1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Analytische Beobachtung

Denkmalpflege
Analytische Beobachtung

Analytische Beobachtung
1 Bauaufnahme einer Automatenuhr mit Colorierung der Umbauphasen. Gotik, Barock und Neugotik – fünf Jahrhunderte Bau- und Kunstgeschichte sind in dieser 5,80 m hohen Uhr der Münchner Frauenkirche vereint 2 Dachreiter der Klosterkirche Maulbronn – ein fast 30 m hoher Aufsatz auf dem Kirchenschiffdach. Das Messen in Verbindung mit Dokumentation und Analyse aller Details, Reparaturen und Schäden erbrachte einen umfassenden Einblick in das komplizierte Dachwerk und bildete die Grundlage für weitere Arbeiten an der Holzkonstruktion
Bauforschung ist, wie irrtümlich oft angenommen, keine losgelöste Wissenschaft. Gleichbedeutend mit einer langjährig angelegten Archivierung von Dokumenten sieht sie ihre Aufgabe vor allem auch in der Vorleistung und Hilfestellung für den Planungsprozess. Wie diese beiden Bereiche miteinander zu vereinbaren sind, erläutert die Autorin aus ihrer langjährigen praktischen Erfahrung. Though often as such misunderstood, building research is not a detached science. Comparable with documents archived over many years it sees its task above all in preliminary orientation and aid in the planning process. How these two areas are combined with one another is explained by the author from her longstanding practical experience.

Von jedem Bauwerk im Bestand benötigen Bauherr und Architekt bei Planungsbeginn ein Aufmaß und eine bautechnische Beurteilung der Substanz. Die Kubaturen lässt der Architekt von einem Vermessungsbüro erfassen oder er erarbeitet sich mithilfe handlicher, digitaler Messgeräte selbst einen Plan. Die Substanzbeurteilung übernehmen Spezialingenieure, Tragwerksplaner und Vertreter von Ausführungsfirmen. Im Baudenkmal kommen geschichtliche Dimensionen wie Bau-, Kunst-, Kultur-, Heimat- und Sozialgeschichte hinzu, zu deren Dokumentation die Denkmalgesetze der Länder verpflichten. Diese Bedingungen erfordern gegenüber dem »normalen Bestand« Zusatzqualifikationen und damit verbunden eine andere Methodik, nämlich die Bauforschung. Dieses Wissen kann sich jeder Architekt aneignen und damit sein Berufsfeld erweitern oder sich sogar spezialisieren.

Das Gebäude selbst ist dabei die Hauptquelle der Forschung und um diese erschließen zu können, bedarf es geeigneter Methoden zu dessen Erfassung und Analyse. Während die klassische Archäologie und die Bau- und Kunstgeschichte direkt am Objekt nur mit Skizzen arbeitet und Theorie und Archivalien dabei Priorität besitzen, wird in der Bauforschung der bauliche Bestand durch Direktauftragung am Objekt, ohne Zwischenskizze, praktiziert. Konstruktion und baugeschichtlicher Befund werden in die Baukonturen integriert. Aufmessen, Aufzeichnen und analytische Beobachtung werden so zu einem Arbeitsgang zusammengefasst. Das führt zu hoher Präzision, geringer Fehlerquote und gleichzeitiger Zeiteinsparung. Diese Art der Bestandserfassung wird auch als Bauaufnahme bezeichnet, oft mit dem Zusatz »verformungsgerecht« oder »verformungsgetreu«. Darunter versteht der Bauforscher oder Denkmalpfleger das Darstellen von schiefen Winkeln, Tragwerksverformungen, Schäden, Abnutzungsspuren und anderen Fehlstellen – das Schaffen eines getreuen Abbildes unter Vermeidung jedweder Interpretation oder Ergänzung. Die weiteren Schritte der Bauforschung, auf die im Folgenden noch einzugehen ist, schließen sich der präzisen Bestandsaufnahme an. Dieser Weg historischer Bauforschung wurde von Gerd Thomas Mader im Institut für Baugeschichte der Technischen Universität München 1974 entwickelt und erprobt und anschließend im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in großem Umfang eingeführt. Eine ähnliche Entwicklung ging zur gleichen Zeit vom Freien Bauforschungsbüro Marburg aus. Heute ist diese Methodik Standard in der gesamten bundesdeutschen Denkmalpraxis, der Schweiz und anderen Ländern.
