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Dokumentationshaus Hinzert, Wandel Hoefer Lorch + Hirsch

Anerkennung, Balthasar-Neumann-Preis
Dokumentationshaus Hinzert

Durch seine überzeugende, skulpturale Form schafft der Baukörper in einer Art »spektakulärer Selbstverständlichkeit« eine besondere Kraft und Ausstrahlung im Landschaftsraum und erzeugt so einen mehrschichtigen Ort. Auf eine entspannte Art und Weise wird mit einem sensiblen Thema umgegangen.

    • Architekten • Architects: Wandel Hoefer Lorch + Hirsch
      Ingenieure • Engineering: Schweitzer Ingenieure

  • Text: Achim Geissinger
    Fotos • Photos: Norbert Miguletz
Wer auf dem Weg von der Autobahn nach Hinzert über die engen Landstraßen des Hunsrücks prescht, übersieht leicht die kleinen, niedrigen Hinweisschilder und rauscht an dem Wäldchen, das die KZ-Gedenkstätte an zwei Seiten umschließt, vorbei. Spätestens bei der Wende an der nächsten Kreuzung wird aber klar, dass man der rätselhaften Wahrnehmung, die man im Vorbeifahren hatte, unbedingt auf den Grund gehen muss, selbst wenn nicht der Besuch des SS-Lagergeländes ansteht.
Zwischen Wald und freiem Feld liegt ein rostroter Findling – für einen Felsbrocken doch eigentlich zu groß und zu geometrisch, für ein Haus zu unregelmäßig, kein Dach, keine Fenster. Der Weg zur Lösung des Rätsels führt am umfriedeten Gelände der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert entlang, wo 1946 auf Veranlassung der französischen Verwaltung ein Ehrenfriedhof entstand, auf dem jene Lageropfer beigesetzt wurden, die nicht identifiziert oder in ihre Herkunftsländer überführt werden konnten. In späteren Jahren kamen eine Kapelle und ein Denkmal aus der Hand eines ehemaligen Lagerhäftlings hinzu. Dies alles dient dem stillen Gedenken und atmet den auf Versöhnung bedachten Geist der fünfziger Jahre, gibt aber keinerlei Auskunft über das Ausmaß der Schrecken, die diesem Ort für alle Zeit aufgebürdet sind. Sämtliche Lagerbauten wurden nach dem Krieg abgeräumt, das Areal, auf dem die Häftlingsbaracken gestanden hatten, landwirtschaftlicher Nutzung zugeführt, nur die Umfriedung der Gedenkstätte zeichnet ungefähr die Ränder des separaten Bereichs für die Wachmannschaften nach. Auf einer Anhöhe gegenüber ziehen die Rotoren einer Gruppe von Windkraftanlagen friedlich ihre Kreise. Alles scheint in bester Ordnung.
Jedoch – nichts ist in Ordnung!
Jenseits der niedrigen Hecken lagert ein kantiger Lindwurm mit dreieckigen Schuppen, reckt sein Haupt und richtet sein einziges, mehrfach diagonal durchkreuztes Auge mitten auf den Elendsort. Die im Wettbewerb siegreichen Saarbrücker Architekten wuchteten ein Gebilde auf den Acker, das zerknautscht, zerdrückt, wie eine zertretene Blechdose wirkt, als hätte es stellvertretend die Schläge und Erniedrigungen für die über dreizehntausend Lagerinsassen erleiden müssen. Seine Haut aus vorpatiniertem Cortenstahl verstärkt diesen Eindruck und lässt den Bau seltsam alterslos erscheinen.
