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Luxemburg entwickelt sich zur Kultur-, Finanz- und EU-Hauptstadt

Vom Banken- zum Kulturstaat
Luxemburg entwickelt sich zur Kultur-, Finanz- und EU-Hauptstadt

Das schwerreiche Großherzogtum Luxemburg war bisher eher als Bürokratenstadt bekannt. Das erstmals in den sechziger Jahren entwickelte Quartier für Banken und die Europäische Union wird derzeit mit Macht zum neuen Kulturviertel Luxemburgs ausgebaut. Bisheriger Höhepunkt ist die neue Philharmonie – das erste Konzerthaus des Großherzogtums. Sie liegt auf halbem Weg zwischen der kleinen, mittelalterlichen Innenstadt und dem Flughafen an der Avenue John F. Kennedy., im Volksmund auch als »Beamtenlaufbahn« bekannt. Zwei neue Bürohochhäuser an der Place de l’Europe markieren den prestigeträchtigen Kulturbau unübersehbar in der Silhouette der Stadt.

I. M. Peis Museum für moderne Kunst wird direkt nebenan fertig gestellt. Beide Großbauten gehen auf die Initiative von Jacques Santer in den neunziger Jahren zurück, nach dem Vorbild von François Mitterands, mit Hilfe von Grands Projets die Stadt aufzuwerten. Selbst der Büroblock nebenan, das ergraute Bâtiment Schumann, bekommt eine kulturelle Nutzung und wird von den Architekten Bolles und Wilson zur neuen Nationalbibliothek umgebaut. Das Büro aus dem westfälischen Münster hatte sich bei einem Wettbewerb im November 2003 erfolgreich durchgesetzt – mit der Begründung einer »Öffnung des Gebäudes zur Landschaft sowie zur Altstadt und einem schlüssigen funktionalen Konzept« (Jury). Hier werden eine wissenschaftliche und eine öffentliche Bibliothek zusammengefasst. Sie soll in Verbindung mit der Philharmonie und dem Museum für Moderne Kunst den Auftakt zum Plateau Kirchberg bilden.
Hören und Sehen zu einem synästhetischen Erlebnis zu vereinen, ist wohl das Ziel eines jeden Baukünstlers, der ein Gesamtkunstwerk für Musik entwirft. Das Reich der Tonkunst muss dafür von der profanen Außenwelt abgetrennt werden. Auch Christian de Portzamparc hat bei seinem Entwurf für den Neubau der Philharmonie »einen Raum der Initiation« geschaffen, der wie ein Filter aus Licht in eine andere Welt entführt. Genau 823 strahlendweiße – und nur teilweise tragende Stahlstützen umhüllen den inneren Konzertsaal wie ein Mantel. Die Besucher der 107 Mio Euro teuren Philharmonie wandeln daher auch durch ein großes schräges Foyer, bevor sie die Welt der Musik betreten. Um die innere Konzerthalle vom austauschbaren Bürohaus-Einerlei im umgebenden Quartier Européen abzuschirmen, hat der Architekt eine lichte Hülle um sie herumgebaut. Diese aus bis zu vier parallelen Stützreihen bestehende Fassade folgt einem geradezu musikalischen Rhythmus. Der Raum der Musik in der Mitte steht darin wie ein Haus im Haus.
Das umlaufende gleißendhelle Foyer umgibt das im Grundriss wie ein breites Surfboard geformte Konzerthaus auf allen Seiten. Zusätzlich fällt Zenitlicht von oben in das Foyer. Eine flache Rampe mit Streckmetallgeländer windet sich durch die achtzehn Meter hohe Vorhalle zu acht Logentürmen, die das gro-ße Auditorium umgeben und jeweils 28 Besuchern Platz bieten. Die Räume dazwischen sind bonbonfarben gestrichen, rosa, violett, blassgrün und hellblau. Abends werden sie zusätzlich illuminiert. Dieser Kunstgriff taucht das Sehen und Gesehenwerden, das jedes Theaterfoyer ausmacht, in changierende Lichttöne. Portzamparcs eigenwillige Mischung aus spielerischen und klassischen Gestaltungselementen erinnert an die berühmte Inschrift am Gewandhaus in Leipzig von 1884 »res severa verum gaudium« (Wahre Freude ist eine ernste Sache).
