Allgemein
Atmosphären der Stadt
Aufgespürte Räume. Von Jürgen Hasse. 192 S., 39 farbige und 56 s/w Abb., Deutsch, 28 Euro, Jovis-Verlag, Berlin 2011
~Bärbel Högner
Die Formulierung »etwas liegt in der Luft« ist eine Möglichkeit, eine aufgeladene Atmosphäre zu beschreiben. In urbanen Räumen können unterschiedliche Stimmungen herrschen, doch fällt es mitunter schwer, diese präzise mit Worten zu benennen. Jürgen Hasse orientiert sich daher an der Neuen Phänomenologie des Philosophen Hermann Schmitz, die in seinem Band als theoretischer Rahmen zur sprachlichen Erfassung des unbestimmt anwesenden »Umschlagsraums« innerhalb von Städten dient. Auf eine Einleitung zum Topos der sinnlich erlebten Atmosphäre folgen mehrere Kapitel, die sich beispielhaft der gefühlten Präsenz signifikanter Orte wie dem Quartier, dem Platz, der spitzen Ecke und der Verkehrsarchitektur widmen. Reflexionen zum Einfluss von Licht- und Wetterstimmungen sowie zum Naturverständnis vervollständigen die umfangreiche Textsammlung, die sowohl auf eine allgemeine »Alphabetisierung« städtischer Atmosphären abzielt als auch anhand konkreter Fallbeispiele die Inszenierung derselben beleuchtet.
Da ihm das fotografische Bild zur Darstellung von Milieus und Stimmungen besonders geeignet erscheint, hat Hasse den theoretischen Analysen mehrere Fotoessays beigestellt, die mit ihren ästhetischen Aussagen die wissenschaftlichen Texte komplementär ergänzen sollen. Ein fotohistorisch fundiert recherchierter Aufsatz zum Wesen des stehenden Bildes und der Problematik hinsichtlich der Übersetzungsleistung von Fotografen schlägt eine inhaltliche Brücke. Bedauerlicherweise werden nur die beiden von professionellen Fotografinnen beigesteuerten bildnerischen Arbeiten dem Ideal gerecht, das rein Sichtbare des Abbildes auch atmosphärisch zu transzendieren. Das ambitionierte Experiment zur Veranschaulichung des Erkenntnispotenzials visueller Beiträge hätte mit weiteren Fotostrecken aus dem Bereich der Kunst deutlicher artikuliert werden können. Hingegen unterstützen Hasses eigene Bildserien illustrativ seine sprachlich komplexen Überlegungen, die zu einem »tieferen Verstehen von Stadt« beitragen möchten.
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