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Gedenkstätte · Memorial Site

Preisträger · Prize Winner
Gedenkstätte · Memorial Site

Gedenkstätte · Memorial Site
Als schützende Hülle auf der Weite des Platzes schwebt der weiße Membrankubus über den Ruinen. Nur wenige Punktfundamente tragen den von außen sehr abgeschlossen wirkenden Körper, dessen durchgehende Nähte seine Materialität erahnen lassen. Links ist die wieder errichtete Abgrenzungsmauer zum Lager erkennbar
Jurybegründung Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und Konstruktion bezieht, die Konstruktion wird integraler Bestandteil der Architektur, die in ihrer Schlichtheit und Einfachheit wiederum völlig die Konstruktion bedingt. Das Dach wird von einem Fachwerkträgerrost gebildet, der durch die von den ebenfalls als Fachwerk ausgebildeten Wänden als Rahmen eingespannt wird. Die Konstruktion von Dach und Wand wird außerdem mit Gitterrosten belegt und mit PTFE-Folie bespannt, was Dach und Wand nach innen und außen gleich erscheinen lässt. Was entsteht, ist eine überraschende, aber angemessene Lösung für ein schwieriges Thema.

Einführung
Wie schwierig bis heute die komplexe Aufarbeitung dieses von vielen historischen Schichten überlagerten Ortes ist, belegte erst vor einigen Wochen der Streit, den die Ansprache des brandenburgischen Innenministers anlässlich des 61. Befreiungstages des Lagers Sachsenhausen hervorrief. Dieser hatte in seiner Rede nicht nur an die KZ-Opfer, sondern auch an die nach 1945 hier Internierten erinnert, was den Vorwurf der Gleichsetzung von Tätern und Opfern nach sich zog und eine erregte Debatte darüber, ob und wie die Verbrechen des NS-Regimes mit dem Unrecht durch die sowjetischen Besatzer verglichen werden könnten. Auch die Frage danach, wie viel und welche Architektur ein Ort des Grauens benötigt oder verträgt, stellt sich an historisch-authentischer Stelle in ganz anderer Weise als bei der Diskussion um eine Architektur des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas. Die jüngere Vergangenheit des Lagers als nationaler DDR-Gedenkstätte des Sieges des Antifaschismus über den Faschismus, in dessen Nachfolge sich das SED-Regime legitimierte, hatte zu einer baulichen Überformung und Inszenierung des Lagers geführt, die einem würdigen Gedenken der Opfer keinen Raum ließ. In der Ableitung dieses Legitimationsanspruches hatte auch die Erinnerung an die rassenideologisch begründete Vernichtung der Juden keinen Platz.
Geschichte Die heutige Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen besteht aus einem Teil des von der SS ab 1936 in Oranienburg nahe der damaligen Reichshauptstadt Berlin als Modell- und Musterlager errichteten Konzentrationslagers. Rund um das eigentliche, dreieckförmig angelegte Lager, das nur zehn Prozent der Anlage ausmachte, waren Wohn- und Verwaltungsbauten, Fuhrparkeinrichtungen sowie Werkstätten untergebracht. An das von einer hohen Mauer umfasste Lagerdreieck schloss hinter der Mauer der so genannte Industriehof an. Hier lag, neben Werkstatt- und Fertigungshallen, der von der SS zynisch als »Station Z« – Endstation – bezeichnete Gebäudekomplex. Die 1942 erbaute Vernichtungsanlage in Form eines einseitig verkürzten »U« bestand aus einem ins Erdreich eingegrabenen, vorgelagerten Erschießungsgraben für Einzel- und Massenhinrichtungen mit direktem Zugang zum Leichenkeller sowie oberhalb gelegenen Untersuchungsräumen, einem Raum mit installierter Genickschussanlage, der Gaskammer und vier Krematoriumsöfen.Nach der Befreiung 1945 übernahm der sowjetische Geheimdienst das Lager, in dem neben Funktionären des NS-Regimes bald auch politisch Missliebige interniert wurden. Bis auf das Krematorium und die »Station Z« wurden dabei alle Einrichtungen weitergenutzt. Es wurde 1950 von der Kasernierten Volkspolizei übernommen, die 1952/53 die »Station Z« sprengte, um hier einen nie realisierten Schießgarten zu errichten. Auf Initiative ehemaliger Häftlinge entschloss sich das SED-Regime 1961, das zentrale Lager in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Dabei wurden unter anderem in zentraler Achse ein das Lager überragender Obelisk errichtet, die Mauer zum Industriehof entfernt und die Überreste der »Station Z« mit einer monumentalen Betonkonstruktion überdacht. Teile außerhalb dieses Bereiches wurden weiterhin von der NVA genutzt. Einen Ort des respektvollen Gedenkens der Opfer gab es in dieser Vermischung aus Dramaturgie und Geschichtsnegierung nicht. Erst nach der Wiedervereinigung im Zuge der Neukonzeption der Gedenkstätte wurde die »Station Z« als zentraler Gedenkort für die Opfer des KZ Sachsenhausen definiert. Den 1998 ausgeschriebenen Wettbewerb für eine Gesamtneukonzeption gewannen HG Merz Architekten.
