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Auslaufmodell White Cube

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Auslaufmodell White Cube

Museen sind Orte der historischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Bildung sowie der öffentlichen Debatte darüber, was die vermittelten Inhalte bedeuten, was sie bedeuten sollen. So lautet die idealistische, der Aufklärung verpflichtete Theorie. Seit dem 18. Jahrhundert wird sie von Kulturpolitikern, Museumsmanagern und auch den Museumsarchitekten beschworen. Der Erfolg dieser Idee ist unübersehbar: 2003 gab es allein in Deutschland über 100 Mio Museumsnutzungen. Allenfalls öffentliche Leihbibliotheken können damit konkurrieren.

Doch schon seit langem befindet sich die Institution Museum in einer tiefen inneren Krise, die auch durch immer neue Bauten und lange Wartereihen vor Sonderausstellungen kaum kaschiert werden kann. Diese zeigen zwar, dass die Finanziers und die Nutzer der Museen weiterhin an deren Schätzen und Kompetenzen interessiert sind, doch wie jeder Streit um die Kulturetats beweist, akzeptiert die Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich die Leit-Rolle der bürgerlich geprägten »Hochkultur«.

Die westlichen Gesellschaften haben sich seit dem Zweiten Weltkrieg fundamental verändert. So führten zum Beispiel die Schul- und Universitätsreformen der sechziger und siebziger Jahre dazu, dass die einst für eine bürgerliche Elite gedachten Bildungsgüter und -ideale heute als Allgemeingut betrachtet werden. Viel mehr Menschen als früher nehmen das kulturelle Angebot nicht nur wahr sondern gehen auch kritisch damit um. Hinzu kommt der Erfolg diverser Emanzipationsbewegungen von bisher auch kulturpolitisch an den Rand gedrängten Gruppen. Um den Gleichklang mit der Gesellschaft und ihren neuen Idealen wiederherzustellen, müssen Museen eine neue soziale Legitimation ihrer Tätigkeit finden. Die Selbststilisierung zur Institution für die Elite – ein gerade bei Kunstmuseen sehr häufig anzutreffendes Phänomen – wird den Veränderungsdruck nur kurz abschwächen, denn Parlamentarier erlauben soziale Schutzräume nur sehr bedingt und vor allem dann, wenn sie kein Geld kosten. Museen aber sind per se teuer.
Eine erste Reaktion auf die veränderten Bedingungen war vor etwa drei, vier Jahrzehnten die Neuorientierung der kunst- und kulturhistorischen Museen weg von der systematisch-historischen Bildung hin zur Verehrung der Kunst als l’art pour l’art, die als neuer universaler Wert der Museen etabliert wurde. Erkennbar wird dies am immensen Erfolg der Inszenierungsmodelle »White Cube« und »Black Box«, bei denen die Objekte durch konsequenten Abschluss von der Außenwelt, von ihrer Geschichte und einstigen Funktion abgelöst werden sollen.
Im White Cube geschieht dies räumlich durch die Beschränkung auf abstrakt-weiße Wände und Oberlichter. In der Black Box wird sogar die Irritation durch natürliches Licht ausgeschlossen, die Objekte unterliegen in jeder Weise der ästhetischen Manipulierung durch den Inszenator.
