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Hyde Park geSchichtet

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Hyde Park geSchichtet

~Jay Merrick

Wer diesen Sommer in London eine Pause von olympischen Höchstleistungen braucht, kann sich bis zum 14. Oktober wie jedes Jahr im Serpentine Pavilion Lesungen, Musik und Diskussionen hingeben. Herzog & de Meuron entwarfen ihn gemeinsam mit Ai Weiwei. Die Schweizer Architekten wollen »ehrliche« Formen und Materialien, doch obwohl der zur Hälfte eingegrabene Pavillon als Objekt Wirklichkeit ist, sind seine fiktionalen Qualitäten doch stärker. Die Architekten würden selbstverständlich widersprechen. »Der Pavillon ist nicht wirklich ein Bauwerk«, sagt Jacques Herzog. »Er ist Architektur. Wir treten eine virtuelle Reise in die Tiefe an. Wir wissen, was passiert. Alles ist bekannt, das sind Fakten.« Wie etwa die freigelegten Überreste der 11 vorangegangenen Sommerpavillons (s. db 9/2010, S. 14). Der neue Bau soll eine archäologische Chronik sein, die zugleich die Gier nach architektonischen Attraktionen kommentiert.
Herzog und Ai nutzen die Fundamente der früheren Pavillons für eine geschichtete Terrasse, die in asymmetrischen Linien und Bögen Platz zum Sitzen bietet. Sie besteht aus hölzernen Boden- und Wandelementen, die mit dampfgepresstem Kork bekleidet sind. Die 12 ebenfalls korkverkleideten Stahlstützen in unregelmäßigem Raster tragen ein rundes Stahldach, das einen 25 mm flachen Teich formt.
Den Pavillon zu betreten, fühlt sich wie das Eintauchen in eine kubistische Zeichnung oder in ein Bild von Escher an. Damit ist die mystische Gegenwart der Vergangenheit angedeutet, was dem Pavillon eine metaphysische Lesart verleiht. Ein sehr schönes Konzept, doch schmälert die exakte Ausführung die archäologische Qualität in Form der nur teilweisen Entdeckung.
Der Entwurf ist ohne Frage fantasievoll, doch die architektonische Umsetzung der Archäologie ist zu sauber: Sie ruft die vorhergehenden Pavillons nicht in Erinnerung und löst keine Gedanken etwa zu Begräbnis und Auferstehung aus. Herzogs architektonische und archäologische Fakten wirken mehr wie hochentwickelte historische Fiktionen.
Auf andere, unerwartete Weise überzeugt der Pavillon jedoch. Der Blick nach draußen wirkt wie der aus einem Bunker, mit eigenartig gepressten Ansichten des Hyde Park. Der schmale, horizontale Rahmen erzeugt eine ganz eigene Qualität der Wirklichkeit. Wie Magritte vielleicht gesagt hätte: »Dieser Park ist kein Park.«
Dieser Pavillon ist auch nicht bloß ein Pavillon. Er ist ein begehbares metaphorisches Kunstwerk – und hierin liegt nun endlich seine Ehrlichkeit. In dieser Hinsicht ist er der originellste aller Serpentine-Pavillons.
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