1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Freie Formen – freies Denken

Aus der Automobilindustrie in die Architektur
Freie Formen – freies Denken

Innovative Formen, hohe Präzision bei der Fertigung, sehr gute mechanische Eigenschaften – Kunststoffe haben seit langem einen festen Platz in der Automobilindustrie. Wie kreativ hierbei mittlerweile auch ungewöhnliche Ansprüche und Ideen umgesetzt werden können und was sich daraus nicht nur für die automobile Serienproduktion, sondern auch für die Anwendung in der Architektur ableiten lässt: Ein Besuch bei den Schweizer Tüftlern von Rinspeed und Esoro gibt Einblicke. Innovative forms, high manufacturing precision, very good mechanical properties – for a long time plastics have occupied a firm place in the automotive industry. A visit to the Swiss pio-neers Rinspeed and Esoro offers some perspectives on how creatively unconventional demands and ideas can now be implemented, and what may be derived from this not only for serial production but also for application in architecture.

Das Auto als Fortbewegungsmittel mit vier Rädern kann man nicht neu erfinden, nun gut, aber, so Frank Rinderknecht, Gründer und Chef der Rinspeed AG im Schweizer Zumikon unweit von Zürich, es verlangt nach Evolution. Und hierzu stellt er seit vielen Jahren regelmäßig auf dem Genfer Autosalon seine neuesten Ideen vor. So geschehen auch vor wenigen Wochen: Zazen heißt das aktuelle Modell aus der Denkerwerkstatt.

