Der Kontrast könnte größer nicht sein: Hier das je nach Wetterlage düster dräuende oder rotgolden glühende neogotische Polizeipräsidium, daneben der expressionistische, v. a. bei Dunkelheit mithilfe Tausender von LEDs transluzent von innen heraus strahlende Neubau der Philharmonie. Ein »signature building« also, das sich durch das gleißende, monochrome Weiß seiner Glasfassade von der umgebenden Stadt abhebt, das aber den Dialog nicht verweigert – denn es schließt folgsam den Blockrand, beherzigt die nachbarlichen Traufhöhen und reflektiert durch seine Baugliederung in eine Vielzahl einzelner Giebel die Struktur der nahe gelegenen Altstadt.
Allerdings sucht der Bau keine Beziehungen zwischen Innen und Außen, hat kaum Fensteröffnungen und keine Schaufensterfront, sondern orientiert sich hermetisch ins Innere. Wer durch den als lapidare Fassadenöffnung formulierten Eingang eintritt, wird durch die großartige, haushohe Halle überrascht. Ein überbreiter Treppenlauf zur Linken und eine skulpturale Wendeltreppe zur Rechten prägen diesen nur über die Dachreiter von oben belichteten Raum.
Der Kammermusiksaal mit 240 Plätzen und der große Saal mit knapp 1 000 Plätzen zeichnen sich nach außen nicht ab, sondern »schwimmen« im großen Volumen, umfangen von Erschließungs- und Nebenräumen. Beide sind nach dem Vorbild des Wiener Musikvereins als rechteckige »Schuhschachteln« mit geraden Sitzreihen konzipiert. Dunkel anthrazitfarben gestaltet der kleinere, mit schwarzem Gestühl und güldenen Wänden (mit im Blattgold-Look verarbeiteter Bronze) der große. Expressiv gefaltete Paneele an Wänden und Decken sorgen für die viel gelobte Akustik, für die Higini Arau aus Barcelona verantwortlich zeichnet.
Die obere der beiden Foyerebenen wird als Ausstellungsbereich regelmäßig von einer örtlichen Galerie bespielt und vermittelt Kunstgenuss in der Konzertpause.
Seit der Eröffnung im September zählt das Haus über 200 000 Besucher; die Veranstaltungen sind durchweg ausverkauft. Die Philharmonie ist für Stettin und die Grenzregion polnisches Westpommern und deutsches Vorpommern eine wahre Erfolgsgeschichte und wurde von der EU mit dem Mies-van-der-Rohe-Preis 2015 ausgezeichnet.
- Standort: ul. Małopolska 48, PL-70-515 Szczecin, Polen
Architekten: Barozzi / Veiga, Barcelona, mit Studio A4, Stettin
Bauzeit: März 2011 bis September 2014
db deutsche bauzeitung 09|2015