Die vielen theoretischen Ausführungen sollen den Architekten nicht veranlassen, Bauforschung als losgelöste Wissenschaft zu betrachten. Die Bauforschung hat nicht nur die Aufgabe, langfristig archivierbare Dokumente des Denkmals vor Beginn einer Baumaßnahme zu erbringen, sondern sie versteht sich auch gleichbedeutend in der Vorleistung und Hilfestellung für den Planungsprozess.
Die Bauaufnahme ist der erste Schritt der Bauforschung und tritt anstelle des sonst üblichen Aufmaßes. Planinhalt und Darstellungsanspruch können variieren vom einfachen Konturenplan über das Erfassen der Konstruktion und des baugeschichtlichen Befundes bis hin zur porträthaften Darstellung (z. B. Steinbearbeitung, Abbundzeichen, Ritzmuster, Steinmetzzeichen). Kriterien für die Intensität der Aufnahme sind unter anderem: offensichtliche Verformungen, Tragwerksschäden, Oberflächenschäden, Umfang geplanter Veränderungen, Gebäudealter und Anzahl der Umbauphasen, baugeschichtliche, bautechnische und restauratorisch-konservatorische Fragestellungen. Die Festlegung des Aufnahmestandards für das jeweilige Objekt bleibt der Erfahrung des Bauforschers in Absprache mit dem amtlichen Denkmalpfleger vorbehalten.
Um verformungsgerecht aufnehmen zu können, wird ein gebäudeunabhängiges Messnetz benötigt, das durch tachymetrische Verfahren erstellt wird, das heißt, mittels Theodoliten und Nivelliergeräten in verschiedenster technischer Ausführung (z. B. mit Laserzusatz oder digitaler Datenübermittlung) und kombiniert mit CAD-Programmen. Für die denkmalgerechte Handaufnahme direkt am Objekt ist die Bleistiftzeichnung auf säurefreiem Karton der übliche Qualitätsstandard. Wird messtechnisch ein digitaler Konturenplan gewünscht, überträgt man die so gewonnenen Daten auf Karton und arbeitet mit diesem Plan am Objekt weiter. Ein Kartonaufmaßplan macht einen archaischen Eindruck, ist aber höchstes geistig-technisches Niveau: Der Extrakt von Auge, Hand und analytischem Geist ist langzeitarchivierbar und als universelles Dokument für jeden weiteren Bearbeitungsschritt geeignet. Möchte man zusätzlich zum Kartonplansatz über einen digitalen Plansatz verfügen, werden die händisch vor Ort gemessenen Daten in ein CAD-Programm eingegeben. Das Kombinieren der Aufnahmetechnologie händelt jeder Bauaufnehmer individuell, je nach benutzter Hard- und Software (wie überall gibt es auch hier Glaubensbekenntnisse). Ein ausschließlich durch digitale Messpunkte, also »berührungsfrei« ohne Objektkontakt erstelltes Aufmaß, bearbeitet und ausgeplottet am Computer, suggeriert durch die Drucktechnik zwar Perfektion, ist aber ohne jede denkmalpflegerisch verwertbare Aussage.
Neben der Befunderhebung durch den Bauforscher während des Messens, bei der die Erkenntnisse sofort auf dem Aufmaßplan vermerkt werden, kommen restauratorische Befunde hinzu, insbesondere der Materialoberflächen, einschließlich der Farbfassungen unter Einbeziehung aller Bauphasen. Eine Befundung auf dem Original, dem Zustand der Erbauungszeit, ist nicht erwünscht, da sie die Zerstörung der späteren Bauphasen zur Folge hätte.
