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Ein großer Wurf und viel Kleinmut

Mitteldeutsches Multimediazentrum in Halle
Ein großer Wurf und viel Kleinmut

Das aus dem »Plateau«, dem »Schwebekörper« und dem »Kukus« bestehende Ensemble des Mitteldeutschen Multimediazentrums steht auf einem Grundstück direkt an der Saale am Rande der Innenstadt von Halle. Als Verbindungsglied zwischen Altstadt und Neustadt kommt ihm eine wichtige städtebauliche Funktion zu. Eigentlich als Initialprojekt für den Ausbau Sachsen-Anhalts zum Medienzentrum gedacht, drohen sich die Stadtväter in der letzten Phase der Realisierung derzeit selber im Wege zu stehen. The Mitteldeutsches Multimediazentrum building ensemble, consisting of the »Plateau«, the »Floating Body« and the »Cube«, is located on a site directly next to the River Saale on the periphery of Halle’s inner city. It plays an important urban design role as a link between the Old Town and the modern city. While in fact intended as an initial project for the development of Sachsen-Anhalt into a media centre, the local authorities are threatening to put their own obstacles in the way during the final stages of realisation.

Text: Claus Käpplinger Fotos: Bertram Kober (PUNCTUM Leipzig) Das »Mitteldeutsche Multimediazentrum« (MMZ) könnte einer jener viel beschworenen Leuchttürme für Ostdeutschland werden, ein architektonisches Zeichen gegen das Schrumpfen ostdeutscher Städte, ein mutiges Bekenntnis für das Weiterbauen und für zeitgenössische Architektur, ein Zeichen des Aufbruchs in die mediale Wissensgesellschaft. Ein Zeichen der Hoffnung auch für die arg geplagte ostdeutsche Baukultur, dass nicht nur Architekturbüros aus dem Westen, sondern auch ein junges ostdeutsches Büro ein wichtiges Infrastruktur-Projekt zu bauen vermögen. Noch sind nicht alle Hoffnungen verloren, doch kurz vor der Fertigstellung droht das Projekt zu scheitern.

Dabei hatte alles viel versprechend begonnen: Im Rahmen der Initiative »Halle digital 21« war im Jahre 2000 ein beschränkter Wettbewerb mit vorgeschaltetem EU-offenen Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben worden, dessen Jury sich einstimmig für den Entwurf des Hallenser Architekturbüros letzelfreivogel entschied. Ein Mitteldeutsches Multimediazentrum als Ort der Forschung, Ausbildung und Produktion sollte an der Saale entstehen, das die Medien- und Kommunikationswissenschaften der Martin-Luther-Universität, eine Landesfernsehakademie sowie junge Bild- und Ton-Unternehmen vereint.
Synergien wurden angestrebt, nicht zuletzt zum nahen Hörfunkzentrum des MDR an der Saale. Der Standort ist gut gewählt, könnte mit einem Neubau an dieser Stelle doch zugleich eine der vielen Wunden der ehemals dicht bebauten Hallenser Stadtstruktur geheilt werden. Am Rande der westlichen Innenstadt, an der Saalebrücke nach Halle-Neustadt entsteht derzeit das MMZ auf einem Grundstück, auf dem sich noch bis in die achtziger Jahre der alte Packhof erstreckte. Ein tristes Parkplatzareal befand sich dort, das kaum der historischen Bedeutung des Orts entsprach, zumal es sich gegenüber den alten Königlichen Salinenbauten auf der Saaleaue befand, denen Halle seinen Reichtum bis ins 18. Jahrhundert verdankte. Mit dem MMZ soll eine wichtige Gelenkstelle der Stadt wieder wahrnehmbar werden.
Dreteiliges Ensemble Als Antwort auf die historisch gewachsene Heterogenität der Klaustorvorstadt, ihre Bauten des Barocks, der Gründerzeit und Jahrhundertwende entwickelten Nadja Letzel und Gábor Freivogel ein kontrastreiches Ensemble aus drei klar fassbaren Baukörpern, deren variable Vielteiligkeit dem gewünschten Raumprogramm von Studios, Büros und Seminarbereichen kongenial entspricht: Einen das Grundstück vollständig ausfüllenden Sockelkörper als Plateau mit einem 77 Meter langen, mehrfach abknickenden Schwebekörper von bis zu 15 Metern Tiefe sowie einen 25 Meter tiefen Kubus.
