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Alex Haw

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Alex Haw

schreibt uns am 26. März von der langen und schwierigen Beziehung des britischen Thronfolgers zur Architektur und den Architekten seines Landes. Traditionalistisch wie er sich nun mal versteht, lässt sich Charles immer wieder zu beleidigenden Äußerungen über aktuelle Entwürfe und Strömungen hinreißen und fehlgeleitete Lobeshymnen über die Errungenschaften der Vergangenheit singen. Dennoch verzeiht man ihm: Trotz seines berühmten Fauxpas von 1984, als er bei einer Rede zum 150. Jubiläum des Royal Institute of British Architects (RIBA) die geplante Erweiterung der National Gallery als »Furunkel« bezeichnete, darf er am 12. Mai wieder sprechen, diesmal zum 175. Jubiläum. Man darf gespannt sein. Interessanterweise ist seine Haltung in Teilen gar nicht so weit entfernt von der avantgardistischer Architekten. Manches findet sich bei Blob-Architekten wieder, und für Charles wichtige Aspekte wie Vielfalt und Angemessenheit, regionaler Blickwinkel und Planung von unten sind auch bei gegenwärtiger Stadtplanung wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Charles‘ Prince’s Institute gilt als Bollwerk traditionsverhafteter Architekturvorstellungen. Ausdruck davon ist das Modelldorf Poundbury, das das Institut auf königlichem Grund und Boden errichten lässt (Wohnungen sind noch zu haben) und das unter anderem die (nicht gelungene) Reduzierung des Individualverkehrs zum Ziel hat. Daneben engagiert sich das Institut lobenswerterweise auch in kriegsgeschüttelten Regionen der Welt – auch wenn die Entwürfe vielleicht immer ein bisschen zu ästhetisch und romantisch ausfallen. ~dr

Prinz Charles‘ hitzige Liebe zur Architektur
Liebe db,

letzte Woche wurde Prinz Charles, Erbe des britischen Throns, aber schon längst König des Tweedlooks, von der Zeitschrift Esquire zum bestangezogenen Mann der Welt gewählt. Doch sein unauffälliges Äußeres verhüllt eine Persönlichkeit, die durch weitaus schwerwiegendere und ernstzunehmende Dinge hervortritt, und diese kreisen um – ich gebe zu, das mag eine Überraschung sein – Sex und Gewalt. Nun assoziiert man diese Begriffe üblicherweise eher mit dem Dekonstruktivismus experimenteller Architektur, nicht mit den Strohdächern, Lehmwänden und zölibatären traditionellen Bauweisen, denen sich der Prinz verschrieben hat. Aber die beiden Gegensätze haben vielleicht mehr gemeinsam als man denkt. Fangen wir mit Sex an:
Als junger Mann wurden Charles‘ Romanzen mit zahlreichen Frauen nachgesagt, darunter das Penthouse-Model Fiona Watson. Schließlich heiratete er jedoch Diana, in St. Paul’s Cathedral, die er »das großartigste Bauwerk der Nation« nennt. Als wäre plötzlich eine femme fatale auf der Hochzeit aufgetaucht, hatte Charles ab sofort nur noch Augen für die Architektur um ihn herum. Innerhalb eines Jahrzehnts trennte er sich von Diana, und während er sich von seinem Gelöbnis, das er in St. Paul’s gegeben hatte, löste, wandte er seine Hingabe und Aufmerksamkeit der Umgebung der Kathedrale zu und mischte sich auf dramatische Weise in die Umgestaltung des angrenzenden Paternoster Square ein. Die Architektur wurde die große Liebe seines Lebens. Sogar den platonischen Akt der Stadtplanung betrachtete er als schlüpfrig, wie er einmal andeutete: »Erwachsene Männer können ganze Städte zeugen, keinerlei Unterhalt zahlen und das dann auch noch Liebe nennen.«
Die Krönung war, als der Kronprinz am 29. Mai 1984 anlässlich des 150. Jubiläums des Royal Institute of British Architects (RIBA) die versammelte Architektenschaft schockierte, indem er den Vorschlag von Ahrends Burton Koralek (ABK) zur Erweiterung der National Gallery mit einem »ungeheuren Furunkel im Gesicht einer viel geliebten und eleganten Freundin« verglich. Das war bei genauerem Hinsehen historisch ungenau; seit ihrem Bau 1831 war die National Gallery immer wieder als »Fehlschlag auf fast allen Ebenen« verdammt worden: sie habe innen zu enge Galerieräume und außen eine überladene Fassade mit »wirrer Anordnung auf dem First«, die oft Zielscheibe des öffentlichen Spotts wurde. Auch in ästhetischer Hinsicht war der Vergleich unaufrichtig, kam er doch von einem Mann, dessen Familie im Buckingham Palace lebt – der 2001 in einer Online-Umfrage der BBC zu einem der hässlichsten Gebäude Englands gewählt wurde. Zur Bauzeit wurde er sogar als übelkeiterregend und von »sehr schlechtem Geschmack« bezeichnet. Ein Angehöriger des Adels fasste es so zusammen: »Die königliche Familie ist ein eher einfach gestrickter Haufen, der kein einziges architektonisch schönes Haus besitzt«, und wenn der Entwurf von ABK hässlich sei, dann entspreche er damit ganz der Tradition.