Die zwölf Millimeter dicken, teils im Werk, teils vor Ort zu einem unregelmäßigen Faltwerk zusammengeschweißten und durch Spanten verstärkten Stahlplatten bilden das Tragwerk des gesamten Gebäudes. Es ist aus Dreiecken aufgebaut und bildet eine Netzstruktur, der selbst die Form der Eingangstür unterworfen wurde. Architekten und Tragwerksplaner rückten dem nicht nur geometrisch, sondern auch statisch komplexen Gebilde schon in der Vorentwurfsphase mit leistungsfähigen Programmen aus den Bereichen »Finite Elemente« und »räumliche Stabwerke« zu Leibe, um im weiteren Planungsprozess jenseits bekannter Routinen das optimale Tragwerk entwicklen zu können.
Das Innere überrascht zunächst aufs Angenehmste: Dem Eintretenden eröffnet sich, nachdem er eine schleusenartige Vorzone durchschritten hat, ein weiter, heller Raum, dessen vertäfelte Wände und Decken auch noch nach drei Jahren einen leichten Holzduft verströmen. Doch auch hier ist letztlich nichts »in Ordnung«: Alle Wände sind schief, die Deckenflächen zur Saalmitte hin nach unten eingeknickt; selbst die Bodenfläche als einzige Horizontale hat einige der windschiefen Linien des alles überlagernden Dreiecksrasters abbekommen. Gegebenheiten, die manchem Besucher zu schaffen machen. Es gibt keinen Halt. Die Bilder und Texte der Dauerausstellung sind direkt auf die Birkenholzpaneele gedruckt; an einen orthogonalen Schriftsatz war wegen der vielerlei perspektivischen Verzerrungen und Rasterfugen nicht zu denken. Das erschwert den Zugang erheblich, hält aber die Sinne wach und die Aufmerksamkeit stets auf Raum und Inhalt gerichtet.
Dass die anspruchsvolle Geometrie schwierig umzusetzen war und die Bautoleranzen Probleme bereiteten, zeigt sich (bei genauer Betrachtung) an einzelnen Details. Dass sich der Gestaltungswille der Architekten davon nicht bremsen ließ, kommt der Überzeugungskraft des gesamten Gebildes, einschließlich der Räume für Seminar, Büro, Archiv und Nebennutzungen, zugute. Kleinere Einschränkungen wie blendendes Tageslicht oder die im Sommer nicht immer ausreichende Kühlung der Zuluft über einen Erdkanal stehen zwar den Erwartungen an ein funktionierendes Ausstellungsgebäude entgegen, lassen sich aber an einem Ort, an dem es nicht primär um Wohlbehagen geht, verschmerzen. Durch eine dicke Dämmschicht und die Kombination von Erdsonde und Wärmepumpe trotzt der Bau dem rauen Klima auf den Höhen des Hunsrücks. Und: Er trotzt dem Vergessen, das allenthaben einen weichen Mantel über selbst die schlimmsten Dinge zu breiten droht. •
English version
Driving off the autobahn to Hinzert along the narrow country roads it is easy to pass without even noticing the small, low signs and the wood that encloses the concentration camp memorial on two sides. However, at the latest at the next junction the urgent urge to return to the enigmatic spot back up the road is generated, even if the intention had not been to visit the SS camp.
Between the wood and open field there is a rusty red, erratic block – yet too big and too geometric to be a boulder, and too irregular to be a house; no roof, no windows. The path to solving the enigma leads past the enclosed site of the memorial to SS Special Camp/Hinzert Concentration Camp, where in 1946, the French administrator authorised the creation of a cemetery of honour for burying the victims of the camp who could not be identified or be repatriated. A chapel was added and later a monument made by one of the former prisoners of the camp. All the above serves quiet reflection and captures the spirit of reconciliation of the fifties. But it does not give any idea of the scale and meaning of the horror locked in this location. All camp buildings were demolished after the war, the site where the huts for the prisoners stood was given over to farming. Only the fence around the memorial gives a rough idea of the size of the guards’ quarters. On a hill opposite, the arms of a group of wind generators rotate gently in the breeze. Everything seems to be just fine, OK, in order.
Yet, nothing is just fine, OK and in order!
