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Die Leuchtturmprojekte prägen auch das Bild von Hamburg

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Die Leuchtturmprojekte prägen auch das Bild von Hamburg

Interview mit dem Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter Die HafenCity soll keine Neubausiedlung werden, sondern ein »normales Stück Stadt«. Oberbaudirektor Jörn Walter steuert Europas größtes Stadtentwicklungsprojekt – mit Hilfe ausgeklügelter Verfahren und erwünschter Zufälle.

Amelie Osterloh: Ihr Büro in der Hamburger Innenstadt liegt nur zehn Minuten Fußweg von der HafenCity entfernt. Das ist doch praktisch. Haben Sie sich schon eine Wohnung reserviert?

Jörn Walter: Nein, ich bin wohl der Einzige, der dort nicht wohnen kann. Wenn ich mich in einem Projekt, für das ich zuständig bin, selbst niederlassen würde, wäre das eine unglückliche Konstruktion. So was sollte man vermeiden.
Ich habe zwei kleine Kinder. Wie könnten wir dort eine familientaugliche und bezahlbare Wohnung finden?
Ich glaube, dass das nicht so schwierig ist. Der Anteil der Wohnungen, in denen Familien wohnen, liegt in der HafenCity etwa halb so hoch wie im Hamburger Durchschnitt, nämlich bei etwa zehn Prozent. Sie wird für diejenigen, die ihre Kinder in der Stadt großziehen wollen, doch ein hoch attraktiver Standort werden. Die HafenCity ist ja wie eine Insel vor der Stadt, mit viel Wasser, direkt an der Innenstadt gelegen und dennoch praktisch ohne Durchgangsverkehr. Das einzig Ärgerliche ist, dass wir den Sandtorpark und den Grasbrookpark erst anlegen können, wenn der Bau der U-Bahn-Linie zwischen HafenCity und Jungfernstieg abgeschlossen ist.
Preisgünstige Wohnungen sind hier aber noch rar gesät.
Zum einen werden die Genossenschaftswohnungen als Mietwohnungen angeboten – für das, was man geboten bekommt, zu einem sehr moderaten Preisniveau. Oder man kann sich in Baugemeinschaften engagieren.
Wie wird sich der Anteil der Genossenschaftswohnungen entwickeln?
Zuerst hatten die Genossenschaften eher ein programmatisches Interesse an der HafenCity. Mittlerweile sollen aber einige Hundert mehr Genossenschaftswohnungen entstehen. Auch die neue Koalition aus CDU und Grünen fordert mehr preisgünstigere Wohnungen. Ich gehe davon aus, dass wir den Wohnungsanteil in den östlichen Quartieren noch etwas erhöhen können. Wir kommen dann auf über 6000 Wohneinheiten in der HafenCity.
Sie haben am Kaiserkai in einem sehr komplexen »Anhandgabeverfahren« mit fünfzig verschiedenen Partnern zusammengearbeitet. Manche Beteiligte fanden es sehr mühsam. Hat sich der Umstand gelohnt?
Aus meiner Sicht ja. Erstens, weil es dazu beigetragen hat, dass wir ganz unterschiedliche Käufer erreichen konnten, die als »Immobilienleute« verschiedene Märkte bedienen. Zweitens, weil wir dadurch ein sehr vielfältiges Angebot an Wohnungstypen schaffen konnten. Und schließlich denke ich auch, dass die Typologie und Körnung von Architektur, die wir so erreicht haben, zum ersten Mal erkennen lassen, dass dort ein Stück Stadt mit vielen Einzelkomponenten entsteht. Also hat das Verfahren viel zum Thema Vielfalt beigetragen, aber auch zur Mischung unterschiedlicher Bevölkerungsteile und Architekturen.
Werden Sie es in den nächsten Quartieren weiter östlich wieder anwenden?
Ich denke ja. Es ist etwas, worin sich die HafenCity von vergleichbaren großen Stadterweiterungen, die oft als Siedlung vor der Stadt enden, abhebt. Uns sind die Vernetzung mit der Stadt und eine urbane Vielseitigkeit sehr wichtig.
Sie behalten durch das Anhandgabeverfahren auch größeren Einfluss auf die Architekturgestaltung. Am Sandtorkai sind Sie schon ähnlich vorgegangen. Viele vermissen dort auf der Straßenebene öffentliche Nutzungen. Warum hat das am Kaiserkai besser funktioniert und am Sandtorkai nicht?