Mit der Namensanleihe in der buddhistischen Lehre ist auch das Konzept erklärt: Zen als ein Weg der Erkenntnis, zu der gelangt, wer bereit ist, vorhandene Denkmuster aufzugeben. Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche, zugegeben auf hohem Niveau, spiegeln sich im Inneren wider. Transparente Sitzschalen aus dem Polycarbonatwerkstoff Makrolon, mit orangefarbigen Gelkissen gepolstert, unterstützen den leichten Charakter.
Darüber »schwebt« eine »glasklare« Kunststoffkuppel ebenfalls aus Makrolon, gefertigt als Freiformfläche in einem Stück, die gemeinsam mit Bayer Material Science entwickelt wurde. Glas als Alternative schied aufgrund des Gewichts, Plexiglas, da es nicht schlag- und kratzresistent ist, aus. Verklebt wurde die Kuppel mit einem ebenfalls für den Zazen eigens entwickelten, sehr klaren, dehnungselastischen Klebstoff, bei dem Nano-Komposite in neuen Werkstoffkombinationen Anwendung fanden.
Noch bietet die scheinbar schwebende Kuppel rundum freie Ein- und Aussicht. Eigentlich aber soll sie, und daran wird noch weiter entwickelt, auf Knopfdruck von außen undurchsichtig werden, um dem Fahrer eine ruhige Abgeschirmtheit zu geben. Das im wörtlichen Sinn »Highlight« der Kuppel bildet eine lasergesteuerte, holografische Bremsleuchte. Auch ansonsten hat der Zazen, mit Ausnahme der vorderen Scheinwerfer, keine herkömmlichen Leuchten, sondern große geschliffene Kristalle, die über LED beleuchtet werden. Eine bei aller luxuriösen Reduktion irritierende Neuerung. Waren es bislang meist Prototypen, die Anstöße bieten sollten, ist bei dieser Studie die Serienreife durchaus in greifbarer Nähe.
Nicht das Streben danach, die Grenzen des technisch-elektronisch Machbaren immer weiter auszuloten und die Suche nach immer außergewöhnlicheren, selbstreferenziellen Formen leiten Rinderknecht bei seinen Entwicklungen, sondern die Idee, aktuelle Zeitgeistthemen, Wünsche oder gar Ängste aufzugreifen und ihnen eine kreative Antwort zur Seite zu stellen. Der Zazen ist seine Interpretation des Gutes Zeit in einer Gesellschaft der Beschleunigung, Zeit als Qualität, Zeit- und Raumerleben als Wellness-Gefühl.
Wie sich andere Zeitgeistthemen in visionäre Automobilarchitektur umsetzen lassen und dabei neue Impulse geben können, das konnte er auch im vergangenen Jahr in Genf eindrucksvoll zeigen. Dort stellte er mit dem Senso ein Gefährt vor, das Sicherheit zum Thema hatte. Sicherheit, so Rinderknecht, habe er auf mehreren Ebenen interpretiert. Seit den Anschlägen 2001 habe sie eine neue Bedeutung bekommen. Aus der Angst vor weiteren Anschlägen und unterstützt durch die allgemeine wirtschaftliche Lage in Europa, sei ein intensives aber diffuses Sicherheitsbedürfnis gesellschaftliches Thema geworden.
Der Senso, eckig, kantig, geschlossen, schützte die Insassen nach außen. Im Inneren sei es das Ziel gewesen, Fahrsicherheit nicht durch verbesserten Aufprallschutz als Symptombehandlung zu gewährleisten, sondern den Fahrer als potenziellen Unfallverursacher in seiner Fahrweise zu beeinflussen. Durch kontinuierliche biometrische Messungen wird sein Fahrstil sowie seine momentane Befindlichkeit erfasst und in einem Bordcomputer ausgewertet, der daraufhin das Fahrzeuginnere modifiziert. Über einer neuen Leuchtfolientechnik, smart surface technology, ändert sich computergesteuert die Farbgebung. Ist der Fahrer entspannt, erscheint der Innenraum in Grün, bei aggressiver Fahrweise wandelt es sich in ein beruhigendes Blau-Violett und ein ermüdeter Fahrer wird mit Orange stimuliert. Verstärkt wird die jeweilige Wirkung durch eigens komponierte, digital abgespeicherte Klänge und Düfte wie Vanille-Mandarin (beruhigend) oder Citrus-Grapefruit (anregend). Und bei starken Müdigkeitssymptomen rütteln in den Sitz integrierte Elektromotoren den Fahrer wach
Gewiss, seine Aufsehen erregenden Kreationen werden, sollten sie je die Serienreife erlangen, wohl eher im hochpreisigen Segment angesiedelt sein. Nichts, was als neuer »Volkswagen« schon bald in großer Stückzahl die Straßen kreuzen würde. Der Frage, ob er also nur für eine kleine, elitäre Zeitgeist-Gesellschaft entwickle, begegnet Rinderknecht mit dem Hinweis, dass einige seiner an spektakulären Projekten vorgestellten Ideen mittlerweile ihren Eingang in den automobilen Alltag gefunden haben, wie beispielsweise die integrierte Lenkradsteuerung, die bei ihrer Vorstellung auch belächelt wurde, mittlerweile sei es aber fast Standard, Radio, Telefon und vieles mehr nebenbei über einen kleinen Druck auf Tasten im Lenkrad zu regulieren ohne die Hände vom Steuer zu nehmen. Gerade die im Senso vorgestellten Technologien bieten sich nach seiner Auffassung an, von der Industrie aufgenommen zu werden. Die technischen Voraussetzungen dafür sind gegeben. Eine Antwort, die Raum für Diskussionen lässt. Früher, so sagt er, waren es Abenteuer- und Erlebnisfahrzeuge, heute interessieren ihn neuartige Sicherheitskonzepte und das Wohlbefinden. Wobei, so ganz hat er die Abenteuerlust nicht aufgegeben. Im Mai will er mit dem Aquasplash, einem ultraleichten Sportwagen-Tragflügelboot mit Carbon-Komposite-Haut, der 2004 auf dem Autosalon Premiere hatte, den Ärmelkanal durchqueren und dabei den von Richard Brandson aufgestellten Weltrekord einstellen.
Was Rinderknecht als abstraktes Konzept entwickelt, wird im nur wenige Kilometer entfernten Fällanden von Engineering-Spezialisten der Esoro AG, die seit vielen Jahren als Auftragsentwickler im Bereich Automobiltechnik, Leichtbau und Kunststofftechnik tätig sind, visualisiert, analysiert, modifiziert und anschließend in Zusammenarbeit mit vielen weiteren Unternehmen realisiert. Neben der eigenen Entwicklung von industriellen Produktionsverfahren für Kunststoffbauteile hat das kreative Abenteuer Kunststoff mittlerweile bei Esoro einen neuen Geschäftsbereich hervorgebracht. Mit der speziell hierfür gegründeten Firma Plastxform produzieren und vertreiben sie Sitzschalenmöbel aus thermoplastischen Faserverbundstoffen und sind auf der Suche nach weiteren Ideen. elp
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de