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Betont einfach

Zentrale Feuer- und Rettungswache mit Übungshaus in Gelsenkirchen-Buer
Betont einfach

Im Niemandsland neben einer Autobahnausfahrt entstand ein funktionales Gefüge mit hoher Aufenthaltsqualität. Die Gestaltung der beiden Solitärbauten – Mannschaftsgebäude und Brandübungshaus – ist klar an deren jeweiliger Funktion ausgerichtet. In no-man’s land next to a motorway off-ramp, it was imperative to achieve a functional arrangement with recreational quality. Both stringently formed solitary buildings – team building and fire drill house – clearly demonstrate the functions they serve.

Text: Gudrun Escher

In der Adventszeit gab es den Vorschlag, Lebkuchen an das Häuschen zu kleben, denn es sieht genau so aus, wie das sprichwörtliche Haus vom Nikolaus: unten zweigeschossiger Kubus, darauf ein Satteldach ohne Traufen bündig aufgesetzt, alles rostrot in gefärbtem Beton und Stahl. Nur, es fehlen die Fenster. Die braucht es auch nicht, denn sonst würde es drinnen, wo Stahlmöbel eine Standardwohnsituation simulieren, nicht so gut brennen. Das Brandübungshaus (Fotos Seite 42) ist Bestandteil der hochmodernen Übungsanlagen der Berufsfeuerwehr in Gelsenkirchen und zugleich markanter Blickfang für die Autofahrer auf dem Zubringer zur Autobahnauffahrt Gelsenkirchen-Buer, dort, wo es zur Fußballarena geht. Diese Nachbarschaft ist zwar praktisch für die Einsätze während der Fußballweltmeisterschaft 2006, war aber nicht ausschlaggebend für die Wahl des Standortes.
Die Bedarfsplanung der Feuerwehr für die in ihrer Nord-Süd-Ausdehnung sehr lang gestreckte Stadt liegt schon einige Jahre zurück und führte zur Neukonzeption einer Zentralstelle in der geografischen Mitte. Dort stand direkt nördlich der Autobahn A2 an einer Stichstraße zwischen Minigolfplatz und Privathäusern ein städtisches Grundstück zur Verfügung, das als Grünausgleichsfläche und für Notunterkünfte benutzt worden war und den großen Vorteil der direkten Anbindung an die Hauptverkehrsachsen bietet – ein idealer Standort für die Zusammenlegung bisher verteilter Funktionen. Jetzt gibt es hier die zentrale Leitstelle, Einsatzleitung und Einsatzplanung, die Brandschutzgutachter, die Technischen Dienste, den Fuhrpark mit Reinigungs- und Desinfektionsabteilung, das Personalwesen, Aufenthalts-, Schlaf- und Sanitärräume, eine Großküche zur Versorgung von fünfzig bis siebzig Personen rund um die Uhr, Fitnessraum und Turnhalle, Schulungs- und Fortbildungseinrichtungen intern sowie für externe Teilnehmer, die Freiwillige Feuerwehr und natürlich die Verwaltung. All‘ dies gruppiert sich auf 13 640 Quadratmetern Bruttogeschossfläche im Geviert um einen weiträumigen Innenhof, der für Übungen, Veranstaltungen und das Sammeln von Einsatzkräften genutzt wird. Dieses Geviert umzieht außen eine eigene Fahrstraße für die Zu- und Abfahrt der Einsatzfahrzeuge. Der nicht bebaubare schmale Streifen Richtung Autobahn nimmt einen bepflanzten Regenwassersammelteich auf, in den das aus der Brauchwasserzisterne überlaufende Dachflächenwasser mündet. Das Wasser verbessert das Mikroklima im Schatten der Autobahnschallschutzmauer. Im Sommer kann man sich Grillpartys vorstellen, in erster Linie aber sollen hier Einsätze mit Teichwasser geübt werden. Als ein weiterer Baustein im ökologisch ausgerichteten Gesamtkonzept des Projektes wollte man in der Solarstadt Gelsenkirchen nicht auf Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung sowie PV-Zellen auf dem Dach verzichten, sie decken aber kaum den Eigenbedarf.
Unzweifelhaft war das Interesse der Feuerwehrleute nicht in erster Linie auf ein ästhetisch ansprechendes Haus, geschweige denn ein Vorzeigestück zeitgenössischer Architektur ausgerichtet und es bestand in dieser Umgebung keinerlei Veranlassung zur Selbstdarstellung nach draußen. Umso höher ist die Entscheidung der Stadt für einen europaweit ausgeschriebenen Planungswettbewerb zu bewerten. Um den vielfältigen, sensiblen Anforderungen gerecht zu werden, war eine intensive Überarbeitung mit den fünf Erstplatzierten notwendig, ehe die endgültige Entscheidung für die Architekten Böge Lindner fiel. Dabei stellte es sich als günstig heraus, dass die Architekten ein Jahr zuvor bereits in Stuttgart eine Feuerwache geplant hatten und man nun von den Erfahrungen lernen konnte. Die Einzelausschreibung der Gewerke durch die örtliche Bauleitung hat nicht nur ein deutliches Einsparpotenzial ergeben, sondern es auch ermöglicht, sich die neuesten technischen Entwicklungen nutzbar zu machen, so etwa für das in allen Funktionen elektronisch steuerbare »Brandhaus« und den ebenfalls hochtechnisiert ausgestatteten Atemschutzübungsraum im eigens hierfür ausgebauten Keller.