Charles beeinflusste die Debatte um die National Gallery zugunsten des nach weiteren Verfahren 1991 ausgeführten, bewusst schlichten und überholten postmodernen Entwurfs von Venturi und Scott Brown. Dabei war das meiste der zeitgenössischen »Moderne«, die Charles beklagte, letztlich ganz eindeutig postmodern: mehr formal als funktionalistisch, stark symbolbeladen, in der Architektursprache referentiell und durch und durch unpolitisch. Richard Rogers (mittlerweile geadelt und selbst eine Institution) führte die Gegenoffensive an. In Marxism Today schrieb er 1989, Charles‘ Versuche, die Architektur öffentlicher Bauten zu beeinflussen, seien »sehr bösartig und demokratisch fragwürdig. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit mancherorts Könige geköpft.« Und das, obwohl seine Gebäude mit ihrer überbordend ornamentalen Detailfreude und expressionistischer Fassadengestaltung genau die von Charles so ersehnten Kompositionsprinzipien und Ästhetisierungen bevorzugen, nur verkörpern sie eine neuere Variante der »lebendigen Tradition«, nämlich Architektur aus industriell hergestellten Teilen statt handgefertigter Anachronismen.
Von diesem frühen Moment an war Charles wirkungsvoll an den Rand der Architekturszene verbannt, abgetan als Amateur und miesepetriger Spinner. Charles‘ Sprache wurde bitter und giftig, Gewalt löste die Ästhetik ab. Er sprach von der »Vergewaltigung Großbritanniens«, verglich konzertierte Planungspolitik mit »durchinstrumentiertem Artilleriefeuer« und schmähte allgemein akzeptierte Strömungen in der Architektur als »Zerstörung», »Vandalismus«, »Verhunzung« und »Entweihung«. Drei Jahre nach dem Furunkel-Fettnäpfchen sprach er: »All das könnt ihr der deutschen Luftwaffe überlassen … Als sie unsere Gebäude niedermachte, kam dabei nichts Schlimmeres als Schutt heraus.« Die Rekonstruktionsbemühungen im Nachkriegsdeutschland lobte er, insbesondere den Wiederaufbau von München (das unsere Bomber noch brutaler in Schutt und Asche gelegt hatten).
Charles ist Vier-Sterne-General der Armee, der Marine und der Royal Air Force, wie auch die ganze restliche königliche Familie eng mit den Streitkräften verbunden ist. Mit seinem Entlassungsgeld der Marine gründete er 1976 den Prince’s Trust. Dieser brütete das Prince’s Institute aus, seine architektonische Hauptwaffe gegen die aktuelle Architekturszene, das sich in seinem plumpen Lagerhaus in Shoreditch verschanzt – eine imaginäre Kampfzone weit weg von den Annehmlichkeiten Kensingtons, Chelseas und Westminsters. Manchmal klingt der Prinz in seiner Begeisterung für Beschimpfungen wie Lebbeus Woods, jener Architekt, der berühmt dafür ist, Architektur als Krieg zu feiern. In der Tat haben beide viel Arbeit in kriegsgeschüttelten Gegenden geleistet und hoch ästhetisierte Appelle für die Humanität lanciert. Die Prince’s Foundation arbeitet gegenwärtig an Projekten in Rose Town und Kingston in Jamaica – in Vierteln, die von Bandenkriegen zerrissen wurden – sowie in Freetown (Sierra Leone), Kabul, Peking und Saudi-Arabien.