Der Sandtorkai ist im Bezug auf den Hochwasserschutz der schwierigste Fall, den wir in der gesamten HafenCity zu bewältigen hatten, weil dort sowohl auf der Nord- als auch auf der Südseite eine Hochwasserangriffsfläche unter Kontrolle gehalten werden muss. Außerdem hat sich die Stadt Hamburg 1998 in dem Beschluss des Masterplans vorbehalten, dass sie die Hauptdeichlinie eines Tages hierher vorverlegen kann. Dadurch würde die Speicherstadt geschützt. Es bedeutet aber für die Neubauten zusätzliche Auflagen, weil es dann nicht nur um den privaten Hochwasserschutz geht, sondern auch um die Möglichkeit, aus dem Polder, auf dem die Gebäude stehen, langfristig eine öffentlich-rechtliche Hochwasserschutzanlage zu bauen. Praktisch heißt dies, dass es in jedem dieser Häuser eine Wand gibt, die so dicht sein muss, dass sie als öffentlich-rechtliche Hochwasserlinie zum Schutz der gesamten Hamburger Innenstadt taugt. Die Summe dieser Auflagen hat es am Sandtorkai besonders schwierig und teuer gemacht, dort andere Nutzungen in die Überschwemmungsebene zu bringen. Ich bedaure das sehr. Es hat wohl auch damit zu tun, dass wir damals, ganz am Anfang des Projekts, die Auflagen nicht zu hochschrauben wollten.
Die Alternative wäre gewesen, oben, auf der flutsicheren Ebene zwischen den Gebäuden, Gastronomie anzusiedeln.
Das ergibt sich ja vielleicht noch. Wir haben, um flexibel zu bleiben, in allen Gebäuden eine fünf Meter hohe Erdgeschosszone vorgesehen. Am Sandtorkai ist sie im Augenblick durchgehend mit Büros belegt, aber man könnte sie jederzeit umnutzen. Das ist den Bauherren überlassen. In diesem Punkt muss man etwas auf die Zeit setzen. Wenn so eine Stadtentwicklung startet, ist natürlich die Zahl derer, die dort wohnen und arbeiten, noch nicht so groß, dass sich Läden oder Gastronomie tragen. Dieser Zustand wird sich aber in zehn oder fünfzehn Jahren völlig geändert haben. Bis dahin wird die HafenCity als ein Teil der Hamburger Innenstadt empfunden werden und es werden viel mehr Leute dort leben. Und dann tragen sich ganz andere Größenordnungen von Läden, Gastronomie usw. Sie können ja nicht zehn, fünfzehn Jahre Bäcker oder Lebensmittelläden subventionieren. Eine Mindestversorgung muss da sein, ansonsten muss man es dem Markt überlassen. Wir haben deshalb im Moment am Kaiserkai teilweise auch Wohnungen im Erdgeschoss zugelassen, aber das wird sich sukzessive regeln.
Sind die jetzt vorhandenen Läden am Kaiserkai subventioniert?
Nein, aber um eine Mindestversorgung zu erreichen, haben wir zum Beispiel am Vasco-da-Gama-Platz in den Kaufverträgen festgelegt, dass dort die Erdgeschosse schon jetzt geschäftlich genutzt werden müssen.
Das Überseequartier wird privat von einem Investoren-Konsortium entwickelt. Sie haben dies damit begründet, dass das übergeordnete Ziel eines »normalen« innerstädtischen Einkaufsquartiers bei Einzelvergabe nicht erreichbar schien. Warum nicht?
Das Überseequartier hat die Funktion einer City in der HafenCity. Es sollten hier also ungefähr 40 000 m² Fläche für den Einzelhandel entstehen. So etwas wurde seit dreißig Jahren sonst nur in Form von geschlossenen Einkaufszentren realisiert. Nur eine Mall als eine introvertierte und auf sich bezogene Einheit bekommen Sie an so einem Standort immer zum Laufen. Aber das wollten wir nicht, sondern ein normales Stadtviertel mit Läden ›
› im Erdgeschoss. Das hätten wir nicht hinbekommen, wenn wir Einzelhäuser auf den Markt geworfen hätten, denn ein einzelner Händler hätte immer das Problem, dass er allein keine »Adresse« erzeugen und damit auch nicht die notwendige Frequenz von Passanten generieren kann. Stattdessen braucht man eine Summe von Läden, die zusammen so attraktiv sind, dass die Leute hingehen. Deshalb haben wir uns entschieden, das Prinzip einer Mall sinngemäß auf das Quartier zu übertragen. Und das heißt unter anderem, einem Konsortium die Möglichkeit zu geben, alle Flächen gleichzeitig besetzen zu können – mit vielen Auflagen zur Typologie und Mischung, damit es so wird, wie wir uns das vorstellen.
