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Ästhetik und Ethik der Reparatur

Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin
Ästhetik und Ethik der Reparatur

Von den fünf Bauten auf der Museumsinsel ist das von Friedrich August Stüler entworfene Neue Museum bis heute noch eine Kriegsruine. Mit einer Ästhetik des Fragments verfolgt das englische Architektenteam dessen Wiederaufbau. Diese Haltung zollt der Würde des zerstörten Gebäudes Respekt. Die damit gleichzeitig verbundene, hohe architektonische Qualität ist im Umgang mit Denkmalen keineswegs selbstverständlich. Of the five buildings on the Museumsinsel the New Museum designed by Friedrich August Stüler has remained till present a war ruin. Applying an aesthetics of fragments the English team pursues its reconstruction. This approach shows great respect for the dignity of the destroyed building. In addition the high architectural quality is by no means a matter of course in dealing with historic buildings.

Text: Ira Mazzoni

Fotos: Jörg von Bruchhausen, Johannes Kramer
Nur ein international renommierter Architekt konnte mit der Idee reüssieren, die Ruine des Neuen Museums architektonisch, ästhetisch und funktional zum Maßstab seines Entwurfs zu machen. David Chipperfields philosophischer Ansatz, der auf gründlichen Analysen des Bestehenden durch seinen in der Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts versierten Kollegen Julian Harrap beruht, unterscheidet sich konsequent von allem, was dem Welterbe Museumsinsel in den letzten Jahren klag- und kritiklos zugemutet wurde und noch wird. Weder wird eine abenteuerliche Rekonstruktion des unwiederbringlich Zerstörten versucht, noch eine neuwertige Hochglanz-Restaurierung angestrebt. Eine Modernisierung gar mit Durchbrüchen, abgehängten Decken oder doppelten Böden im Dienste neuer Nutzungen und Haustechnik kommt schon gar nicht in Frage. Wertkonservativ geht Chipperfield von dem aus, was ist und versucht zu verstehen, was war. Ganz selbstverständlich erfährt die Ruine eine neue Wertschätzung als Teil der Geschichte. Mehr noch, der »Status der Ruine soll Teil der Zukunft des Museums« werden. Die Ästhetik des Fragments bestimmt den Entwurf. Die einzigartige Aura des definitiv Vergangenen und doch noch Gegenwärtigen wird auch noch im wiederhergestellten, reparierten, ergänzten Museum präsent sein. An einem äußerst prominenten Ort wird man eine Qualität wieder entdecken, die in deutschen Denkmalen zur Rarität geworden ist: Alter. Dass sich Chipperfields Team dem Neuen Museum mit gleicher Neugier und Sensibilität nähert wie einem antiken Bauwerk, spricht für sich. Es gibt keinen Sonderstatus für Architekturen des 19. Jahrhunderts. Auch dies ist ein Zeichen des Respekts.
Das Neue Museum ist das Schlüsselbauwerk der Museumsinsel. Mit ihm begann Friedrich August Stüler 1841 jenes Bildungsforum anzulegen, das nach dem Willen von König Friedrich Wilhelm IV. zur Freistätte für Kunst und Wissenschaft werden sollte. Im Rücken von Karl Friedrich Schinkels Antikenmuseum wuchs ein dreigeschossiger »Leichtbau« aus dem sumpfigen Boden, der uralte römische Bautechnik mit neuester Eisentechnologie verband. Auch museologisch war das neue Museum eine Sensation. Im ersten Geschoss bekamen zwei noch junge Wissenschaften mit ihren frischen Funden gebührenden Raum: die Ägyptologie im Nordtrakt und die Vor- und Frühgeschichte im Südtrakt. Das gesamte zweite Geschoss war für die Gipssammlung reserviert, die einen vollständigen Überblick über die Kunstgeschichte der Skulpturen von der Antike bis zur Renaissance bot. In der obersten Etage schließlich kamen Kunstkammer und Kupferstichkabinett unter. Die gesamte Raumausstattung nahm illustrativ Bezug auf die jeweiligen Exponate. So bot eine Nachbildung des Amuntempels in Karnak die perfekte Kulisse für die im nördlichen Innenhof präsentierten ägyptischen Großplastiken. Die Abgüsse antiker und mittelalterlicher Skulpturen wurden hinterfangen von stilistisch und motivisch abgestimmten Raumbildern. Architektur, Malerei und Exponate bildeten in diesem Museum eine Einheit. Auftakt und Höhepunkt der Anlage war das zentrale Treppenhaus: eine gebaute Hommage an Stülers Lehrer Schinkel, da sie dessen Entwurf für den Königspalast auf der Akropolis zitierte – ein mit Versatzstücken des Erichtheions gezierter Resonanzraum des Klassizismus, der auf ausdrücklichen Wunsch von Friedrich Wilhelm IV. programmatisch mit einem monumentalen Bilderfries von Wilhelm von Kaulbach zum Weltgeschichtsraum bestimmt wurde.