Der Sockelkörper gleicht die erheblichen Niveauunterschiede des zur Brücke ansteigenden Terrains aus, schafft eine öffentliche Aussichtsterrasse zur Saaleaue und bietet zugleich mit seinen zwei Patio-Einschnitten viel nutzbaren Raum. Der tiefe Kubus an der Nordostecke des Grundstücks bietet größeren Studios ausreichend Platz und stellt den Straßenraum der Ankerstraße sowie der vormals völlig verloren gegangenen Hulbe-Gasse wieder her. Zu den Nachbarbauten weicht er mit schrägen Außenwänden respektvoll zurück, um den Barockgebäuden ausreichend Licht und Raum zu lassen. Entlang der Mansfelder Straße leistet dies der sich aufstaffelnde, dynamisch geknickte Schwebekörper, der sich mit seinem transparenten Eingangsgeschoss über das Plateau erhebt. Große Dichte sowie Weite, abwechslungsreiche Niveau- und Maßstabssprünge und viele materielle Kontraste bietet das MMZ-Ensemble, das die Struktur des alten Halles zeitgenössisch reinterpretiert und mit neuem Leben füllt. Doch nahezu alle Funktionszuweisungen veränderten sich seit dem Wettbewerb. Das Projekt einer Fernsehakademie Sachsen-Anhalt wurde aufgegeben, aus den Film- und Fernsehstudios wurden ausschließlich Tonstudios, hierfür wurden wiederum alle Universitätsinstitute aus dem ehemals öffentlichen Sockelkörper in den Schwebekörper verlagert, wo ihnen Seminarräume eingerichtet werden mussten. Die Bruttogeschoss- und Nutzflächen wurden unter anderem durch ein zusätzliches Geschoss im Schwebekörper erheblich erhöht. Es spricht für das Konzept von letzelfreivogel, dass ihr Ensemble alle Änderungen erstaunlich gut verkraftet hat und alle Flächen des MMZ schnell Mieter fanden. Nicht zuletzt die mit dem Frankfurter Ingenieurbüro Bollinger + Grohmann entwickelte Bauweise in Stahl-Stahlbeton-Verbundbauweise mit tragenden Außenwänden ermöglichte erstaunliche Freiheiten der Raumzuschnitte und Funktionszuweisungen, so dass das, bis auf die Erschließungskerne undefinierte, stützenlose Innere des Schwebekörpers, die Gliederung in Seminarräume, Kombi-, Zellen- oder Großraumbüros problemlos möglich macht. In Verbindung mit einem Achsmaß von 3,75 Metern besteht sogar die Option von Mieteinheiten ab 20 m² – wenn auch am Ende alle Mieter der Ton- und Trickfilmunternehmen größere Flächen mieteten und eine zweihüftige Zellenbürostruktur wählten.
Zu wenig Vertrauen in die Architektur Gegenüber der stadteigenen Trägergesellschaft des MMZ nutzte den Architekten aber die hervorragende Konzeption ihres Projekts nichts. Zahlreiche Bauverzögerungen durch eine Nachbarschaftsklage, Gründungsprobleme – die sich aus einer dreigeschossigen Tiefgarage und zu wenigen Bodenuntersuchungen ergaben – sowie die Umplanung zu einem Medienzentrum mit Schwerpunkt Tonproduktion führten zu einer unseligen Allianz des Bauherrn mit einem Berliner Bauleitungsbüro, das die Architekten selbst ins Boot geholt hatten. 2005 wurden die Architekten aus dem Projekt entlassen, ja ihnen sogar Baustellenverbot erteilt, so dass der letzte Ausbau nicht mehr in ihrer Hand liegt.