Naturwissenschaftliche Befundungen wie Altersbestimmung der Bauhölzer, Ermittlung von Feuchte- und Salzgehalt in Mauerwerk und Putz, eventuell auch Schimmelbefall gehören ebenso dazu, wie das Sichten und Dokumentieren von Ausstattungsgegenständen. Hierzu werden Fotodokumentationen, erläuternde Texte und Laborberichte in komprimierter Form pro Raum und in räumlicher Abfolge in einem Raumbuch zusammengefasst.
Parallel zum Bauwerk bilden Archivalien (Schriftstücke, Rechnungen, Pläne) die zweite unverzichtbare Quelle der Bauforschung, worauf hier jedoch aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann. In den Aufmaßplänen werden vom Bauforscher die Bauphasen – markante Veränderungen am Objekt in bestimmten Zeiten – mittels unterschiedlicher Schraffuren oder Colorierung kenntlich gemacht. Mit Raumbuch und Bauphasenplan wird dem planenden Architekten das entscheidende Material zur genauen Kenntnis über das Baudenkmal in die Hand gegeben, das sich im Planungskonzept und in der Vorlage zur denkmalrechtlichen Erlaubnis als Teil der Baugenehmigung widerspiegeln sollte. Dann muss entschieden werden, welcher der Bauphasen die wichtigste Bedeutung zufällt und wieviel Substanz und in welchem Zustand zu erhalten ist.
Die Planungsinnovation sollte idealerweise im fantasievollen Nachdenken um den Erhalt in Verbindung mit der gewünschten Nutzung bestehen. Inwieweit das sehr genaue Kennen des Bestandes das Denken einschränkt oder beflügelt, wird individuell vom Entwerfenden und dessen Auftraggeber abhängen. Mit Rekonstruktionen ist unter denkmalpflegerischen Aspekten allerdings Zurückhaltung geboten. Eine Rekonstruktion – in der Regel mehr Attrappe als bauforscherisch unterlegt – ist Disneyland. Und je weniger Bauforschung betrieben wurde, umso fantasievoller kann hinterher die Rekonstruktion »gestaltet« werden.
Bauaufnahme und Bauforschung sollten keineswegs nur auf vorbereitende Maßnahmen beschränkt sein, denn im Bauprozess werden Bauteile freigelegt, die vorher nicht zugänglich waren. Die Beobachtung und Dokumentation während des Bauprozesses ist bisher viel zu selten gängige Praxis.
Aufgabe des Architekten
»Denkmalpfleger zu sein ist keine Profession, sondern eine allgemeine moralische Haltung« (Tilmann Breuer, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege). Von einem Architekten, der im Baudenkmal agiert, wäre zu wünschen, dass er etwas von dieser moralischen Haltung mitbringt und sich Wissen um die Belange der Denkmalpflege aneignet. Selten tritt der Idealfall ein, dass Bauherr, Architekt und Denkmalpfleger gleiche Vorstellungen von der Bauaufgabe haben. Dem Architekten kommt die Vermittlerfunktion zu. Je sachkundiger er in Denkmaleigenschaften ist, desto unkomplizierter ist die Kommunikation unter den Parteien. Die Führungsrolle des Architekten im Bauprozess sollte auch im Kontext Baudenkmal nicht infrage gestellt werden, sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch in Bezug auf die Baukultur. Dieser Anspruch wird unserer Berufsgruppe allerorten von Juristen, Betriebswirten und Naturwissenschaftlern streitig gemacht. Im Baudenkmal erweitert sich das Kompetenzteam um Bauforscher, Kunsthistoriker und Restauratoren. Es liegt an jedem Architektenkollegen selbst, auch in diesem erweiterten Team fit zu sein für die Führungsrolle im Bauprozess. Dazu gehört nicht zuletzt die Vertragsgestaltung rund um die Bauforschung. Die HOAI wurde im Laufe der Jahre im Rahmen der Novellierungen bestenfalls für Bauen im Bestand modifiziert, Denkmalpflege ist darin nicht konkret berücksichtigt.