Nach Bombentreffern brannte die Treppenhalle 1943 aus, 1945 wurden der Nordwestflügel und der Ägyptische Hof zerstört. Auch die Kuppel über dem Südostrisalit brach ein. Die gesamte Gebäudeecke wurde dann bei den späten Sicherungsmaßnahmen nach 1985 abgebrochen. Ein halbes Jahrhundert lang ist das Museum in den Status einer Ruine hineingealtert. Die einflussnehmenden Zeitläufte seien einfach zu lang und zu komplex, um sie leugnen zu können, konstatiert Chipperfield. Weltkrieg und deutsche Teilung gehörten nun mal zur Geschichte des Hauses. Aber wer glaubt, Chipperfield inszeniere ein »Zeige Deine Wunde«, irrt. Viel zu faszinierend, was trotz allem von Stülers Sensationsbau erhalten ist: die Treppenhalle als Ziegelrohbau; mancher Ausstellungssaal der Beletage nahezu komplett mit kostbaren Mosaikböden, Säulen, farbigen Wandfeldern, Bilderfriesen, Supraporten. Für die Architekten besonders reizvoll, die offen liegenden, konstruktiven Innovationen Stülers: Tontöpfe formen leichte Decken. Nicht nur die von Stüler ostentativ und dekorativ verwendeten, reich geschmückten Bogensehnenbinder auch manche Eisenkonstruktion in der Wand bezeugen einen hochmodernen Industriebau. Das soll sichtbar und erfahrbar bleiben. Chipperfields Konzept: Dem Museum, das wieder für die Archäologischen Sammlungen genutzt werden soll, seine »Ordnung und Ganzheit zurückgeben, den Fragmenten neuen Sinn und Bedeutung geben, Zerstörungsspuren zurückdrängen, ohne dass die lange Geschichte des Gebäudes geleugnet werden müsste.« Raum für Raum wurde untersucht, was an Reparaturen und Retuschen nötig ist, um diese Ganzheit auch ästhetisch befriedigend herzustellen. Computersimulationen ermöglichten, konkret über Alternativen und Abstufungen zu diskutieren bis man sich auf ein Erscheinungsbild festlegte. Zusammengebunden helfen die Simulationen auch Saalfolgen zu betrachten. Die Übergänge vom Vollständigen zum Fragmentarischen, vom substanziell Alten zum substanziell Neuen müssen stimmen. Fahnenbücher zeigen im Detail, wie offen liegendes Ziegelmauerwerk, wie Putzschollen, verschmutzte Wandbilder, rissige Terrazzoböden, fragmentierte Mosaike, schrundige Sandsteinsäulen und Holzpaneele behandelt werden sollen. Sorgfältig wurden Sprachregelungen für die regelmäßigen Diskussionsrunden aller am Projekt Beteiligten getroffen. Akribisch wurde für die quasi archäologische Konservierung eine möglichst eindeutige Plansprache entwickelt. Die Genauigkeit und Verständlichkeit dieser Pläne wird über den Erfolg der Maßnahmen entscheiden. Es ist jedenfalls der Architekt, der die ästhetischen Prämissen setzt, nicht der Restaurator. Die »Restaurierung« ist architektonischer Entwurf. Die Skala der gewünschten Maßnahmen reicht dabei ganz undogmatisch von der schlichten Reparatur und Konservierung über Neutralretuschen hin zu Freilegungen, restauratorischen Ergänzungen, ja sogar Rekonstruktionen. Immer wurden dabei Befund, Umfeld, Bedeutung und Ästhetik reflektiert und differenziert bewertet ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren.