Und damit die städtebaulich erwünschte Geschosszahl von fünf bis sechs Stockwerken erreicht wird, muss das Konsortium spekulativ auch noch 120 000 m² Büros und 400 Wohnungen bauen?
Da es keine eingeschossige Stadt werden soll, wie sie in den fünfziger Jahren gebaut worden ist, ja. Um das Risiko für den Bauherrn zu minimieren, wurde aber vertraglich festgelegt, dass wir als Stadt im Notfall zum Beispiel bis zu 50 000 m² der Büroflächen anmieten. Bis das Überseequartier 2011 eröffnet wird, sind dort immerhin 260 000 m² gebaut.
Einige Leute vermissen in der HafenCity etwas von dem früheren, ruppigen Hafenflair. Sie haben sich bewusst dagegen entschieden, zugunsten eines wohnlicheren Ambientes. Warum?
Ich weiß, dass die Meinungen da auseinandergehen und ich lasse offen, was später einmal im Rückblick als das Richtige bewertet werden wird. Es wurde auch in der Jury des Freiraum-Wettbewerbs durchaus strittig diskutiert: Bewahrt man das Ruppige, Großteilige als Gestaltungsmerkmal für die HafenCity und führt es fort? Oder muss man es im öffentlichen Raum etwas brechen? Zum Beispiel im Hinblick auf die Frage: Wie fühlen sich die Bewohner, auch die Kinder, dort wohl? Und wir waren bei dem Entwurf von EMBT jedenfalls mehrheitlich der Überzeugung, es sei wohl doch richtig, wenn man einen so hohen Wohnanteil realisieren will, dass man eine etwas freundlichere, und auch in den Maßstäben etwas überschaubarere, angepasstere Atmosphäre schafft. Und ich meine, es hat sich auch bewährt. Mein Eindruck ist, dass es zwar von einigen Fachleuten kritisch gesehen wird, dass es aber bezüglich der Akzeptanz der HafenCity als Wohnquartier sehr geholfen hat. Die Plätze erfreuen sich großer Beliebtheit.
Wie schafft man es, dass aus einer Stadtentwicklung von der Größe der HafenCity ein »Stück Stadt« wird und keine Siedlung?
Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass neben Wohnen und Büros auch kulturelle und touristische Komponenten eine wichtige Rolle spielen. Und gewisse Zufallsmomente, für die man offen sein sollte. Das gilt insbesondere da, wo man die Möglichkeit hat, auch besonderen Nutzergruppen eine Chance zu geben. Wir haben ja auch schon die eine oder andere positive Überraschung erlebt. Zum Beispiel gab es, als der Masterplan beschlossen wurde, noch keine Philharmonie. Oder die Baugemeinschaften, die sich mit ganz eigenen Ideen und Architekturen eingebracht haben, denken Sie an den Neubau von LOVE Architects am Kaiserkai. Die haben ihre Eigenständigkeit unter Beweis gestellt, und ich freue mich im Grunde darüber (lacht).
Die Elbphilharmonie ist ja ein sehr ambitioniertes Projekt.
Deshalb hat es ja auch zwei Jahre gedauert, bis die endgültige Entscheidung dafür gefallen ist. Die HafenCity braucht solche Leuchtturmprojekte, um das, was sie für Hamburg darstellt, auch nach außen zu zeigen. Sie braucht an den prominenten Standorten besondere Nutzungen und besondere Architekturen. Das darf kein Tagesgeschäft sein, denn diese »Leuchttürme« prägen das künftige Bild von Hamburg. Trotzdem ist es im konkreten Einzelfall immer schwierig, die notwendigen Mittel aufzubringen und die Objekte inhaltlich auszufüllen. Es ist schon eine große Anstrengung für eine Stadt, so ein ambitioniertes Projekt zu stemmen.