Die Folge dieser Konzentration auf die »Kunst« und auf herausragende »Meisterwerke« ist jedoch die beständige Reduktion der Komplexität. Charakteristisch dafür ist, dass die Zahl der gezeigten Objekte mit jeder Neuaufstellung sinkt und mit ihr auch die Möglichkeit, differenziertere Botschaften zu vermitteln. Die Begründung der Kustoden für diese radikale Auswahl ist immer die gleiche: Man wolle sich auf das »wirklich Wertvolle« konzentrieren, und das Publikum könne mehr Objekte gar nicht erfassen. Niemals aber wird begründet, nach welchen Kriterien der Wert des Wertvollen bemessen wird. Auch fehlen meist Kataloge der Objekte in den Depots. Dem Eigenurteil des Publikums wird misstraut, intellektuelle Wahlmöglichkeiten, die sich früher aus der schieren Fülle ergaben, entfallen. Die fest etablierte Definitionshoheit der Fachleute über die Objekte lässt keinen Raum für Selbstkritik oder wenigstens eine historische Einordnung ihrer Tätigkeiten: Welches Museum weist schon auf die vielen Fehl- und Fälschungsankäufe hin oder darauf, dass heute hoch gelobte Werkgruppen wie die niederländischen Caravaggisten der Berliner Gemäldegalerie einst als minderwertig im Depot verschwunden waren?
Auch die Behauptung, »die Besucher« könnten nicht mehr Objekte erfahren, verweist weniger auf sensible Rücksichtnahme. Vielmehr zeigt sie, dass sich viele Museen zunehmend auf Touristen als Hauptnutzer einstellen. Diese sind wegen ihres limitierten Zeitplans einfacher zu befriedigen als Ortsansässige, die sich in langen Jahren des Trainings eine eigene Meinung bilden. Vor allem aber: Touristen bringen Geld in die Kassen. Sie kaufen Postkarten und Souvenirs, zahlen die unverschämten Preise in den Museumscafés, geben sich mit den ausgedünntesten Ausstellungen zufrieden. Hier treffen sich die Interessen der Museumsmacher mit denen der Finanz-, Kultur- und Planungspolitiker, die zunehmend verlangen, dass sich Museen wie Konzerthäuser, Theater oder Opern selbst finanzieren.
Worin aber findet sich die neue Legitimation der einst bildungsbürgerlichen Institutionen? Viele, und nicht zuletzt viele Kulturpolitiker, meinen, diese läge im ökonomischen Ertrag der Kultur, also in den berühmten »Umwegrenditen« über Hotelausnutzungen, intensiveres Shopping …
Je stärker die Kommunen miteinander um Einwohner und damit Steuerzahler konkurrieren, desto interessanter werden »weiche« Entwicklungsfaktoren wie eben ein reges kulturelles Angebot. Nicht zufällig sind einige der architektonisch interessantesten Museumsbauten der vergangenen Jahre in Krisen-Städten wie Bilbao, Schweinfurt, Manchester, Bremerhaven, Cincinnati oder Wolfsburg entstanden. Nicht zufällig sind solche Projekte oft auf das engste verwoben worden mit Einkaufspassagen und Stadtsanierungsprojekten. Man hofft, mit Kulturbauten – vor allem, wenn sie in aufsehenerregender Architektur entstanden – die an die Vororte verlorenen Stadtbürger zurückzugewinnen, der kommerziellen Kraft der Innenstädte aufzuhelfen und neue Touristen anzuziehen.
Die ökonomische Attraktivität der Museen aber beruht auf ihrer bisher unangefochtenen Rolle bei der Vermittlung kultureller Güter und sozialen Prestiges. Doch gerade auf diesem Feld drohen viele Museen ihre derzeit entscheidende Schlacht zu verlieren, nämlich die gegen das Internet. Nicht, dass – wie es manche Kulturpessimisten befürchten – die virtuellen Welten das Interesse an den Realia überwuchern; ganz im Gegenteil ist es gerade das Unwirkliche der Reproduktion, welches das Interesse an tatsächlichen Gegenständen wachsen lässt. War das Publikum bisher den Museumsmitarbeitern ausgeliefert, öffnet das Internet hier ganz neue Informationsmöglichkeiten bis hin zum Einblick in die Etatverteilungen.