Behind the hedges there lies an angular lindworm with triangular scales that raises its head and trains its single goggle eye, with diagonal lines crossing each other on its pupil, on the centre of this place of human suffering. The team of architects from Saarbrücken that won the competition for the memorial project dumped a rumpled, beaten, crushed, tin-like object on the field as if it had suffered in lieu of all the beatings and humiliations heaped on the more than thirteen thousand camp inmates. Its skin of patinaed Corten steel underlines this impression and gives the building a peculiar ageless quality.
The 12mm thick steel triangular plates – some welded together ex-works, some on site – form an irregular, folded-plate load-bearing web-like structure. Even the entrance follows this triangular pattern. Already in the pre-design stage architects and structural engineers got down to work on the geometrically as well as structurally complex creation using powerful finite element and space frame modelling software to be able to develop the optimal structure in the subsequent planning process..
Once inside the visitor is initially very pleasantly surprised: after passing through the vestibule, reminiscent of a lock, there is a wide, well-lit room with panelled walls and ceiling that still gives off a slight fragrance of wood, even after three years. But, here too, nothing is in order: all the walls are askew, the ceiling sections towards the centre of the hall are bent; event the floor, the only horizontal form, is infected with the out of kilter lines of the ever-present triangular grid. Features that put some visitors to the test. There is nothing to hold on to. The pictures and texts in this permanent exhibition are printed directly onto the birchwood panels; because of the numerous distortions of perspective and grid joints, orthogonal script was out of the question. While this makes comprehension harder, it does keep the senses awake and focus attention on the space and the content.
Implementing the sophisticated geometry and maintaining the structural tolerances in detail proved to be difficult. The fact that the architect did not allow the design aesthetic to be compromised is positively reflected in the architectural cogency conveyed by the whole structure, including the seminar, office, archive and ancillary rooms. While minor constraints, such as dazzling daylight or the not completely adequate cooling in the summer of the incoming ventilation air through a duct buried in the ground, can be weighed against the expectations placed on a functioning exhibition building, at a place where the primary objective is not comfort these deficiencies are tolerable. The building manages to overcome the raw climate of the exposed elevation of the Hunsrück by means of the thick insulation layer and the combination of ground probe (ground loop) and heat pump. And: it defies the willingness to forget and lifts the comforting cloak of convenience covering the worst sins committed by our fellow men. •
  • www.gedenkstaette-hinzert-rlp.de
  • Bauherr • Client: Land Rheinland-Pfalz / MR Hermann Müller; LBB Trier / Brigitte Coen; Landeszentrale für Politische Bildung / Dr. Harald Schiffmann Architekten • Architects: Wandel Hoefer Lorch + Hirsch, Saarbrücken Mitarbeiter • Project team: Wolfgang Lorch, Nikolaus Hirsch, Andrea Wandel, Christine Biesel, Alexander Keuper Tragwerksplaner • structural consultant: Schweitzer Ingenieure, Saarbrücken Landschaftsarchitekten • Landscape architects: Bielefeld Gillich Heckel, Trier Haustechnik • Service engineers: LBB Trier; IG Tech, Saarbrücken Grafik • Graphic design: Ade Hauser Lacour, Frankfurt am Main / Laurent Lacour, Matthias Görlich, Nicole Klein Grundstücksfläche • Site area: 3324 m² Nutzfläche • Floor area: 370,5 m² Bebaute Fläche • build up area: 470,7 m² Umbauter Raum • Cubage 2.151 m³ Baukosten • Building costs: 2,5 Mio. Euro Eröffnung • Opening: Dezember 2005
  • Beteiligte Firmen • Other firms involved: Stahlbau Fassadenarbeiten • Steel construction: Bohlen AG, Speicher, www.bohlen-ag.de Innenausbau • Interior works: Lindner AG, Arnstorf, www.bohlen-ag.de Heizung Lüftung Sanitär • Heating, ventilation and sanitation: Karl-Heinz Keil GmbH, Kell am See
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