Bauaufnahme und Bauforschung lassen sich jedoch in allen Leistungsphasen als »Besondere Leistung« unterbringen und so auch beauftragen; erwähnt sind sie unter §15(4). Die Honorierung wird nach Zeitaufwand kalkuliert, die daran orientierte Beauftragung auf Nachweis oder als Pauschale vereinbart. Eine Kalkulation nach Aufmaßfläche oder -kubatur ist eine Orientierungshilfe, kann aber nicht die objektspezifischen Besonderheiten berücksichtigen. Umfang und Spezifik der jeweiligen Bauaufnahme, Befunduntersuchung und Bauforschung liegen grundsätzlich im Ermessen des zuständigen amtlichen Denkmalpflegers.
Auch finanzielle Zuschüsse sind mit dem amtlichen Denkmalpfleger auf Grundlage der Bauforschung abzustecken. Jede Institution, in der Zuschüsse, Spenden oder ähnliches eingeworben werden, stellt die Frage nach dem denkmalpflegerischen Mehraufwand bei Planung und Ausführung des jeweiligen Gebäudes, Bauteils oder Kunstobjekts und ebenso nach der bauhistorischen wie kunstgeschichtlichen Bedeutung. Gibt der Architekt die Aufgabe der Bauaufnahme / Bauforschung an externe Auftragnehmer weiter, dann besteht ein gesonderter Vertrag und der Bauherr wird die entstehenden Kosten akzeptieren. Werden die Leistungen mit eigenem Büropersonal erbracht, ist die Abgrenzung zu den Grundleistungen nicht immer einfach. Besonders in Leistungsphase 8 – Bauleitung – ist ständiges Verhandeln angesagt, welche nachträglich begleitenden Dokumentationen als Grundleistungen anzusehen sind und welche denkmalbedingte Besondere Leistungen darstellen. Gemeint ist hier nicht der Umbauzuschlag gemäß §24, sondern Leistungen, die unter §15(4) aufgelistet sind. Wir alle wissen, wie knapp oft der Handlungsspielraum ist, will man im Zeitplan bleiben. Und für bereits erledigte (aber noch unhonorierte) Arbeit hat der Auftragnehmer eine schlechte Verhandlungsbasis, wenn der Auftraggeber mit §5(4) argumentiert. Das animiert zum Weg- statt zum Hinschauen, denn wer möchte etwas dokumentieren, wenn er auf dem Aufwand sitzenbleibt! Insofern ist das Hinzuziehen eines externen Bauforschers für die baubegleitende Dokumentation zu empfehlen. Und es bleibt der Wunsch an unsere Kammern, Baudenkmalpflege inklusive Bauaufnahme und Bauforschung in der HOAI noch expliziter und wirkungsvoller zu verankern. J.K.
Deutsches Nationalkomiteé für Denkmalschutz: Schriftenreihe Band 54 – Denkmalschutzgesetze, Bonn 1997 Deutsches Nationalkomiteé für Denkmalschutz: Schriftenreihe Heft 16 – Erfassen und Dokumentieren im Denkmalschutz, Bonn 1982 Weferling, K.Heine, U.Wulf: Von Handaufmaß bis HighTech – Aufnahmeverfahren in der historischen Bauforschung, Verlag Philipp von Zabern, 2001 Universität Karlsruhe, Sonderforschungsbereich 315: Arbeitsheft – Bauaufnahme, Bestandsuntersuchung und Dokumentation historischer Bauwerke, Karlsruhe 1987, 1988
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
2 Saint Gobain Glass
Eclaz
3 Moeding Keramikfassaden GmbH
Alphaton

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de