Trotz seines ganzen wichtigtuerischen Traditionalismus teilt der Prinz andere überraschende Ähnlichkeiten mit der architektonischen Avantgarde; trotz all seines höflichen Gemurmels und Gebrummels liebt er ganz offensichtlich Brüche und Provokationen. Sein Aufschrei: »Warum muss alles vertikal, gerade, unbiegsam sein, nur im rechten Winkel – und funktional?« klingt wie der eines romantischen Blob-Architekten. Seine Vorliebe für Vielfalt und Adaption, volkstümliche Techniken und regionale Landschaften, Planung von unten nach oben und Musterbücher, rasche Stadtgründungen und endlose Statistiken könnten sich auch in den neuesten Katalogen digitaler Architektur finden, ebenso seine Versicherung: »Meine Stiftung legt großen Wert darauf, die grundlegende DNS eines Ortes zu verstehen und zu analysieren.«. Sogar Poundbury, sein absurdes Modelldorf in Dorset, geplant nach den Leitlinien des New Urbanism der achtziger Jahre, spiegelt den Wandel in experimenteller Architektur vom Zeichnen zum Codieren wider – parametrisch und »genetisch« aus Prinzipien entwickelt und nicht nach den individuellen Vorstellungen einzelner Planer. Obwohl Charles darauf besteht: »Ich bin ein moderner Mensch, aber kein Fan der klassischen Moderne«, zitiert sein architektonischer Oberberater Leon Krier oft und gern den Einfluss von Le Corbusier – dessen »Plan Voisin« für Paris die genaue Antithese von Poundbury ist.
Letztlich überwiegen die Unterschiede. Letztes Jahr gab der viel verspottete traditionalistische Architekt Robert Adam eine Publikation namens »Tradition Today« heraus, deren Einführung von Charles stammt. Sein Beitrag beginnt mit zwei technologiefeindlichen Anekdoten, die aus der falschen Richtung kommen und seine Argumentation gegen die Notwendigkeit des Fortschritts zerstören, bevor er überhaupt richtig losgelegt hat: Unter anderem behauptet er, die alte britische Gleisbreite von 1840 tauge immer noch hervorragend für moderne Eisenbahntechnik, während sie in Wirklichkeit Geschwindigkeit und Fortkommen behindert – himmelweit entfernt von der Magnetbahntechnik, die sich anderswo entwickelt.
Charles beklagt »eine Welt, die nur mit Wandel & Innovation beschäftigt ist«, doch es ist sein königliches Erbe, das ihm das Privileg erlaubt, in der Vergangenheit zu leben. Fortschritt bedeutet neue, postfeudale soziale Strukturen und Umverteilung von Reichtum, was sich nicht mit dem Wunsch verträgt, »sich wieder mit der Vergangenheit zu verbinden, statt für immer von ihr abgeschnitten zu sein«. Die demokratischen und leistungsorientierten Potenziale des digitalen Zeitalters machten ein Ende mit den Ungleichheiten, die so lange durch die historische Verteilung von Landbesitz bedingt war; aber für derlei hat Charles natürlich keinen schneidenden Kommentar übrig. Nun sieht es gut aus: Talent siegt über Tradition, und manchmal beauftragen die neuen Magnaten ein Stück neuer Architektur, das sogar aktuelle Technik beinhaltet – exakt jene »lebendigen Systeme«, die Charles zwar einfordert, aber gleichzeitig ignoriert.
Charles jammert: »Dies ist nun mal das Zeitalter des Computers und des PC, aber warum um Himmels Willen müssen wir zwischen Gebäuden leben, die wie solche Maschinen aussehen?« Diese Frage geht am Thema vorbei. Sie missachtet nicht nur die Tatsache, dass Gebäude nicht im entferntesten wie Computer aussehen (vielleicht ist das sogar schade, angesichts der Begeisterung meiner Landsleute für Apple-Produkte), sondern ignoriert auch, dass sich Gebäude durch Elektronik und Digitalisierung zunehmend in berührungsempfindliche, reaktionsfähige/interaktive Maschinen verwandeln (inklusive ihrer eigenen »lebendigen Sprache«) und dass Digitalisierung und Elektronik unsere neuen, sich ständig weiterentwickelnden Traditionen sind. Auch sie werden eines Tages altmodisch und überflüssig sein, und nur die rettungslos Sentimentalen werden dann noch daran festhalten wollen.
Alex Haw arbeitet als Architekt und Künstler an der Schnittstelle von Design, Forschung und städtischem Umfeld. Er leitet atmos, ein experimentelles Gemeinschaftsbüro, das Häuser, Installationen und Landschaften entwirft. Er war Entwurfsbetreuer an der Architectural Association in London, an der TU Wien und in Cambridge.
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