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Von künstlichen Gärten und alltäglichem Grün

[ zwischengrün ] – eine Auseinandersetzung mit Stadt und Landschaft in Leipzig
Von künstlichen Gärten und alltäglichem Grün

Zwischen Klammern eingefügt ist der Name [ zwischengrün ] – er steht für das erste Festival, das sich in diesem Herbst dem Leipziger Grün widmet. Ist das Grün zwischen den Häusern der perforierten Stadt oder das Grün zwischen öffentlichem Park und privatem Garten gemeint? Oder steht [ zwischengrün ] komplementär zur Zwischenstadt, die Thomas Sieverts Ende der neunziger Jahre thematisierte? Während sich die Zwischenstadt den Orten an der Peripherie zuwendet, der verstädterten Landschaft, die oftmals mit Trostlosigkeit assoziiert wird (siehe db Themenheft 07/2003), so behandelt [ zwischengrün ] die verlandschaftlichte Stadt und ist dort auf der Suche nach einem neuen Verhältnis von Urbanität und Natur.

Dabei orientiert sich das Festival nicht vorrangig an der klassischen Stadt- und Landschaftsplanung, sondern lädt Vertreter der zeitgenössischen Kunst ein, neue Aussagen zum öffentlichen Raum zu formulieren. Hauptinitiatoren sind der Kunstverein Leipzig und die culturtraeger GmbH – hinter beiden steht Michael Berninger als Kunstmäzen aus Überzeugung und hauptberuflicher Unternehmer. Er begreift [ zwischengrün ] als Netzwerk zum Umgang mit Stadt, Garten, Landschaft und Kunst. Alle reden von schrumpfenden Städten, so der Initiator, doch er will auch die Potenziale dieser Entwicklung herausstellen: die wachsenden Landschaften. Das Spektrum der weiteren Projektpartner und -teilnehmer reicht vom Grünflächen- und Stadtentwicklungsamt, über die Galerie für Zeitgenössische Kunst, das Museum der Bildenden Künste, das Forum für Zeitgenössische Musik, verschiedene Künstler und Architekturbüros bis hin zum Spaziergangsforscher. Vom 11. September bis 3. Oktober 2005 beschäftigten sie sich mit dem freien Raum dazwischen.
Für das Festival-Ressort »Kunst und Garten« stehen insbesondere die temporären Gärten, die seit 2001 jährlich in Leipzig als blühende Landschaften auf Zeit entstehen. Ungewöhnliche Gärten wurden von Künstlern konzipiert wie der Ikebana-U-Garten, den Ruth Habermehl im vergangenen Herbst in einer Unterführung als Rindenmulchtunnel anlegte, während Bea Meyer eine Metallblume als Gewächs des Sozialismus an ihren ursprünglichen Standort am Sachsenplatz zurückbrachte. Diese Garteninstallationen waren quasi die Vorgänger für das diesjährige Festival. Temporäre Gärten wurden wenige Jahre zuvor bereits in Berlin von dem Landschaftsarchitekten Daniel Sprenger mit dem BDLA gestaltet. Inspiriert von dieser Veranstaltungsreihe griff der Leipziger Kunstverein den Gedanken der saisonalen Inbesitznahme von öffentlichem Raum auf und entwickelte daraus die Kunstinitiative. Das Grün bildet dabei das verbindende Symbol zwischen Mensch und Kunst.
In diesem Jahr sind am Promenadenring zehn Gärten als künstlerische Interventionen für die Dauer des Festivals zu sehen, wie die Bienenhäuser von Olaf Nicolai, die Rasenmäherzeichnungen von Ralf Witthaus und ein Parkplatz für Aliens von Ulrike Gärtner. Eine Besonderheit ist das von culturtraeger gestiftete Gartenstipendium, das auswärtigen Künstlern während eines Arbeitsaufenthaltes die Projektrealisierung erlaubt. Für das diesjährige Festival entwi-ckelte der in Oslo lebende Künstler Stefan Schröder auf dem Areal des alten Plagwitzer Güterbahnhofs sein Projekt »Plagwitzer Sand«. Ein mit Sand beladener Güterzug soll noch einmal in den Bahnhof einfahren, der nach 1989 zur Brache wurde, als ein Großteil der Firmen den Produktionsstandort aufgeben musste und das Gelände jahrelang ungenutzt blieb. Einige geschliffene Diamanten, versteckt in den tonnenschweren Sandbergen, fordern provokativ den Sammeltrieb heraus und animieren zur kollektiven Schatzsuche. Die brachliegenden Gleisanlagen werden auf unerwartete Weise noch einmal ins Bewusstsein gerückt. Um die Wahrnehmung der alltäglichen Freiräume und das Erleben von unspektakulären Landschaften geht es dem Promenadologen Bertram Weisshaar. Der Name seines »Atelier latent« ist Programm des Spaziergangsforschers und ausgebildeten Landschaftsarchitekten – sein Anliegen ist, latent vorhandene, also auch versteckte oder unentdeckte Landschaften, sichtbar zu machen, um sie in die Gestaltung des Stadtorganismus einbeziehen zu können. In diesem Herbst führten seine Routen an den Promenadenring und durch die schrumpfende Plattenbaugroßsiedlung Grünau. Unter dem Ressort »Wohnfolgelandschaften« widmeten sich auch freie Stadt- und Landschaftsplanungsbüros im Auftrag des Stadtplanungsamtes dem Grünauer Thema, indem sie innovative Konzepte für die Modernisierung der Siedlung suchten – sprich für Abbruch, Stadtumbau und Landschaftsgestaltung.
Mit ganz unterschiedlichen Veranstaltungen wurde während des Festivals zum Aufenthalt im Freien eingeladen: So wurden ausbaufähige Laubengaragen errichtet, eine Urban Safari bereitete in ironisch-pointierter Weise auf die kommende Verwilderung der Stadt vor, und am Grünauer Rodelberg und Plagwitzer Güterbahnhof spielten Schlagzeug- und Blechbläserensembles Wandelkonzerte auf freiem Gelände. [ zwischengrün ] ist bei aller temporären Eigenschaft nicht allein auf das Festival im September bezogen, sondern langfristig angelegt. Unter www.zwischengruen.de werden nach einer Winterpause wieder Veranstaltungen angekündigt und überbrücken die Zeit bis zum nächsten Festival 2006 mit Spaziergängen, Exkursionen per Fahrrad oder Bus, zu denen die »lieben Gartenfreunde und Freunde der Kunst« eingeladen werden.
»Freiräume erleben« konnte man parallel auch in der gleichnamigen Aktionswoche, die vom 10. bis 19. September 2005 stattfand. Hier widmete sich die Stadt Leipzig als Veranstalter explizit den positiven Tendenzen des Stadtumbaus Ost, eine Erfolgsbilanz gewissermaßen und damit ein Stück Stadtmarketing. Das Resultat wurde in den neuen Stadtteilparks Rabet und Reudnitz sowie Grünau und Plagwitz gebührend gefeiert, in der Ausstellung »Neues Bauen in alten Häusern« dargestellt und während einer mehrtägigen Leipzig-Akademie thematisiert. Für den Initiator von [ zwischengrün ] galt auch hier der Netzwerkgedanke, statt Konkurrenzen aufzubauen wurden Dinge miteinander verknüpft, denn im Freiraum sollte man sich begegnen. Annette Menting
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