Gedenkstätte »Station Z« Entlang der mit einzelnen frei stehenden Betonscheiben wieder – aber doch nicht ganz – geschlossenen Mauer führt der Weg aus dem Lager heute in den Bereich der »Station Z«. An den Scheiben angebrachte Schautafeln lassen Einzelschicksale und Massenmord im Lager lebendig werden. Mit diesen bedrückenden Bildern im Kopf tritt der Besucher zwischen den Scheiben in die Leere des Industriehofes. Schotterflächen zeichnen die Umrisse ehemaliger Baracken nach, eingefasste, bodenbündig bepflanzte Flächen weisen Massengräber mit der Asche der hier Verbrannten aus. Dieser Bereich ist Friedhof, Ort des Schreckens und der Erinnerung zugleich – und solche benötigt Weite. Hinter dem noch authentisch erhaltenen Erschießungsgraben schwebt, die Ruinen der gesprengten Station überspannend und nur an wenigen Punkten den Boden berührend, scharfkantig ein weißer Kubus von 37 x 39 Metern Kantenlänge. Nur die Nähte der umspannenden Membran lassen seine Materialität erahnen. Ein tiefer Einschnitt an der Stirnseite bildet den niedrigen Eingang. Der direkte Blick ins Innere ist »versperrt« von einer frei stehenden Betontafel mit einem Zitat des polnischen Schriftstellers und ehemaligen Häftlings Andrzej Szczypiorski. Schwebend, kompakt und leicht zugleich; die Körperlichkeit der hüllenden Schicht ist auf den ersten Blick nicht fassbar. Die niedrige Raumhöhe von 2,50 Metern begrenzt, konturiert und definiert sehr präsent den Raum. Die Architektur bildet und lässt Platz, erscheint selbstverständlich und wirft gleichzeitig Fragen nach ihrer Konstruktion auf. Eine eindeutige Zuordnung von Architektur und Tragwerk ist nicht möglich.
Ganz pragmatisch sollten eigentlich die als Bodendenkmale verbliebenen Ruinen der ehemaligen »Station Z« langfristig vor Witterung und Verfall geschützt werden und gleichzeitig an dieser historisch-authentischen Stelle der zielgerichteten Vernichtung ein Raum der Erinnerung und des stillen Gedenkens entstehen. Würdevoll und gleichzeitig funktional sollte er sein. Mit ihrer Lösung einer fast ab-strakt über dem ehemaligen Gebäude schwebenden Membrankonstruktion haben HG Merz Architekten und die beteiligten Planer es geschafft, eine zeitlose Hülle zu entwickeln, die sich jeder architektonischen Deutung und symbolisch überfrachteten Geste entzieht.
Dach und Wand wirken als Einheit. Ausgespart wurde nur eine 22 x 10 Meter große Öffnung über der ehemaligen Hoffläche. Ein Stahlfachwerkträgerrost-Tragwerk bildet eine fast durchgehend gleich erscheinende Fläche, in der die unterschiedlichen Maße der primären Tragkonstruktion (Decke 1,30 m, Wand 1,15 m) zu einem Ganzen verschmelzen. Durch Unterdruck wird die Membran an den mit Gitterrosten ausgefachten Oberflächen scharfkantig angepresst. Im Inneren, dem überdachten Bereich, der nur mit Tageslicht natürlich beleuchtet wird, zeichnet sich die Konstruktion je nach Lichteinfall ab. Wie viel Ingenieurleistung erforderlich waren, um die Selbst- verständlichkeit dieser Erscheinung zu entwickeln, lässt sich nur erahnen. Aber genau darin liegt ihre Qualität. Entstanden ist ein Bauwerk, das sich sprachlich schwer fassen lässt und vor Ort erlebt werden will. Und auch wenn es etwas ist, das man einer Konstruktion vielleicht nicht als Eigenschaft zusprechen würde, sie macht dankbar, dankbar für die abgeschirmte Ruhe, in der die Gedenkstätte erlebt werden kann.
~Elisabeth Plessen

Jury’s Assessment Here is a building that draws its special impact by suspending the assumed contradiction between architecture and construction; the construction is an integral component of the architecture, which in turn determines the construction through its simplicity. The roof is formed by a lattice-girder frame, which is supported by identically constructed walls. In addition the roof and wall construction is covered with a fixing-grid and a PTFE membrane, which give the roof and walls the same appearance inside and out. The result is a surprising, but appropriate solution to a difficult subject.
Introduction The difficulty in dealing with this site covered with many historical layers was demonstrated just a few weeks ago by the controversy caused by the Brandenburg Home Secretary on the 61st anniversary of the liberation of the Sachsenhausen Concentration Camp. In his speech, he commemorated not only the concentration camp victims, but also those detained here after 1945, resulting in accusations of equating the plight of victims and perpetrators, and prompting a heated debate over if and how the crimes of Nazism can be compared to the injustices of the Soviet occupiers.
