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Betreff: Umdenken in der spanischen Tourismusindustrie?

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Betreff: Umdenken in der spanischen Tourismusindustrie?

Liebe db,

irgendwie stimmen sie alle, die Bilder von grün umsäumten spanischen Buchten mit Kieselstrand und türkisfarbenem Wasser, von dekorativen Holzbooten, von hellen Dörfern, aber auch die von eng stehenden gelb-beigen Betonstiften, von überfüllten Stränden und alkoholisierten Nacktbäuchen. Trotz Krise rechnet die spanische Regierung bis 2020 mit bis zu 75 Mio. Touristen pro Jahr, v. a. an den Küsten, ein Drittel mehr noch als zurzeit. In Relation zu den knapp 47 Mio. Einwohnern ist die Zahl ökonomisch, räumlich und ökologisch bedeutend. Benötigt werden Unterkünfte, Gastronomie, Nahversorgung, Transportwege und -mittel. In den Saisonstädten ist der Druck im Sommer enorm, winters dämmern sie leer dahin. In den Anfängen des Massentourismus setzten die Investoren noch auf den Glanz der Moderne mit Beton, großen Eingangslobbys und schwungvollen Balkonen. Doch mit einer schnell steigenden Nachfrage sank der Gestaltungswille auf ein Minimum, Geld ließ sich schneller machen: Hochhäuser wuchsen aus den Buchten, mit einer gläsernen Vorderseite zum Meer und einer meist geschlossenen Betonrückwand. Sie ermöglichten räumlich erst den Massentourismus. Einige Gemeinden setzten auch auf flächige Bebauung im vermeintlich landestypischen Stil. Andere verwehrten sich ganz den Baulöwen und werben heute mit einem museal gepflegten, »authentischen Spanienbild« um Individualtouristen. Zunehmend diskutieren Behörden, Planer und Bürger über die Formen des Tourismus: nicht nur unter architektonischen Gesichtspunkten, sondern auch, weil der Ressourcenverbrauch die Küstenlandschaft zu zerstören droht und der Klimawandel eben diese Ressourcen, v. a. Wasser und unversiegeltes Land, kostbar macht.
Ein Beispiel ist [1] Benidorm: Aus ästhetischer Sicht sicher keine nachhaltige Stadt, doch die Architekten von MVRDV (»Costa Ibérica«, 2000) und der spanische Soziologe José Miguel Iribas (»Learning from Benidorm«, 2008) sprachen sich für eine neue Sichtweise auf den Badeort aus: Der Hochhausbau spart Fläche und konzentriert Touristen und Infrastruktur. Gäbe es ein Dutzend solcher Städte, wäre die restliche spanische Küste touristisch unverbraucht. Benidorm setzt also weiterhin auf Hochhäuser. Angesichts befürchteter Umweltschäden und zumeist niedriger Bauqualität der Bettenburgen entwarfen die Architekten von urbanarbolismo für den Ort ein Hochhausensemble mit dem Anspruch, trotz urbaner Dichte dem Urlauber ein naturnahes Erlebnis zu bieten. Die Gebäude stehen auf Beton-Stelzen in einem baumreichen Park. Im Innern bildet der Betonkern einen begrünten Luftkanal mit natürlicher Thermik. Teilweise begrünte Fassaden und eine Grauwassernutzung ergänzen das Klimakonzept. Das Projekt bleibt vorerst Utopie. Immerhin aber rüsten Hotels immer mehr um auf einen wassersparenden Betrieb und Müllvermeidung. Ähnlich wie in Deutschland sorgen gesetzliche Auflagen dafür, und neue Gütesiegel für Ökotourismus locken auch umweltbewusstere Gäste. Ob aber acht Pools, ein Golfplatz und Badewannen mit Whirlpoolfunktion wie beim Fünf-Sterne-Luxus-Resort San Blas auf Teneriffa, 2009 inmitten eines Naturschutzgebiets gebaut und als »EcoResort« beworben, tatsächlich umweltfreundlich sind, bleibt fraglich. Die Küstenlandschaft bleibt durch Umweltkatastrophen oder durch illegale Bebauung bedroht. Das beweist Greenpeace in einem empörenden Report im Juli 2010. Ebenso wie Margarete Auken, die dem EU-Parlament im Februar 2009 ein Dokument vorlegte, das die erschreckend weit verbreitete Korruption in der Baugenehmigungsvergabe v. a. in spanischen Küstenregionen aufdeckte. Mit derartigen Untersuchungen wächst der Druck, die Korruption und den damit verbundenen ungesteuerten Küstenverbrauch zu bekämpfen. Doch nur mühsam bekommen die Gemeinden das Problem in den Griff, zuweilen mit drastischen Maßnahmen. So wurde in Marbella, der heimlichen Hauptstadt der Korruption, 2006 das gesamte Stadtparlament wegen Korruptionsverdacht ausgetauscht. Und neue Gesetze legitimieren den Abriss illegal gebauter Küstenhäuser. Das trifft viele Ausländer, die Ferienhaus oder Alterssitz in erster (geschützter) Küstenlinie bezugsfertig gekauft haben, deren Baugenehmigung nunmehr unwirksam ist. Der Eingriff in die Natur beschäftigt auch Architekten und Landschaftsplaner, die auf gestalterische Weise versuchen, der Landschaft gerecht zu werden. So entstanden neue Strandpromenaden, etwa die preisgekrönte [2/3] in Benidorm von Carlos Ferrater, der mit Wellenformen und Farbe den Übergang von der harten urbanen Kante zum Strand inszeniert. Auf Holz setzen Guallart Arquitectos, die gemeinsam mit Marta Malé einen langen Küstenstreifen in Vinaròs (Provinz Valencia) gestalteten. Die rauen Küstenfelsen waren Formgeber für die Holzskulpturen, die als Sitzmöbel und Gestaltungselement [4] die Strandpromenade und die umgrenzenden Felsen verknüpfen. Damit die Durchquerung der geschützten Landschaft bewusst geschieht, hilft es, den Weg selbst einladend zu gestalten, so wie es der Architekt Manuel Ruisánchez im katalanischen L’Ametlla de Mar plante. Statt einer klassischen Strandpromenade durchzieht ein langes Wegeband aus Holz und Stein die Küste und verbindet die Siedlungen des Orts.
Spanien braucht den Tourismus im großen Stil. Und der Massentourismus ermöglicht mehr Gewinn bei weniger Ressourcenverbrauch als z. B. die Landwirtschaft. Wie also sollte ich meinen nächsten Urlaub planen? Im Massenwohnungsbau, im Öko-Luxus, im Zelt – oder lieber als Stadturlaub? Ich hoffe auf Spaniens Planer und ihre neuen Ideen.
Saludos cordiales, ~Rosa Grewe
Rosa Grewe liebt Flamenco, das Mittelmeer – und spanische Architektur. Für ein Jahr streift sie quer über die iberische Halbinsel und entdeckt Stadt, Land und Stadtrand, Küste und Landschaft, Unterschiede und Bekanntes. Sie studierte Architektur in Darmstadt und ist seit 2006 Architekturjournalistin.
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