The meeting room is still the centre piece of the law firm.

Die frühen achtziger Jahre waren für Architekten in Wien eine Zeit des Umbruchs. Der Schwung und Aufbruch der späten Sechziger und der frühen Siebziger war verebbt und eingeschlafen. Viele der avantgardistischen Gruppen wie Haus-Rucker-Co, Zünd up und Salz der Erde hatten zwar mit Aktionen und theoretischen Manifesten auf sich aufmerksam gemacht, ihre Ideen aber fast nie in Gebautes umsetzen können. Deshalb verschwanden sie auch nach und nach. Auf der anderen Seite waren die achtziger Jahre in Wien eine Zeit des Aufbruchs, des Wirtschaftswachstums und des Baubooms. Dieser kam den arrivierten wie den angepassten Architekten gleichermaßen zugute. Aber nur wenige setzten mit ambitionierter Architektur Akzente, viele Büros schwammen in der breiten Masse mit und verdienten dabei nicht schlecht.

Auch heute gibt es in Wien immer wieder junge Büros, die ganz im Sinne ihrer Kollegen aus den sechziger Jahren agieren, deren Programmatik sich auch in ihren Büronamen widerspiegelt. Nur eine Gruppe von damals hatte das finanzielle und mentale Durchhaltevermögen und genügend Sturheit und Selbstbewusstsein, um bis heute zu den international angesehensten und erfolgreichsten Büros zu zählen: Coop Himmelb(l)au. Nach unzähligen Skizzen, Manifesten, und (Luft-) Projekten, nach Anerkennung ihrer Theorien, aber mangelndem Mut zur Umsetzung seitens privater und öffentlicher Auftraggeber, ist Coop Himmelb(l)au heute ein Global Player. Mammutprojekte wie die BMW-Welt in München und das Akron Art Museum in Ohio werden bald von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt übertroffen.
Grund genug, sich eines ihrer ersten verwirklichten Projekte in Wien anzusehen: der Dachausbau in der Falkestraße, inzwischen ein Klassiker unter den unzähligen Beispielen des Dekonstruktivismus. Bereits 1983 begannen die Coop´s mit der Planung, die Zeit und die Wiener Bauvorschriften waren aber scheinbar noch nicht reif und so verzögerte sich das Genehmigungsverfahren bis zum Jahr 1988. Dann aber entstand ein bis heute spektakuläres Projekt, das immer noch auf dem Pflichtprogramm von Architekturtouristen steht.
Anlass für den Dachausbau war die Platznot einer Anwaltskanzlei. Das Dachgeschoss sollte für einige Büros und einen repräsentativen Konferenzraum ausgebaut werden. Coop Himmelb(l)au kam zunächst der Gedanke an einen Blitz oder einen gespannten Bogen im Raum. Beim Zeichnen entwickelte sich daraus, so die Architekten damals über ihr Projekt, eine auf die Ecksituation abzielende »visualisierte Energielinie, die von der Straße kommend das Projekt überspannt, das bestehende Dach zerbricht und damit wieder öffnet«. Der Bogen als entwurfsrelevantes Element taucht bei Projekten von Coop Himmelb(l)au immer wieder auf, ebenso der Flügel, mit dem der Dachaufbau auch assoziierbar wäre und was der Straßenname sogar nahe gelegt hätte. Letzteres war hier aber nicht entwurfsbestimmend. Der Bogen stellt nicht nur das konstruktive Rückgrat dar, sondern symoblisiert zugleich die Haltung der Architekten. Dass sich der Dachaufbau wie ein Flugobjekt auf dem denkmalgeschützten Ringstraßenpalais elegant niederlassen konnte, ist einem ausgeklügelten statischen System zu verdanken. Und obwohl vieles auf den ersten Blick willkürlich und zufällig erscheint, steckt hinter dem Ganzen ein logisches, nachvollziehbares Konzept. Auch sämtliche Aus- und Einblicke sind wohl überlegt, komplexe Systeme aus fest installierten und mobilen Membranen bestimmen, welche Blicke freigegeben und welche blockiert werden. Sie dienen gleichzeitig als Blend- und Sonnenschutz.
Der Besucher betritt das Dachgeschoss durch einen Empfangsraum, von dem eine geschwungene Treppe auf die Dachterrasse führt. Der Clou: eine Tür dort stellt eine Verbindung zu einer innen liegenden Galerie her, von der man wieder in den Konferenzraum schauen kann. Beim Betreten scheint das Gebilde aus Stahl und Glas über einen zusammenzustürzen. Alles zieht dem geschwungenen Bogen folgend in Richtung Straßenecke. Doch dieser biegt vor der Traufe dramatisch nach links und gibt den Blick frei auf das prächtige Gründerzeithaus gegenüber. Der Stadtraum wird geradezu in den Saal gezogen, eine intensive Korrespondenz zwischen Außen und Innen konfrontiert den Besucher. Die Nachbarbauten sind so zum Greifen nahe, als würde man geradewegs auf sie zu fliegen. Ein raffiniert inszeniertes Lichtsystem lässt in der Nacht das Dach wie einen magischen, über der Traufe schwebenden Kristall funkeln.
Bis auf Kleinigkeiten ist der Konferenzraum unverändert. Der große, nicht ganz passende, aber originale Tisch wurde leicht verdreht und steht jetzt quer zum Eingang. Dadurch verliert die beschriebene Sogwirkung etwas an Kraft. Ansonsten gibt eine neue, freistehende, rote Bar- bzw. Küchenzeile und eine riesige Palme, die sich an diesem Ort sichtlich wohl fühlt. Dennoch zeigen sich hier und da erste Ermüdungserscheinungen. Das Material hat gelitten und auch die teilweise improvisierten Details weisen Spuren der Abnutzung auf. Silikon hält eben nicht ewig und Stahl neigt zum Rosten. Insgesamt aber wird deutlich, dass selbst so kompliziert wirkende Bauten wie das Dachgeschoss bei guter Pflege dauerhaft Bestand haben können – und dazu gehört auch eine gewisse Patina, die der immer noch währenden Fazination keineswegs abträglich ist. J.E.
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