The question of how much and what kind of architecture is necessary or tolerable at an original site of atrocity is not the same as it is in the case of the Memorial to the Murdered Jews of Europe. The more recent past of the camp as a GDR memorial to the victory of anti-fascism over fascism – whose outcome was to legitimise the Socialist Union Party (SED) – led to an architectural transformation and re-staging of the camp that left no room for a dignified memorial to the victims of ideologically founded extermination.
History The present-day Memorial and Museum Sachsenhausen consist partly of the complex built by the SS from 1936 in Oranienburg, near Berlin, as a model concentration camp. Around the actual triangular camp – which accounted for only ten per cent of the complex – were accommodation and administration buildings, vehicle areas as well as workshops. The so-called Industriehof (industrial yard) was located directly behind the high wall surrounding the triangular camp. Here, next to workshop and fabrication sheds, lay the building complex cynically labelled Station Z – end station – by the SS. Built in 1942, the U-shape extermination complex consisted of an execution trench with direct access down to the mortuary, examination rooms, a room with a shooting installation, the gas chamber and four crematorium incinerators. After liberation in 1945, the Soviet secret service took over the camp and used it to incarcerate functionaries of Nazism, who were soon joined by political prisoners. Except for the crematorium and Station Z, all facilities continued to be used. In 1950 it was taken over by the Kasernierte Volkspolizei (KVP) who blew up Station Z in 1952 in order to construct an unrealised shooting gallery.
Upon the initiative of former prisoners, in 1961 the SED decided to turn the central camp into a memorial. A towering obelisk was erected, the wall to the Industriehof removed and the remains of Station Z covered with a monumental concrete structure. Surrounding areas continued to be used by the National People’s Army. Among this mixture of dramaturgy and negation of history, there was no place for a respectful memorial to the victims. Only after reunification, in the course of developing a new concept for the memorial, was Station Z defined as a central remembrance site for the victims of the concentration camp. The competition that followed in 1998 was won by HG Merz Architekten.
The Station Z Memorial Along the (almost) re-closed outer wall of freestanding concrete blades, a path now leads out of the camp to the site of Station Z. Display boards on the blade walls bring to life a story of mass murder. With these aggrieving images in mind, the visitor enters the empty expanse of the Industriehof through a gap between the blades. Gravel beds indicate the outline of the former barracks, planted areas demarcate mass graves containing the ashes of those who were burnt here. This is a cemetery, and at the same time a place of atrocity and remembrance – and this requires expanse. A white sharp-edged box, which spans the ruins of the demolished station, floats beyond the execution trench, touching the ground at just a few points. Only the stitching in the membrane suggests its materiality. A deep incision in the front facade forms the low entry. The direct view into the interior is screened by a freestanding concrete wall with a quote from Polish author and former prisoner Andrzej Szczypiorski. Hovering, compact and light, the substance of the enveloping layer is not comprehensible at first sight. The low ceiling height of 2.5 m limits and defines the interior. The architecture shapes and leaves space, appears simple enough but at the same time poses questions about its construction. The clear classification of architecture and structure is not possible. From a pragmatic point of view, the foundations of the ruined Station Z were to be protected in the long term from weathering and decay, while at the same time a space was to be created at this historic place for remembrance and silent reflection. Dignity and functionality were equally important. With their membrane structure solution floating almost abstractly over the former building, HG Merz Architekten and participating consultants have succeeded in developing a building envelope that resists any architectonic interpretation.
Roof and wall appear as an entity. Only the former yard surface is excluded. A lattice-girder frame forms an almost uniform surface, in which the varying dimensions of the construction (roof 1.3 m, wall 1.15 m) conflate into a whole. Through negative pressure the membrane is pressed sharply against the surface of the framing. In the naturally lit interior, the appearance of the construction varies with the incidence of light. One can only guess at the amount of engineering that went into developing the simplicity of this appearance. Herein lies its quality. A building has resulted which is difficult to describe in words, which wants to be experienced first-hand. And though it isn’t an attribute that one would normally assign to a structure, it makes one grateful, grateful for the protective peace in which the memorial can be experienced.
Bauherr · Client: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten / Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen; vertreten durch · represented by: Liegenschafts- und Bauamt Bernau
Gesamtkonzeption und Architektur · Overall Concept and Architecture: HG Merz Architekten + Museumsgestalter, Stuttgart
Projektleitung HG Merz · Project Leader HG Merz: Sebastian Reinhard
Mitarbeit · Project Team: Dietmar Bauer, Uli Lechtleitner, Mara Lübbert, Johannes Schrey, Michael Weber
Tragwerksplanung · Structural Engineering: IGB Ingenieurgruppe Bauen, Berlin
Projektverantwortung · Responsible for the Project: Dr.-Ing. Ralf Egner, Frank Arnold, Martin Morlock
Fassadenplanung · Façade Engineering: Werner Sobek Ingenieure, Stuttgart
Tageslicht- und Klimatechnik · Building Services: Institut für Tageslichttechnik, Stuttgart (Entwurf/Design), Transsolar, Stuttgart (Ausführung/Realisation)
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