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Der radikale Narr des Kapitals

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Der radikale Narr des Kapitals

Jeremy Bentham, das »Panoptikum« und die »Auto-Ikone«. Von Christian Welzbacher. 224 S., 14,80 Euro, Verlag Matthes und Seitz, Berlin 2011

~Christian Holl

Beim Diskurs darüber, wie die Formen, die unser Zusammenleben organisieren, Macht und Gewalt ausüben, wird gern Michel Foucaults »Überwachen und Strafen« zitiert. Eine Schlüsselrolle nimmt darin Jeremy Benthams Idee des Panoptikums ein: Das Gefängnis, bei dem sämtliche Zellen von dessen Mittelpunkt aus eingesehen werden können. Die dabei von Foucault hergestellten Verbindungen, der im Panoptikum Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts vorstrukturiert sah, in denen Kasernendrill und industrielle Produktion gleichen Mustern folgten, seien allerdings eine Fehldeutung, so Christian Welzbacher. Dessen dichter Essay zeigt, dass im Panoptikum soziale, strafrechtliche, moralische und architektonische Ideen in einer symbolischen Figur verdichtet werden, die ohne den zeitgeschichtlichen Kontext der beginnenden Neuzeit nicht bewertet werden können. Welzbacher stellt Bentham als einen überzeugten Utilitaristen vor. Der englische Philosoph (1748-1832) nimmt an einem gesellschaftlichen Aufbruch teil, in dem die Menschenrechte zu einem neuen Leitbild gesellschaftspolitischen Handelns erklärt wurden. Er glaubt an die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie als Mittel gegen politische Korrumpierbarkeit und hält den Markt für eine moralische Instanz. Und er hält die Architektur für fähig, gesellschaftliche Grundsatzfragen zu lösen – nicht allein funktional, sondern auch kraft ihres Ausdrucks. Gleichwohl weiß der Autor, dass Bentham die Macht des philosophischen Gedankens überschätzt und überstrapaziert hat. Das wird tragisch sichtbar in Benthams Selbstinzenierung als »Auto-Ikone«. Mit dem eigenen ausgestopften Leichnam hat er seine aufklärerische Kritik an Religion und Mystizismus auf die Spitze getrieben. Doch darin scheiterte er wegen eines Missgeschicks beim Trocknungsverfahren, das seinen Kopf so entstellte, dass er durch eine Kopie aus Wachs ersetzt werden musste. In der konkreten Umsetzung wird also die Theorie entzaubert, die sich Entzauberung zum Ziel gesetzt hatte. Der Pervertierung seiner Ideen musste Bentham, den Goethe durchaus wohlwollend einen »radikalen Narren« nannte, als zur Tatenlosigkeit verdammte, ausgestopfte Philosophenleiche beiwohnen.
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