Was bedeutet die HafenCity für die heutige Innenstadt? Gibt es nicht erstmal Probleme? Der Einzelhandel kränkelt heute schon und bekommt mit der HafenCity starke Konkurrenz. Unilever und der Spiegel ziehen aus der Innenstadt in die HafenCity.
Viele haben diese Prognose gestellt: »Wenn Ihr in der HafenCity so viel Handel plant, stirbt die Innenstadt.« Aber im Moment ist das Gegenteil der Fall. Natürlich steht die HafenCity bei einzelnen Projekten in einer gewissen Konkurrenz zur Innenstadt. Aber die entstehende Wettbewerbssituation wirkt sich positiv aus, und ich denke, das wird sich auch weiter verstärken. In der Innenstadt wird im Moment so viel gebaut wie schon lange nicht mehr. Und zentrale Standorte, die über hundert Jahre völlig uninteressant waren, werden auf einmal dadurch wieder attraktiv, dass Hamburg mit der HafenCity im Süden im übertragenen Sinne das alte Wandrahmviertel wiedergewinnt, das bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit alten Bürgerhäusern bebaut war. Denken Sie an den Großen Burstah, das Nikolaiviertel oder die Halbinsel Cremon, die wieder in den Fokus rücken. Das Unilever- und das Spiegel-Hochhaus können jetzt saniert und neu vermietet werden. Ich glaube, dass die Innenstadt insgesamt gegenüber anderen Standorten in Hamburg und im Umland deutlich gestärkt wird. Und ich bin auch zuversichtlich, dass wir mit der HafenCity neue Kunden für das Hamburger Zentrum gewinnen. Die Geschäfte in der HafenCity werden mehr mit Tourismus- und Freizeit-Nutzungen zusammenhängen. Nachher werden sich diese drei Hauptmilieus, der Kaufhaus-Einkauf entlang der Mönckebergstraße, das Passagenviertel um Jungfernstieg und Gänsemarkt und dann das eher freizeitbezogene Einkaufen in der HafenCity gegenseitig stützen.
Für die räumliche Anbindung der HafenCity an die Innenstadt kommt dem Domplatz eine besondere Bedeutung zu. Das von Ihnen favorisierte Konzept, hier eine moderne Bibliothek zu bauen, ist gescheitert. Wie ist der Stand der Dinge?
Die Bibliothek sollte die Innenstadt enger mit HafenCity und Kontorhausviertel verknüpfen und den Weg nach Süden interessanter gestalten. Wir werden jetzt eine provisorische Grünfläche einrichten, und dann wird man sehen, wie die Entwicklung weitergeht. Zuerst werden wir den Fußgängerlauf in dem gesamten Straßenzug zwischen Jungfernstieg und HafenCity umbauen. In den nächsten Jahren müssen wir den Auto- und Fahrradverkehr in diesem Bereich neu ordnen. Aber auch die Achse an den Deichtorhallen vorbei zum Hauptbahnhof müssen wir neu entwickeln, das ist heute noch fast eine reine Verkehrsanlage. Ich hoffe, dass wir die City-Hochhäuser abbrechen und den Abschnitt in den nächsten Jahren neu bebauen können. Und da sind noch einige weitere Potenziale vorhanden.
Bald wird mit der Bebauung der HafenCity-Standorte östlich des Magdeburger Hafens begonnen. Birgt die etwas abgelegene Lage – quasi »zweitklassige Top-Lage«– auch Chancen, die sie von den Quartieren im Westen abheben?
Es ist sicherlich eine etwas andere Lage. Aber ich glaube, dadurch dass wir im Westen angefangen haben, und auch dadurch, dass zuerst das Überseequartier und die HafenCity Universität fertig werden, wird der östliche Teil deutlich attraktiver als man das vielleicht vor zehn Jahren noch eingeschätzt hat, als diese Gebiete Hafen und ganz schön weit draußen waren. Deswegen würde ich mich im Moment auch gar nicht auf konkrete Preise festlegen wollen. Die Gefahr, dass es dort schwieriger werden könnte als im Westen, sehe ich aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr, sondern sogar eher die Chance, zum Beispiel gegenüber der Großmarkthalle noch ganz eigenständige Milieus hinzufügen zu können, inklusive der Nutzung noch in der HafenCity bestehender Altbauten. •
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