~Ursula Baus
Den meisten Lesern mag das schwäbische Metzingen als Shopping-Oase bekannt sein, doch auch der alte Ortskern kann sich sehen lassen, v. a. mit einem mittelalterlichen Platz, auf dem mehrere Keltern – eindrucksvolle Holzkonstruktionen – überlebt haben. In einer Baulücke an diesem Platz ließ sich der Bauherr, ein Designer, ein kleines Wohnhaus errichten. Mitten im Ort war über Giebelstandsrichtung, Dachneigung und Putzfassade nicht mehr zu verhandeln. Doch das äußere Erscheinungsbild des Hauses lässt trotzdem auf ein bemerkenswertes Inneres schließen. Große Fenster – keins gleicht dem anderen – wecken die Neugier darauf, was sich wohl im Innern abspielen mag. Mit Split-Level, Glasgeländern und Glaswänden wird über die dreieinhalb Etagen eine einzigartige Transparenz geschaffen: ein »Einraum« vom UG bis unter den First. An die vom Platz aus rechte Hausseite, wo sich auch die sehr dezente, außenbündige Haustür kaum von der Wand unterscheiden lässt, sind Treppe und Sanitäreinrichtungen sowie alle nötigen Anschlüsse verbannt. Im Innenraum stören sie das vertikale Raumkontinuum nicht. Gleichwohl ließe sich hier auch ein Familienleben mit ungestörten Teilbereichen einrichten. Sichtbeton, weiße Wände und die vielerlei Glaselemente bringen die Fülle des Tageslichts zu bester Geltung. Auf der DG-Ebene ließ sich auch noch eine kleine, geschützte Terrasse unterbringen.
Dass man vom belebten Platz aus in seine Wohnräume hineinschauen kann, stört den Bauherrn keineswegs. Er schätzt im Gegenteil die kommunikative Umgebung, die in einem normalen Einfamilienhausgebiet so nicht zu finden ist. Distanzlosigkeit muss er dabei nicht fürchten: Respekt vor dem Privaten hat in der Gegend Tradition, man wahrt Abstand.
Enge im Innern und rund ums Haus herum schrecken manche Menschen immer noch vor dem Leben in der Stadt ab. Wie großzügig und frei man aber hier leben kann, zeigt dieses Haus vorzüglich, indem es den berühmten Leitsatz »weniger ist mehr« neu interpretiert.
- Standort: Kelternplatz 1, 72555 Metzingen
Architekten: (se)arch, Prof. Stefanie Eberding und Stephan Eberding, Stuttgart
Fertigstellung: Dezember 2012
db deutsche bauzeitung 08|2013