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Beatrice Galilee, Kleine Büros

Allgemein
Beatrice Galilee, Kleine Büros

schrieb uns am 23. Februar, wie kleine Büros in London mit der Finanzkrise umgehen. Die generelle Haltung ist: »Wir haben nicht viel Arbeit, aber vor der Krise hatten wir auch nicht mehr.« Möglicherweise sind die Inhaber von Büros bis zu elf Mitarbeitern deshalb geübter und wagemutiger im Erproben von Ausweichstrategien. Diese reichen von der trotzigen Gründung eines noch kleineren Büros über die Verteilung auf mehrere Kontinente bis hin zur auch hierzulande eher klassischen Lösung, der Lehre an Architekturhochschulen. Was die jungen Dozenten daran schätzen, ist der experimentelle Freiraum, der im Büroalltag niemals so konsequent zur Verfügung steht. In diesem Klima entwickelt sich eine Architektengeneration, die sich von Anfang an strategisch aufstellt und mit neuen Ideen auf den Markt zugeht – aber es bleibt auch zu hoffen, dass Bauherren und Investoren zu schätzen wissen, dass sie für ihr Geld hohe Qualität von Architekten bekommen, die sich ausführlich mit Themen wie Kontext, Rhythmus, Geschichte und Detaillierung beschäftigt haben und deshalb ein umfassenderes Verständnis für das Potenzial von Architektur mitbringen. ~dr

