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Wiederaufbau mit Ecken und Kanten

Innenstadtentwicklung in München
Wiederaufbau mit Ecken und Kanten

Rama dama… München räumt mit seiner Nachkriegsgeschichte auf. Die letzten Kriegslücken werden geschlossen, rührende Provisorien beseitigt und die konservativ zurückhaltenden Nachkriegsbauten entsorgt. Soviel Veränderungen innerhalb des ehemaligen mittelalterlichen Mauerrings gab es seit dem Wiederaufbau nicht mehr. Die Stadtplaner haben einen Modernisierungsbedarf konstatiert. Nachverdichtung ist die Methode. Die alte europäische Stadt ist das Modell. Gewinnmaximierung Anlass und Ziel. Aktuell betroffen: die Geschichtskerne Alter Hof und Marstallplatz.

Beseitigung von »Altlasten« Mit den Maximilianhöfen von Gewers Kühn + Kühn und den Landschaftsarchitekten von ST raum a aus Berlin sollte im Hinterhof von Residenz und Staatsoper endlich Ordnung geschaffen werden. Dort hatte ein Stück Nachkriegschaos überlebt. An der berühmten Maximilianstraße gab es statt edel modellierter Neugotik einen flachen Behelfsbau. In dem schmucklosen Riegel hatte sich neben dem Kartenvorverkauf des Nationaltheaters auch ein Operncafé und eine prominente Schmuckgalerie etabliert. Das anschließende Eckhaus zur Marstallstraße galt als der besterhaltene Bürklein-Bau an der gesamten Prachtstraße und diente immer noch Wohnzwecken.
Hinter dieser Front herrschte vollends Tristesse: Dunkle, zweigeschossige Gebäude, standen dort in einem nicht mehr erkennbaren Zusammenhang zum königlichen Marstall, der von Leo von Klenze 1817–22 erbauten Hofreitschule, die einst mit Stallungen und Remisen in einer U-Förmigen Anlage zusammengeschlossen war. Nur Torbögen verbanden den Marstall mit dem ehemaligen Schulstall, von dem noch eine gewölbte Halle aus dem Jahr 1810/12 erhalten war. Die Sandfläche vor dem Marstall war mit Autos zugeparkt; auf dem Grund dahinter wuchert bis heute Unkraut um ein paar abgestellte Nationaltheater-Säulen.
1993 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb für das Gesamtgelände ausgelobt und an die Realisierung des Max-Planck-Instituts auf dem nördlichen Grundstück gekoppelt. Zuvor bereits hatte sich der Freistaat Bayern versichert, dass er die Nutzflächen, auf die er nach Bürgerprotest beim Bau der Staatskanzlei verzichtet hatte, auf das Baurecht am Marstallplatz übertragen kann. Zwar gaben die Sieger des Wettbewerbs, die Architekten Graf Popp Streib, München, eine intelligente Konstellation vor, die die disparaten Fluchtlinien des Areals harmonisierte, aber die Entkoppelung der Bebauung von Nord- und Südhälfte barg bereits die Gefahr auseinander driftender Realisierungen. 1998 wurde dann für die Süd-Hälfte ein Investorenwettbewerb ausgeschrieben, den die Palos Immobilien- und Projektentwicklungsgesellschaft für sich, bzw. für den britischen Investor Doughty Hanson entschied. Bestandteil des Vertrags zwischen Staat und Investor: Für das Erbbaurecht von 21000 qm oberirdischer Nutzfläche liefert der Investor eine schlüsselfertiges Probengebäude mit 9000 qm für die Oper. Ein Coup über den sich Finanzminister und Kultusminister gleichermaßen freuten.