In die öffentliche Diskussion sind all jene zerstörten Bauglieder geraten, die Chipperfield als Ziegelvolumina und pure Raumfolgen strukturell wiederherstellen will. Dass der Süd-Ost-Risalit und der Nordwestflügel nicht die gleiche Gliederung aufweisen sollen wie die erhaltenden Museumstrakte, dass die zentrale Treppenanlage nicht mit Marmor, schmiedeeisernen Geländern, vergoldeten Dachwerkbindern kopiert, sondern nur andeutungsweise in Betonwerkstein nachgebildet werden soll ohne dass die rohen Ziegelwände rundum pietätvoll mit farbigem Putz bekleidet werden, erscheint der Gesellschaft Historisches Berlin ein Frevel am Werk Stülers. Von Zerstörung, Raub und Veruntreuung ist da die Rede, wo doch alles schon durch den Krieg zerstört und geraubt wurde. Als Verbrechen gegen Symmetrie und Ausgewogenheit werden die Ergänzungen gebrandmarkt. Dem Architekten eine »unkritische Auslegung der Charta von Venedig« angelastet. Allein das Stichwort Beton reicht, um auf Stimmenfang gegen die Planung zu gehen. Dabei legt es Chipperfield überhaupt nicht auf rechthaberische Kontrastwirkung zwischen Alt und Neu an. Im Gegenteil, er folgt mit großem Respekt den Vorgaben Stülers, was die Fassadensymmetrie, Raumfolgen und Saalproportionen betrifft. Kontinuität ist das Thema seiner Ersetzungen des Zerstörten. Auf den ersten Blick soll der Museumsbau als harmonisches Ganzes wirken, erst bei der Annäherung wird die Reparatur und damit auch die Geschichte des Hauses durch diskrete Differenzierung der unverputzten Ziegeloberflächen sichtbar. Auch die Treppenhalle ist eine gebaute Reflexion über das Vergangene. Chipperfield bildet den ursprünglichen Weg ins Licht nach. Dieser gigantische Freiraum vermag die Erinnerung an das einmal Gewesene wunderbar zu bewahren. Subtil wird die ehemals beherrschende Geschichtsdidaktik des Museums als Rahmenwerk für archäologische Exponate aufgegriffen. Wenn das Neue Museum 2009 wiedereröffnet, wird das Publikum vergangene Zeiten mehrdimensional sinnlich erleben können: Die Zeit Stülers wie die Ramses II. Erst die Konservierung der Ruine, die Wahrung der Fragmente öffnet eine in die Tiefe gehende historische, dem Thema des Museums entsprechende archäologische Perspektive. Stülers Meisterwerk wird durch Chipperfield zum architektonisch vermittelten Exponat.
Damit dieses nicht durch den erwarteten Besucherandrang zerstört wird, bedarf es unbedingt des in Chipperfields Masterplan vorgesehenen opak-gläsernen Eingangs- und Erschließungsbaus, der an der Stelle des in den 1930er Jahren abgebrochenen Schinkelschen Packhofs auf der Rückseite des Museums am Kupfergraben stehen soll. Stühlers Museum hat nur ein kleines, sehr exklusives Vestibül. Es gibt keine Garderoben, keine Kassenhalle für Schulklassen und Touristengruppen. Ticketschalter, Shop, Wcs und Café soll der sachliche Neubau aufnehmen, von dem aus die gesamte Museumsinsel unterirdisch erschlossen wird. Wird dieser Bau aus Kostengründen nicht gebaut, wären alle konservatorischen Bemühungen um das authentisch Überlieferte vergebens gewesen. I. M.
Bauherr: Stiftung Preußischer Kulturbesitz Nutzer: Staatliche Museen zu Berlin Denkmalpflege: Landesdenkmalamt Berlin Architekten: David Chipperfield Architects, London Architekt Restaurierung: Julian Harrap Architects mit Caroline Wilson, London Bauleitung Hochbau: Lubic & Woehrlin Architekten, Berlin Bauleitung Restaurierung: Pro Denkmal, Berlin /Bamberg Tragwerksplanung: Ingenieurgruppe Bauen, Berlin /Karlsruhe Gebäudetechnik: Jaeger, Mornhinweg + Partner, Berlin /Stuttgart Landschaftsplanung: Levin Monsigny, Berlin Wettbewerb /Gutachterverfahren: 1997 Bauzeit: 2003 – 2009 Bruttogeschossfläche: 20 495 m² Bruttorauminhalt: 128 330 m³ Baukosten: 233 000 000 Euro
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