~Clemens Bomsdorf
Ein im Eis eingeschlossener Meteorit, der im Roman »Fräulein Smillas Gespür für Schnee« eine zentrale Rolle spielt, hat Jean Nouvel beim Entwerfen des neuen Konzerthauses in Kopenhagen inspiriert. Riesige blaue PVC-Planen umschließen den Kubus, nachts wird diese Haut mit Lichtprojektionen in Szene gesetzt, tagsüber sieht der Bau von außen recht unspektakulär aus.
Im Foyer dominieren Sichtbeton und Birkenholz. Türen, Fahrstühle und Rolltreppen sind mit Holzplatten verkleidet, was dem Ganzen etwas Unfertiges, Baustellenhaftes gibt – ein Effekt, der verhindert, dass die in Konzerthäusern sonst so verbreitete Andächtigkeit aufkommt. Schließlich sollen hier auch Hip-Hop-Stars auftreten, nicht nur Weltklassegeiger. Für entspannte Stimmung sorgt ein weiterer Clou, den sich Nouvel ausgedacht hat: Sitzmöbel, Bar und Garderobe sind aus Flight Cases zusammengesetzt, jenen Transportkoffern, mit denen Musiker ihr Equipment verschiffen. So hat der Architekt Underground-Ästhetik in den staatlich finanzierten Bau gebracht.
Der Hauptkonzertsaal nimmt mehrere Etagen ein, die mit braun gestrichenen Mineralwolle-Platten versehenen Außenwände sind in Richtung Foyer gewölbt und wirken wie ein Kokon. Innen vermitteln Wandverkleidungen und Bestuhlung aus Birke sowie dunkelrote Sitzpolster Wärme.
Nouvels Kopenhagener Konzerthaus geht es wie einem Meteoriten, der beim Herannahen Aufsehen erregt, nach dem Einschlag aber nur schwer aufzufinden ist: Das mit viel Mediengetöse angekündigte Gebäude liegt in einer Gegend, die Bewohner und Besucher normalerweise ignorieren. Die wirklich interessante Architektur verbirgt sich zudem hinter der blauen Fassade und wird von Passanten leicht übersehen. Wer jedoch als Konzertgast oder Teilnehmer an einer Führung hineingelangt, erlebt einen ungewöhnlichen ästhetischen Genuss.
- Standort: Emil Holms Kanal 20, Kopenhagen
Architekten: Ateliers Jean Nouvel, Paris
Eröffnung: Januar 2009
db deutsche bauzeitung 05|2009