Im Jahr 2000 lobte die Palos den Realisierungswettbewerb Marstallplatz Süd aus. Schon im Ausschreibungstext wurde deutlich, dass der Bebauungsplanentwurf aufgrund des hohen Nutzungsdrucks nicht als verbindlich galt. Die historischen Zusammenhänge und die denkmalpflegerischen Belange wurden ausführlich dargelegt: Selbstverständlich war die »Reithalle Klenzes samt den Verbindungsbögen zu den Stallungen als eindeutige Dominante am Marstallplatz unter Bewahrung des Freiraums… entsprechend den historischen Strukturen zu erhalten. Auch die gewölbte Säulenhalle und die Umfassungsmauern der Hofstallungen sind zu erhalten und in eine maßstäblich angemessene Planung zu integrieren, wobei die historische Kubatur dieses Gebäudeteils bewahrt werden sollte«. Und last but not least galt für den Bürkleinbau: »Das Gebäude Maximilianstraße 15 ist als Einzeldenkmal in die Denkmalliste eingetragen und ist Bestandteil des Ensembles Maximilianstraße. Deshalb ist eine Abbruchfreigabe nicht möglich. Vorrangiges Ziel sollte die Erhaltung des Gebäudes bei Anpassung an die Anforderungen einer modernen Nutzung sein. In jedem Fall sind die Fassaden zur Maximilian- und Marstallstraße zu erhalten«. Die Fassaden der zerstörten Gebäude Maximilianstraße 11 und 13 waren entsprechend dem Original wiederaufzubauen.
Bei der Realisierung des überarbeiten Konzepts von Gewers Kühn + Kühn wurde jeder Passant Zeuge spektakulärer Denkmaldressuren: An der Maximilianstraße standen zuletzt lediglich die beiden Fassaden. Die gewölbte Tuffsäulenhalle wurde von ihrem Gehäuse befreit und ihrer Fundamente beraubt, denn unter ihr und um sie herum mussten Tiefgarage und Probebühne ausgehoben werden: So balancierte das Schaustück monatelang auf Stelzen über dem Abgrund. Dabei verschwanden auch die Torbögen. Eine Verbindung vom königlichen Marstall zu der Stahl-Glasfassade der Maximilianhöfe wäre nur eine Zumutung mehr.
Winkelzüge der Verdichtung Aufgrund der Überlastung des Grundstücks mit übertragenen Baurechtsansprüchen, erscheint die Neuordnung als winklige Wirrniss, die zwar altstädtische Enge zum Vorbild erklärt aber substantiell verpatzt. Drei Einzelbauwerke, der so genannte Bürkleinbau, das Probengebäude und der Maximilianhof besetzen das Grundstücks-Trapez so, dass zwar die Straßenfluchten geschlossen sind, aber im Innern eine verzerrte Restfläche bleibt, die sich Salpeterhof nennt. Einzig die Maximilianstraße hat durch die vordergründige Rekonstruktion des Bürkleinbaus gewonnen und ist als durchgehender Straßenzug erlebbar. Doch schon die tief verschatteten Mittelarkaden wirken als dunkles Loch. Steigt man vom Straßendamm in die Niederung der »Höfe« hinab, sieht man sich mit geretteten Reitarkaden konfrontiert, die nun hinter der spiegelnden Glasfront eines alltäglichen Bürobaus versteckt sind und gastronomisch genutzt werden. Da auch die Rückfront des so genannten Bürkleinbaus aus dunklen Pfostenriegeln und spiegelnden Glasflächen besteht, wird der Innenraum allenfalls durch die Schaufensterwerbung der Mieter und die Spiegeleffekte belebt. Die Interferenzen von Gebäudekanten, Überständen, Rücksprüngen, Reflexen und Bodenstreifen verunklären die räumliche Disposition, dort wo die Architekten sie vorführen wollen. Das silbrig technoide Probengebäude, das zwischen Innenhof und Marstallplatz vermittelt, weitet sich über verschliffene Auskragungen zu einer imposanten Kubatur, die aber als Platzwand kaum Statue beweist. So wirkt der Marstallplatz, der kleinteilig gepflastert und mit einer Lichtborte und Granitkuben gerahmt wird, nur leer und am Südrand ausgefranst. Auch der gegenüberliegende Hinterhof der Residenz wurde mit Granit ausgelegt und mit Lichtbänken gerastert, so dass die zweifache Geländebewegung in einem angespannten Korsett erstarrt. Die Totalversiegelung wird mit den Rangierbedarf der Theaterzulieferer begründet. Um am Marstallplatz Urbanität zu produzieren, bedarf es jetzt doppelter Anstrengung: Oper für alle soll es hier geben. Über die Zukunft des Marstalls hat das Finanzministerium noch nicht entschieden. Für einen weiteren Konzertsaal fehlt das Geld, so wird es auf absehbare Zeit wieder Experimentelles Theater auf der Probebühne geben.
