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Ges(ch)ichtsverlust

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Ges(ch)ichtsverlust

~Christoph Gunßer

Sein Interieur ist an vielen Stellen noch besser als in jedem retro- oder neomodernen Neubau dieser Tage – original Neue Sachlichkeit eben. Türen, Fenster, Beschläge und Lampen, Waschbecken, Schränke, all das ist im Alten Krankenhaus in Schweinfurt erhalten geblieben, das 1930 eingeweiht wurde. Auch die seinerzeit revolutionären stützenfreien Sonnendecks auf der Südseite gibt es noch, 50 m lang. Was wäre das für ein stilvolles Ambiente für ein neues Gesundheitszentrum! Doch genau ein solches wächst nebenan als nichtssagender Neubau heran, und dem zweiten Bauabschnitt soll das Alte Krankenhaus nun weichen. Appelle, ein Prozess und ein Bürgerbegehren vermochten in den letzten Jahren nicht, das Ansinnen der Stadt aufzuhalten.
Gerade in Schweinfurt, das wie kaum eine andere Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und bis heute arg unter seiner Gesichtslosigkeit leidet, wirkt solch ein geschichtsvergessenes Vorgehen unverständlich, ärgerlich, geradezu barbarisch. Erst in jüngster Zeit bemüht man sich hier doch um ein architektonisch schärferes Profil, ließ beispielsweise ein Schwimmbad der Neuen Sachlichkeit zur Kunsthalle umbauen – und nun das!
Zur Zeit seiner Errichtung war das Alte Krankenhaus im konservativen Unterfranken ein mutiges Zeichen neuer Freiheitlichkeit. Die Moderne hatte es hier immer schwer gehabt. Doch im Krankenhausbau zogen Ärzte und Architekten damals an einem Strang: Licht, Luft und Sonne gegen Tuberkulose, so die Allianz. Sie bewegte Bauoberamtmann Heinrich Zierl, bei dem Erweiterungsbau des gründerzeitlichen Krankenhauses auf der luftigen Anhöhe über dem Maintal neue Wege zu gehen, wie sie zur selben Zeit vielerorts versucht wurden. »Terrassenhochbau« lautet der Fachbegriff der Denkmalpfleger, der v. a. bei Kurkliniken Verwendung fand. Erinnert sei nur an Duikers Sanatorium Zonnestraal in Hilversum von 1928. Das war übrigens vor einigen Jahren auch arg verwahrlost, wurde aber inzwischen glänzend renoviert und dient heute – als Gesundheitszentrum. Die Stadt bemüht sich damit um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Ähnliche Erfolgsgeschichten schrieben in den letzten Jahren: die zuvor ebenfalls ruinösen Meisterhäuser des Bauhauses in Dessau, heute ein Magnet des Tourismus‘, und die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, um nur die berühmtesten des Neuen Bauens zu nennen; in der näheren Umgebung: das ehemalige Gaswerk in Würzburg, heute Archiv und Werkstatt.
Bis in die frühen 80er Jahre diente das Schweinfurter Gebäude als Krankenhaus, in der Folgezeit nutzten Praxen, Berufsschulen für Krankenpflege und Physiotherapie sowie die Volkshochschule das Haus. Dabei wurde die Bausubstanz nur notdürftig erhalten – Restnutzung nennt man das wohl. Äußerlich wirkt der einst so stolze Riegel heute tatsächlich marode, das Gelände verwildert. Ein Verbindungsbau zum Altbau und eine Chefarzt-Villa wurden bereits abgerissen, die kühne Komposition aus vertikalem Uhrturm und horizontalem Bettentrakt geriet aus der Balance.
Die Initiative zur Erhaltung des Krankenhauses, von Bauhistorikern der FH Würzburg-Schweinfurt und den Grünen im Stadtrat getragen, wäre sogar bereit, den weniger wertvollen späteren Erweiterungsbau von 1937 zu opfern, wenn der neusachliche Kernbau mit seiner authentischen Ausstattung erhalten bliebe. Hierfür müssten Tragfähigkeit und Schallschutz der Decken verbessert und der Wärmeschutz der Fassaden erhöht werden. Das jedoch würde dem Erscheinungsbild nicht guttun, heißt es aus der Stadtverwaltung, die hier von Anfang an eine sehr undurchsichtige Haltung vertreten hat. Für eine Sanierung ohne »Verfettung« gibt es aber längst gelungene Beispiele. Redet nicht alle Welt vom Vorrang für »adaptive re-use«, Gebäuderecycling usw., weil es nachweislich so viel ökologischer ist? Wer sonst sollte da Vorreiter sein als die dem Gemeinwohl verpflichteten Kommunen? Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft, Investor des Gesundheitszentrums, war hier allerdings schon früh auf Abbruch und Neubau programmiert – die Kostenschätzung für eine Sanierung wurde erst im vorigen Jahr nachgereicht, als der im Stadtrat zuvor durchgewunkene B-Plan für das Gesundheitszentrum durch eine Klage von Anwohnern für ungültig erklärt wurde. Über die Konsequenzen dieses Urteils wird derzeit noch verhandelt.
Die herausragende ästhetische Qualität des Altbaus spielte für diesen gerichtlichen Rüffel bezeichnenderweise nur eine Nebenrolle. Das staatliche Denkmalamt hatte seine historische und baukünstlerische Bedeutung ohne eine Ortsbesichtigung »unter Zugrundelegung eines bayernweiten Maßstabes« seinerzeit für »nicht ausreichend« gehalten und unlängst eine nachträgliche Aufnahme in die Denkmalliste verweigert. Fadenscheinige Argumente, wohin man schaut! Die angeblich so lukrative Vermarktung der Neubauflächen, ein Hauptgrund der parteiübergreifenden Abbruchlobby, gestaltet sich derzeit offenbar mehr als schwierig.
Es geht hier in Schweinfurt nicht um eine Auswahl unter vielen Beispielen der Zeit, sondern »schlicht um den Erhalt letzter Zeugnisse von gebauter Geschichte«, wie die Vorsitzende der Heiner-Reitberger-Stiftung schreibt, die sich ebenfalls für den Erhalt einsetzt. Gerade die Architekten, die sich heutzutage gern auf die Neue Sachlichkeit beziehen, sollten ein Interesse daran haben, dass es überhaupt noch Referenzobjekte für ihre Ästhetik gibt. Oder fürchten sie etwa den Vergleich? In Schweinfurt ist die Zunft jedenfalls erstaunlich stumm geblieben.
Das Alte Krankenhaus lässt sich mit vertretbarem Aufwand sanieren, ohne dass man seinen einzigartigen Charakter verunstalten muss. Der einfache Gebäudegrundriss bietet neuen Nutzern viele Möglichkeiten. Die originalen Ausstattungsstücke ließen sich dabei wirkungsvoll integrieren und in Szene setzen. Noch ist Zeit für einen Kompromiss, den auch der Gerichtsentscheid vom vorigen Jahr nahelegt – erst kürzlich ist sogar ein Investor auf den Plan getreten, der das alte Haus erhalten möchte. Schweinfurt sollte sein so wertvolles bauliches Erbe nicht zugunsten eines Allerweltbaus auf den Müll werfen.
Der Autor ist freier Fachautor mit dem Schwerpunkt nachhaltige Architektur und Stadtplanung.
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