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… in die Jahre gekommen – Sehbehindertenschule

Sehbehindertenschule mit Stadtbücherei in Hannover 1959 - 62
… in die Jahre gekommen – Sehbehindertenschule

Zu den markanten Gebäuden des so genannten Constructa-Blocks in der Südstadt von Hannover zählt die Sehbehindertenschule Schlägerstraße mit der angegliederten Stadtbücherei. Die nach dem Schuster-System organisierten Klassentrakte machen es möglich, acht Klassenzimmer auf jeder Etage über eine Treppe zu erschließen. Damit konnte auf lange, dunkle Flure verzichtet werden, was für Sehbehinderte von großer Bedeutung ist. In the southern quarter of Hanover one of the striking buildings of the so-called Contructa Block is the School of the Partially Sighted Schlägerstraße with the adjoining town library. The classroom wings, planned to the Schuster systems, allow eight classrooms on each level to be accessed from one stair. Thus long, dark corridors could be avoided – of importance for the handicapped.

Innerhalb des Constructa-Blocks, einer nach den Vorstellungen der fünfziger Jahre fortschrittlichen Wohnanlage in Zeilenbauweise in Hannovers Südstadt, plante Friedrich Lindau die Sehbehindertenschule mit Stadtbücherei. Die eigentlich noch umfangreicher gedachte Anlage wurde zum Vorzeigeprojekt einer neuen Stadtidee. Statt monumentaler Achsen und architektonisch streng gefasster Straßenräume prägten nun landschaftlich bewegte Freiräume, aufgelockerte Siedlungsformen und geschwungene Straßen das Stadtbild. Dieser großzügige, modernistische Wiederaufbau hat Hannover allerdings in tiefe Schulden gestürzt. Soziale Belange wurden diesen teueren Verkehrsprojekten geopfert.

Ursprünglich sollte die damals als Anhängsel einer Volksschule gegründete »Volksschule für Sehbehinderte«, heute »Franz-Mersi-Schule«, das gesamte Eckgrundstück zwischen Krausenstraße und Schlägerstraße besetzen. Diesen Plan musste die Stadt jedoch aus oben genannten Gründen aufgeben. So litt die Schule seit jeher unter Raumnot. Die verlängerte Schulpflicht für Behinderte verstärkte dieses Problem zusätzlich. Heute ist die Sehbehindertenschule die einzige Einrichtung ihrer Art in ganz Niedersachsen. Für die Schüler bedeutet dies, lange Wege von bis zu vier Stunden hinnehmen zu müssen. Ganztagsbetrieb kann das Gebäude ebensowenig leisten wie Internatsbetrieb.
Nun wird nach über vierzig Jahren die Schule binnen Jahresfrist geräumt, weil der Schulbetrieb einer Hörbehindertenschule am Altenbekener Damm angeschlossen werden soll. Eine solche Zusammenlegung folgt keiner inhaltlichen Zielsetzung, denn der jetzige Standort im Zentrum der Stadt ist für das Erlernen von lebenspraktischen Fertigkeiten für die Schüler ideal. Auch die unmittelbare Anbindung an die Stadtbücherei, mit speziellen Nutzungszeiten und einem erweiterten Angebot von Hörbüchern, ist ein großer Vorteil. Der Umzug erfolgt aus rein ökonomischen Motiven. Die Miete für die benachbarten Räume in der Birkenstraße ist zu teuer geworden. Über den Antrag zur Umwandlung in eine Ganztagsschule ist dagegen noch nicht entschieden. Die Kultusministerkonferenz fordert bereits seit 1994, Sonderschulen mit überregionalem Einzugsbereich Schülerheime anzugliedern.
Damaligem Kenntnisstand entsprechend ist die Schule nicht barrierefrei angelegt. »Behindertengerecht« und »behindertenfreundlich« gehörten noch nicht zum Planungsvokabular, »Behinderte« gab es schlichtweg nicht. Erst 1961 wurde, erstmalig in Hessen, der diskriminierende Begriff »Hilfsschule« durch »Sonderschule« ersetzt. Im Vordergrund der Planung für Sehbehinderte stand allein die optimale Ausnutzung des Tageslichts, helle Flure und Verbindungsgänge sowie ein Garten – Kriterien, die auch heute noch gelten. Die separate Erschließung der acht zweiseitig belichteten Klassen (56,5 m²) nach dem so genannten Schuster-System war zwar ein damals häufig verwendetes Gestaltungsmittel, ob es für die betroffenen Schüler von Nutzen ist, sei dahingestellt. Über einen Aufzug verfügte die Schule nie, obwohl sämtliche Klassenräume in den Obergeschossen und zahlreiche Werkräume wie Lehrküche und Töpferraum im Untergeschoss an Lichthöfen liegen – Bedingungen, die nicht mehr genehmigungsfähig wären. Auch die Außenrampe vor der Stadtbücherei wurde erst nachträglich angebaut. Weitere Fachräume, die Turnhalle und Verwaltungsräume befinden sich im angehobenen Erdgeschoss. Durch die zeitgemäße Verwendung elektronischer Lesehilfen über Computer mit bis zu vierzigfacher Vergrößerung, hat sich die Klassenfrequenz von ursprünglich zwanzig Schüler auf sechs bis zehn mehr als halbiert. In vier Grundschulklassen und zwei Klassen für Seh- und Lernbehinderte werden in der Franz-Mersi-Schule insgesamt fünfzig Schüler unterrichtet. Im mobilen Dienst betreuen die Lehrer weitere, zusätzlich behinderte Schüler trotz angespannter Personallage in Sonderschulen für Körperbehinderte und geistig Behinderte, außerdem fünfzig weitere Schüler im integrativen Unterricht der Regelschulen. Unter dem besonderen Aspekt der Schule wären Außenjalousien auf alle Fälle sinnvoller als der innen liegende Sonnenschutz. Ebenfalls zu bemängeln ist ein fehlendes farbiges Leitsystem auf dem Sichtmauerwerk der Innenwände, das aus Gründen des 1990 erteilten Denkmalschutzes nicht realisiert werden kann. Für Versammlungen müssen die Schüler die Turnhalle benutzen. Eine Aula war damals nicht vorgesehen.
Erfreulich ist das architektonische Konzept der Schule. Der Bau fügt sich zwar der Ausrichtung des Constructa-Blocks an, nicht aber der grauen Schlichtheit seiner banalen Baukörper. Die konstruktiv intakten Fassaden der lebendig gestaffelten Baukörper wechseln zwischen weiten Glasfronten, rot verfugten Ziegelmauern, dunkelgrün getönten Spaltwandplatten an den Brüstungen und weißen Fliesen an den Seitenwänden des Klassentrakts. Satinierte Glastafeln an den Dachabschlüssen verbergen die Dachentwässerung. Schade nur, dass die Stadt die Pflege der Schule so vernachlässigt hat. Gelitten haben vor allem die filigranen Fensterprofile aus Holz, dank Hinterlüftung sind alle Fassadenfliesen noch an ihrem Platz. Die Innenräume zeigen, von Kleinigkeiten abgesehen, den Originalzustand. Das farbige Wandrelief im Foyer, »Das schwarze Auge« des Malers Kurt Sohns, aus offenbar pädagogischen Gründen blau und orange umzufärben, war dagegen eine kühne Idee. Klaus-Dieter Weiß
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