Das Internet wird so, ob es die Museen wollen oder nicht, zur Demokratisierung des Museums beitragen. Am besten kommen mit dieser neuen Anforderung bisher angelsächsische Museen zurecht. Denn im Gegensatz zu den Museen auf dem Kontinent sind jene meist von bürgerlicher Selbstinitiative getragene Institutionen. Sie sind immer auch der Bildungsaufgabe verpflichtet geblieben; ein Viertel des neuen MoMA-Gebäudes in New York ist der Didaktik gewidmet! Auch die Planung von Museumsquartieren und -bauten zeigt den Unterschied. Auf dem Kontinent entstanden Museen oft abseits vom Alltagsleben, besonders prägnant zu sehen auf der Berliner Museumsinsel oder im Wiener Museumsquartier.
Im Gegensatz hierzu sind Kulturinstitutionen in der angelsächsisch geprägten Welt meist alltäglicher Teil des Stadtorganismus, dicht umgeben von Wohn- und Geschäftshäusern. Darin zeigt sich, dass die angelsächsischen Länder bereits im 18. Jahrhundert demokratisch verfasst, also einem wie auch immer definierten Volkswillen verpflichtet gewesen waren. Diesem Selbstverständnis sind freilich auch die Kulturinstitutionen eingeschrieben, wie sich etwa 1857 zeigte. Damals entschied eine Royal Commission trotz konservatorischer Bedenken, die Londoner National Gallery am Trafalgar Square zu belassen. Nur dort könnten die Kunstwerke – bei bis heute selbstverständlich freiem Eintritt! – von allen Klassen der Gesellschaft leicht und einfach besucht werden. Ein Argument, das in keiner bekannten kontinentaleuropäischen Museumsdebatte eine Rolle spielte. Ausdrücklich erwähnt wurden als mögliche Klientel sogar Arme oder Müttern mit Kindern, Gruppen, die auf dem Kontinent bis heute eher gefürchtet als begrüßt werden.
In den USA ist diese demokratische Selbstverankerung der Kulturinstitutionen sogar noch ausgeprägter als in England, weil sie nicht nur von der Billigung der Etats durch die Abgeordneten in den Parlamenten, sondern auch ganz direkt von Spenden aus der Bürgergesellschaft abhängig sind. Die Folge ist eine Orientierung an deren Interessen, die den Kontinentaleuropäer oft überrascht. Man vergleiche die theatralische, aber höchst instruktive Ägypten-Inszenierung des Brooklyn Museum of Art mit der ästhetisch weit nobleren, aber ganz auf die reine Formerfahrung ausgerichteten neuen Ägypten-Inszenierung im Berliner Alten Museum.
Diesen Weg werden auch die kontinentaleuropäischen Museen gehen müssen, um als Institution weiterhin existieren und Anspruch auf staatliche Subventionen erheben zu können. Doch weil die Interessen der Bürger weit differenzierter sind als jemals zuvor in der Geschichte, müssen auch die Museen ein breites Spektrum von Antwortmöglichkeiten eröffnen und den White Cube aufbrechen, in dem sie sich gefangen haben. Warum sollen nicht wie in der Londoner National Gallery neben den repräsentativen Dauerausstellungen auch die Depots veröffentlicht werden? Das Bremer Übersee-Museum hat einen ersten Schritt in diese Richtung getan, die Planungen für das Berliner Humboldt-Forum sehen ebenfalls »gläserne Magazine« vor. Touristen müssen selbstverständlich angemessen bedient werden (wir alle sind Touristen); doch vorrangig müssen die Museen wieder ihre lokale und regionale Kundschaft erreichen, deren Enthusiasmus die Attraktivität sogar steigern kann. Vor allem aber: Die Museen müssen sich wieder als Bildungsinstitutionen begreifen, die mehr vermitteln als nur ästhetische Erlebnisse. Sie müssen wieder zum Teil der Stadt werden. Nicht die Splendid Isolation der Kunst – so sehr sie auch von vielen Museumsdirektoren geliebt wird – ist der Weg, sondern die Öffnung zum Alltag. So, wie es einst das Centre Pompidou vorgemacht hat. Nikolaus Bernau
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