Burg-Modernisierung Während die Münchner über Hochhäuser debattieren und die hinter historischen Kulissen gut verpackten Qualitätsveränderungen ignorieren, hat bereits der Abriss am Alten Hof, der oberbayerischen Stammburg der Wittelsbacher begonnen. Beseitigt werden Pfister- und Brunnenstock, die nach Kriegszerstörung in den sechziger Jahren als Finanzverwaltung neu gebaut worden waren. Der Lorenzistock, ein historisierende, dem Burgcharakter der Gesamtanlage verpflichteter Wiederaufbau von Rudolf Esterer soll als Denkmal erhalten und modernisiert werden. 1998 entschied der Landtag, dass sich der Staat aus dem Alten Hof zurückzieht. Nur der innere, historische Kern aus Burg- und Zwingerstock sollten in Staatsbesitz bleiben. Deren Sanierung und Umbau wird durch die Privatisierungserlöse refinanziert. Nach Investorenwettbewerb ging das ausgeschriebene Areal in Erbpacht an die Bayerische Hausbau. Dem Investor wurden 7000 qm mehr zugestanden, als im Bestand vorhanden. Der neue urbane Nutzungsmix sieht 14 % Läden, 6 % Dienstleistung, 54 % Büros und immerhin 26% Wohnen vor. Der anschließende, gut moderierte, Architekturwettbewerb brachte nach Überarbeitung 2003 keine Entscheidung für die drei gleichaufliegenden Entwürfe von Auer+ Weber, Kulka sowie Hild + K. Schließlich einigte man sich auf eine Mischung: Auer+ Weber werden den Pfisterstock respektvoll modern als Wohnflügel in das Burggeviert einpassen. Um Kulkas Entwurf, der sich im Laufe des Prozesses erheblich gewandelt hat, gibt es indes Streit. Die Denkmalpflege verweigert ihre Zustimmung zu den »wesensverändernden« großen Fassadenöffnungen und für das von Betonrauten gestützte Glasdach. In der Tat zeigen die Entwürfe ein spektakuläres Geschäfts- und Bürohaus ohne altertümelnd gekrümmte Burgromantik, wie sie Esterer in den 50ern absichtsvoll baute. Derweil bekundet die Stadtbaurätin ihr Befremden über die Hochschätzung des Nachkriegsbaus. Für ihren Geschmack gibt es bei dem Projekt zu wenig Neues. In jedem Fall sollen ein zweigeschossiger Eingang und große Schaufenster aus der Fassade gebrochen werden. Für das Dach wird es ein 1:1 Modell geben, um die Spiegel- und Leuchtkraft zu testen. Zu klären wäre aber auch, wie der kritische Übergang zum Hoftor aussehen wird. Eins ist sicher: Mit Kulka verschwindet die Burg aus dem Weichbild des Marienhofs. Stattdessen wird die neue, geschäftsträchtige Hofkultur prolongiert. Über solch essentielle Qualitätsverschiebungen sollte öffentlich diskutiert werden.
Ira Mazzoni
Die Autorin ist freie Journalistin u.a. für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, lebt und arbeitet in Landshut
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