Im Haus ist die gute Arbeitsatmosphäre überall spürbar. Dazu trägt die klare Gliederung der verschiedenen Bereiche bei, mit der Unterbringung aller zur Fahrbereitschaft gehörenden Zonen im Erdgeschoss sowie der vorgeschalteten beziehungsweise nachgeordneten Funktionen im Obergeschoss. Entsprechend stringent ist der Aufbau des annähernd quadratischen, flachen Blocks, errichtet aus Stahlbeton-Halbfertigteilen und einer Pfosten-Riegel-Konstruktion für die Fassaden. Die Dachkante überragen nur die höheren Sonderräume der Turnhalle, der Leitzentrale und des Sitzungssaales, wo im Bedarfsfall ein Krisenstab tagen kann. Sie sind jeweils beidseitig von begehbaren Lichthöfen als Pausenräume eingefasst, als wären sie in Aussparungen des Baukörpers hineingesetzt worden, deutlich gemacht durch zum Teil indirekt beleuchtete Schattenfugen an den Außenwänden. Die geringe Tiefe der Gebäudeflügel sorgt für viel Tageslicht, gelegentlich ergänzt durch Oberlichtkuppeln. Der Innenausbau ist in Sichtbeton, Holz und Glas für die Wände, Betonstein und Linoleum für die Böden einfach und in dezenter Farbigkeit gehalten, denn nichts darf vom Karminrot der Alarmschächte mit den stählernen Rutschstangen ablenken. Lediglich die Haupttreppe, die auch externe Besucher benutzen, mit ihrer beleuchteten Unterseite begleiten farbige Wände in Gelb und Rot. Beide Farben kehren innen in der Turnhalle wieder. Ein gedecktes Gelb ist der Grundton für die Lichtschutzlamellen der Leitzentrale, die Außenverkleidung des Sitzungssaales und die Holzpaneele, die im Wechsel mit Glasflächen im Obergeschoss die Außenfassade umlaufen. Sie können als Lüftungsflügel an Stelle von Fenstern geöffnet werden. Die Verglasung der Zwischen- und Außentüren sowie einzelne Bereiche der Außenverglasung sind mit Streifen von Milchglas strukturiert und in großen Buchstaben beschriftet, ein Leitsystem, das auf plumpe Beschilderung verzichten kann. Im ganzen Gebäude differenzieren subtile Gestaltungsvarianten das große Raumvolumen.
Scharfe Kanten und plane Flächen mit den markanten Einschnitten der 63 gläsernen Tore, strukturiert durch die wechselnde, fast spielerische Teilung in Tafeln verschiedener Materialien von anthrazitfarbenem Aluminium über Glas bis Holz am Hauptgebäude, Sichtbeton und Stahl am Brandhaus, kennzeichnen diese Architektur der betonten Einfachheit. Sie bedient sich der Stereotypen des Hofgebäudes, oszillierend zwischen Festung und Cour d’Honneur, und des einzeln stehenden Wohnhauses. Im Wettbewerbsmodell stand das Brandhaus noch versteckt auf der Südseite. Jetzt ist es auf der Nordseite, der Emil-Zimmermann-Allee zugewandt, zum städtebaulichen Merkzeichen geworden. Ihm gegenüber öffnet sich die Hauptfront des Hofgevierts durch das Freistellen von vier der quer laufenden Betonscheiben, die das Obergeschoss just in dem Bereich abstützen, in dem die Verwaltung untergebracht ist. Sie hat das rote Häuschen fest im Blick. G. E.
Bauherr : Stadt Gelsenkirchen Architekten: Böge Lindner Architekten, Jürgen Böge + Ingeborg Lindner-Böge, Hamburg Mitarbeiter: Peter Lehmann (Projektleitung); Detlev Kozian, Arend Buchholz-Berger, Lutz Keßling (Entwurf); Peter Focke, Kristina Kochalski, Jan-Bernd Leffers, Florian Prelle, Rebecca Taracido (Ausführung) Bauleitung : Harms & Partner Bauingenieure, Hannover Tragwerksplanung : Assmann Beraten + Planen GmbH, Dortmund Landschaftsplanung : Gelsendienste PN, Gelsenkirchen; Konsta Planungsgesellschaft mbH, Gelsenkirchen Fassadenplanung : Prof. Michael Lange – Ingenieurges. mbH, Hannover Gebäudetechnik: pbr Planungsbüro Rohling AG, Osnabrück Projektsteuerung : kplan AG, Siegen Nettogeschossfläche: 10 750 m2 Bruttorauminhalt: 56 670 m3 Bauzeit: Juli 2003 bis Juli 2005 Baukosten: 7,35 Mio Euro
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