Kleine Büros in der Rezession
Liebe db,

der Frühling ist endlich in London angekommen. Der Frost ist vorbei und die zarten Knospen, die den Winter überlebt haben, wagen sich vorsichtig hervor, um auf einige weitere sonnige Tage zu warten, bevor sie zu blühen beginnen.
Gleichzeitig verfestigt sich die Rezession im Vereinigten Königreich, und knospende Architekturbüros planen ihr Überleben in der finanziellen Eiszeit. Neueste Statistiken besagen, dass der Anteil arbeitsloser Architekten schneller steigt als der Angehöriger irgendeiner anderen Branche. Die Europäische Kommission sagte voraus, dass Großbritannien 2009 eins der Mitgliedsländer sein wird, das die Rezession am härtesten trifft. Nur Lettland und Estland werden voraussichtlich noch schlechter abschneiden. Die strahlenden, hohen Kräne, die vor zwei Jahren über die ganze Skyline Londons verstreut waren und fleißig Wohngebäude für spekulative Investoren bauten, drehten sich nach und nach immer langsamer und verschwanden dann einer nach dem anderen. Jeder muss jetzt Rückschläge einstecken, und wer behauptet, dass er das nicht tut, sagt nicht die Wahrheit.
Aber inmitten aller Sturmwolken habe ich doch ein paar Sonnenstrahlen entdecken können, vor allem unter jüngeren Architekten. 7N, ein kleines, junges Büro in Edinburgh, wagte im Januar etwas recht Bemerkenswertes. Sie eröffneten ihr erstes Büro. Es war nicht so sehr die Zauberei, nach der es sich anhört, sondern vielmehr ein wunderbares Stück Erfindungsreichtum und Kooperation. 7N war zuvor die Edinburgher Zweigstelle von Ken Shuttleworths Büro Make gewesen, die im Dezember geschlossen wurde, weil die Zentrale in London das Gefühl hatte, das schottische Büro im gegenwärtigen Klima nicht halten zu können. Die sieben Architekten, die dort arbeiteten, schätzten ihre Überlebenschancen anders ein, und das ganze Team beschloss, die Abfindungen zusammenzuwerfen, um ein neues Büro zu eröffnen. Im Einvernehmen mit Make arbeiten sie an ihren laufenden Projekten, zwei mittelfristig fertig werdende öffentliche Gebäude, weiter. Der Bau von einem der beiden beginnt diese Woche, und 7N sind vorsichtig optimistisch.
Aufträge sind im Vereinigten Königreich schwer zu ergattern, aber wenn das bedeutet, dass nur die Besten überleben, könnte das nicht die schlimmste Perspektive für die Architektur sein. Stärkerer Wettbewerb im öffentlichen und privaten Sektor dürfte ein höheres Niveau bei Innovationen, Kreativität und Entwürfen erfordern. Wie es ein Architekt mir gegenüber formulierte: »Booms erzeugen Investorenmist und Krisen erzeugen Architektur.«
Berichte von letzter Woche zeigen, dass sich noch nie mehr Studenten für Grund- und Aufbaustudiengänge in Architektur beworben haben. Die Zukunft beginnt immer mit Bildung. Anders als in Amerika, wo Stararchitekten ihre eigenen Hochschulen und Universitäten betreiben, ist das System der architektonischen Ausbildung in Großbritannien – mit der offensichtlichen Ausnahme der Architectural Association – nicht besonders einflussreich. Während einer Rezession allerdings wird es zum Treibhaus. Es geht dabei nicht nur um die Vergütung – die natürlich nicht zu verachten ist –, sondern vor allem darum, dass an studentischen Arbeitsplätzen im ganzen Land junge Büros ihre Ideen in Kleber und Pappe ausprobieren können, mit Unmengen von Leuten besetzte Forschungsbasen etablieren, herumexperimentieren und den Kern ihrer Identität formulieren und publik machen können.
Deborah Saunt, Mitbegründerin von DSDHA, hat sich während ihrer Karriere schon immer leidenschaftlich der Ausbildung junger Architekten gewidmet. Ihr Büro wäre nicht dasselbe ohne die Impulse der Studenten und Workshops, die sie leitet. Für sie geht es bei Ausbildung und Lehre um das Ausprobieren von Ideen, um das Vordringen als Architektin in akademische Bereiche, für die im Büro schlicht keine Zeit ist. Suzanne Ewing vom Edinburgher Büro Zone Architects sieht das genauso. »Es ist für mich selbst anregend, es geht um Wissenstransfer und darum, besser für den Beruf gerüstet zu sein. Dabei ist es mir nicht nur ums Lehren und ganz gewiss nicht ums Geld zu tun, sondern vor allem darum, Kurse zu konzipieren und in der Haltung der Studenten der Architektur gegenüber eine Veränderung herbeizuführen.«
Zum Thema strategischer und akademischer Erfolg fallen einem sofort die Büros DRDH und Serie ein. DRDH entstand mitten im Boom, konnte davon aber kaum profitieren. Stattdessen leiteten die Gründer gemeinsam einen Workshop an der London Metropolitan University, in dem sie Kontext und Rhythmus, Geschichte und Detaillierung erforschten und ihren Studenten vermittelten. All diese Aspekte waren den vielen privaten Developern, die zu der Zeit ihren Daumen auf allen Projekten hatten, völlig fremd. Letztes Jahr wurde Daniel Rosbottom, einer der Partner, Leiter der Architekturfakultät an der Universität von Kingston (im Londoner Süden), eine einflussreiche Stellung für einen jungen Architekten mitten im Beruf. Das Büro wurde außerdem eingeladen, eine Villa für Ai Weiweis berühmtes Ordos 100 in der Inneren Mongolei zu entwerfen, die mittlerweile im Bau ist. Und diesen Monat haben sie den Wettbewerb für ein neues Opernhaus in Norwegen gewonnen.
Serie ist ein kleines junges Büro, das beim Young Architect of the Year Award als Geheimtipp gehandelt wurde. Sie sprühen vor Interesse an beiden Aspekten ihrer Arbeit, dem Entwurf und der Theorie, und haben ein sehr interessantes Arbeitsmodell für ihr Büro. Einer der Partner, Chris Lee, leitet den Aufbaustudiengang Diploma Unit 6 an der Architectural Association und sitzt hier in London, während der andere Partner, Kapil Gupta, das Büro in Mumbai hat, wo Serie auch einen Großteil seiner Aufträge akquiriert. »Die AA hat großen Anteil am Wachstum von Serie«, sagt Chris Lee. »Sie ist in vielerlei Hinsicht meine geistige Heimat, und die Unterstützung, die ich von dort bekomme, ist wesentlich für ein junges Büro, das eher experimentell und theoretisch arbeiten möchte.« Wie DRDH generieren sie ihre Aufträge aus einer Mischung von strategisch platzierten Wettbewerben und direkter Beauftragung durch die Kunden. Ihr Einfluss durch Lehrtätigkeit und Publikationen macht sich international gerade erst bemerkbar. Das Büro in Mumbai nimmt einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch, und kürzlich hat in Peking einer ihrer ehemaligen Studenten als Assoziierter Serie Beijing eröffnet. Weder DRDH noch Serie haben – trotz zunehmender Profilierung – größere Projekte in Großbritannien.
Britische Büros haben nun offensichtlich die Möglichkeit, ihren Erfolg zunehmend im Ausland finden. Darüber hinaus besteht aber auch die Chance, dass sich Planer und Auftraggeber künftig wieder mehr Gedanken über langfristigen Erfolg machen müssen, über Qualität, Infrastruktur und tiefgreifende Erneuerung statt bloßer Neuerfindung unter Ausgabe von Millionen für einen – möglicherweise – »ikonischen« Bau. Auch wenn man sich auf den Standpunkt stellen kann, dass damit konservative Einstellungen gefördert werden, ist im Gegenteil auch die Entstehung einer ganzen Generation strategisch und innovativ denkender Planer und Theoretiker vorstellbar. Und letztendlich ist doch das Beste, wofür man in einer Rezession Geld investieren kann, die Zukunft.
Beatrice Galilee ist Architekturredakteurin der Zeitschrift »Icon«, Autorin der Tageszeitung »Independent«, internationaler Architektur- und Designzeitschriften und mehrerer Bücher. Sie studierte Architektur in Bath und hat einen Master in Architekturgeschichte von Bartlett UCL. 2008 erhielt sie den Preis »Architectural Journalist of the Year«.
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