Das Erscheinungsbild ihres Ensembles konnten sie glücklicherweise noch selber bestimmen, das Innere nicht mehr. Gelungen änderten sie die Hülle des Schwebekörpers von schwarzem Zinkblech zu günstigerem voreloxiertem Kupferblech mit Winkelfalzen, deren horizontalen Schattenfugen und Patina das Umfeld aufwerten. Weniger glücklich war ihre Entscheidung zu türkisfarbenem Floatglas für die Zwischenfelder ihrer Fensterstreifen, das zu kontrastvoll hervortritt, doch für eine Musterfassade war kein Budget vorhanden. Gelungen hingegen ist ebenso die Materialwahl beim Kubus, der an Stelle der früheren dunklen Steinverkleidung einen leicht elfenbeinfarbenen Putz erhielt, was nun weniger die barocken Nachbarn bedrängt und besser zum Betonwerkstein von Sockel und Plateau passt.
letzelfreivogel konnten noch die beiden großen, kräftig rot gestrichenen Treppenkörper im Schwebekörper gestalten, doch ihr großzügiges Eingangsfoyer wird wohl neutral-weiß und leer bleiben und ohne die räumliche und materielle Kontinuität zwischen Innen und Außen, die sie mit einem Empfangstresen und Metallhaut vorgesehen hatten. Noch schlimmer wird es ihrer eingestellten »Medien-Kasbah« im Kubus ergehen, deren Betonwände alle größeren Studios samt einem Multifunktionssaal umfassen. Weit sichtbar durch eine gläserne Außenhaut und mit einem über fünf Geschosse reichenden offenen Treppenfoyer verbunden, erhält sie nun eine banale Regips-Verkleidung.
Ähnlich brachial werden die ursprünglich grünen Inseln der Patios einen steinernen Belag erhalten, was den intendierten Kontrast von Intimität und Öffentlichkeit zum darüber liegenden Plateau verschwinden lässt. Allein die Einrichtung einer Cafeteria im Kopf des Schwebekörpers und einer Foyer-Lounge im Kubus beweist noch gestalterische Sensibilität für ein Ensemble, das intelligent und selbstbewusst eine klaffende Wunde Halles schließt. Seine wechselnden Raumkanten, Niveaufolgen und Blickbeziehungen faszinieren, seine Staffelungen, Knicke und Rücksprünge schützen seine gewaltigen Körper davor, ihr Umfeld zu dominieren. Ein wirtschaftlicher Erfolg ist das MMZ gewiss, doch für ein eindrucksvolles kulturelles Signal des Aufbruchs in eine neue Zeit müsste Halle seinen Architekten schon mehr Vertrauen entgegen bringen. C. K.
Bauherr: Mitteldeutsche Multimediazentrum GmbH, Halle Architekten und Generalplaner: letzelfreivogel architekten Projektteam: Gábor Freivogel (Projektleitung/ Generalplanung), Nadja Letzel, Günter Heiß, Jörg Wetzke, Robert Bleschert, Jan Wortmann Wettbewerbsteam: Gábor Freivogel, Nadja Letzel, Günter Heiß, Jörg Wetzke, Thomas Schumann Tragwerk: Bollinger + Grohmann – Ingenieurbüro für Bauwesen, Frankfurt/Main; Richard Troelenberg (Projektleiter); Thomas Peter, Regensburg (Spezialtiefbau) Haustechnik: Planungsgruppe MM AG, Naumburg; Ulf Kaulbarsch (Projektleiter) Bauphysik: Büro für Bauphysik Manfred Wieße, Wansleben am See Brandschutz: Ingenieurbüro für Brandschutz Dr. Udo Rönn, Leipzig Studioplanung: ACM Akustik- und Studioplanungs GmbH, München Schallschutz (Studios): Ingenieurbüro Manfred Goritzka, Leipig Wettbewerb: 2000 Bauzeit: Februar 2002 – vorraussichtlich Ende 2006 NF (incl. Tiefgarage): 18764 m2 BGF : 23641 m² BRI : 79903 m³ Baukosten: ca. 35 Mio EUR
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