Allgemein
Baumeister der Revolution (Berlin)
~Ralf Wollheim
Alle paar Jahre wird sie wieder entdeckt: Die Russische Architektur der Avantgarde. Immer wieder präsentieren Ausstellungen die Bauten von Konstantin Melnikow, der Gebrüder Wesnin, Moisei Ginsburg und anderen aus den 20er Jahren. Zu Recht, denn die Namen der Architekten dürften immer noch nur wenigen geläufig sein. Moskau ist weit, Charkow oder Baku noch weiter entferntes, unbekanntes Terrain. Dabei gibt es jede Menge außergewöhnliche Projekte zu entdecken.
Die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius- Bau entstand in Kooperation mit mehreren Institutionen. Die Sammlung Kostakis aus Thessaloniki steuerte Gemälde, Zeichnungen und Grafiken konstruktivistischer Künstler bei und vermittelt so zwischen Kunst und Architektur im Zeichen der Revolution. Dabei sind die Grenzen fließend, wenn etwa Kasimir Malewitsch wolkenkratzerähnliche Gebilde entwirft, die Architekturmodell und Skulptur zugleich sein sollen. Der utopische Ansatz, der Aufbruch zu einer neuen Kunst und Architektur für eine neue Gesellschaft ist überall zu spüren, ganz besonders bei Tatlins berühmtem Entwurf eines Turms für die Kommunistische Internationale. Die schräge Konstruktion sollte auf mehreren Ebenen Sitzungssäle und Sendestationen enthalten. Das Monument war auf 400 m Höhe angelegt, was erklärt, wieso es Entwurf blieb. Stattdessen wurde ein anderer Turm realisiert, ein wenig bekanntes Meisterwerk der Ingenieurskunst von Wladimir Schuchow, der noch heute mit seiner filigranen Konstruktion fasziniert (s. Abb.). Dieser Funkturm wurde schnell zum Wahrzeichen für ein modernes Moskau, auch wenn vergleichbare Gitterkonstruktionen schon im Zarenreich für Wassertürme verwendet wurden. Auf großformatigen Fotos bilden die Streben des Turms ein dynamisches, beinahe abstraktes Muster. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass es kein Abzug in Schwarz-Weiß ist, da die Metallkonstruktion etliche Roststellen aufweist. Die Fotos sind neu und stammen von Richard Pare. Der Fotograf bereist seit 1993 die ehemalige Sowjetunion und dokumentiert die Bauten der 20er Jahre. Die gute Nachricht dabei ist, dass viele Häuser noch erhalten sind, allerdings selten in einem guten Zustand. Die Fotos von Pare machen einen Großteil der Ausstellung aus und zeigen hauptsächlich Industrie- und Verwaltungsbauten sowie Wohnhäuser in ihrer heutigen Nutzung. Diesen atmosphärischen neuen Aufnahmen sind jeweils Karteikarten aus dem Schusev-Museum mit Originalfotos aus der Zeit gegenübergestellt. So verraten historische Baustellenfotos, dass der elegante, runde Wohnturm von Melnikow mit seinen charakteristischen sechseckigen Fenstern recht grob aus Backsteinen errichtet wurde. Leider werden keine Grundrisse gezeigt, die manche merkwürdige Gliederung oder Funktionen verdeutlichen könnten, wie bei den Wohnanlagen mit ihren zahlreichen Gemeinschaftsräumen, die das soziale Experiment in Architektur umsetzten. So bleibt die Politik im Hintergrund und die Ausstellung konzentriert sich v. a. auf die konstruktivistische Ästhetik dieser wenig bekannten Bauten der Moderne.
Bis 9. Juli. Baumeister der Revolution. Sowjetische Kunst und Architektur 1915-35. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, Mi-Mo 10-19 Uhr, Di geschlossen, Katalog in der Ausstellung 25 Euro, www.berlinerfestspiele.de
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