Portzamparcs Werk adelt architektonisch das Luxemburger Bankenviertel, dass das Großherzogtum mit Hilfe vieler Gelder, die unter anderem auch vor deutschen Finanzämtern in das benachbarte Steuerparadies bugsiert wurden, reich gemacht hat. Nachts leuchtet das Foyer der neuen Philharmonie auf das Kirchberg-Plateau hinaus, das nach den städtebaulichen Planungen von Ricardo Bofill mittelfristig von einer öden Bürostadt ohne Passanten in ein aufregendes Kulturviertel verwandelt werden soll.
Auf der anderen Straßenseite wurde erst im Juli 2005 der Grundstein für die neue Europäische Investmentbank (EIB) nach einem Entwurf von Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf gelegt. Ingenhoven und Partner gewannen 2002 den internationalen Wettbewerb für den Bau. Ihre »Bank mit V-Ausschnitt« ist eine halbrunde Glashülle mit Wintergärten, die mehrere V-förmige Bürogebäude überspannt, die durch Atrien miteinander verbunden sind und als Klimapuffer vor den Büroräumen wirken. Die leichte Hülle mit geschosshoher Verglasung der Büros soll den Außenbezug schaffen. Ab 2008 werden hier auf einer Fläche von etwa 70 000 Quadratmetern 750 Mitarbeiter tätig sein.
Auch der Neubau der IKB International wurde von deutschen Architekten entworfen. Rhode Kellermann Wawrowsky (RKW) haben einen minimalistischen, steinernen, anthrazitfarbenen Kubus geschaffen. Der kleine, prägnant reduzierte Block prägt den Straßenraum. Der Baukörper mit Sonnenschutz aus matt glänzenden Läden ruht auf einem keilförmig goldenen Sockel, der entlang der abfallenden Straße langsam in der Erde verschwindet. Das Eingangsgeschoss wird durch eine zur Rue Erasme breite oder zur Rue Leon Hengen schmale Fuge getrennt.
Nicht nur die Banken boomen im Steuerparadies Luxemburg. Die EU-Osterweiterung vom Mai 2004 und das Wachstum von 15 auf 25 Mitgliedsländer führt auch im Generalsekretariat des Europäischen Parlaments zu erhöhtem Flächenbedarf für bald voraussichtlich wohl 2760 Mitarbeiter. Für das bestehende Konrad-Adenauer-Haus auf dem Plateau Kirchberg wurde deshalb ein Wettbewerb für die Erweiterung ausgelobt, in dem Heinle, Wischer und Partner den ersten Preis gewonnen haben. Die Erweiterung schließt ein Schulungszentrum, Bibliotheken, eine Druckerei, und ein Gesundheitszentrum ein. Die Läden und Restaurants im Erdgeschoss bieten den Büros und den umliegenden Wohngebieten gleichzeitig eine gute Nahversorgung.
Das Bestandsgebäude wird in eine sechsgeschossige Blockrandbebauung integriert. Ein achtzehngeschossiges Hochhaus an der Avenue John F. Kennedy betont die Ecke und fungiert als städtebaulicher Anker. Die Blockstruktur öffnet sich an drei Seiten vom Straßenraum zu einem internen Platz und einer Passage. Dem öffentlichen Platz stehen private grüne Höfe gegenüber. Das Flugdach über der Blockrandbebauung soll die Einheit der Europäischen Union verkörpern, denn die Mitgliedsstaaten werden hier gemeinsam unter einem Dach arbeiten.
Luxemburg könnte als EU-Standort sogar bald gestärkt werden: Der neue französische Premierminister hat den Vorschlag gemacht, Straßburg seinen Status als dritte EU-Hauptstadt zu nehmen, wenn im Gegenzug die neue paneuropäische Innovationsagentur dort ihren Sitz nehmen würde. Dem EU-Status von Luxemburg würde das zusätzlichen Auftrieb verleihen.
Das Kirchberg-Plateau ist zweifellos das ambitionierteste neue Stadtviertel in Luxemburg, aber durchaus nicht das einzige: Am westlichen Stadteingang liegt mit der »Porte de Hollerich« ein 200 ha großes Plangebiet, in dem mehr als eine Million Quadratmeter Geschossfläche für Wohnen und Arbeiten, Gemeinschafts- und Freizeiteinrichtungen sowie ein Planetarium, ein Museum und Hotels vorgesehen sind. Der städtebauliche Ideenwettbewerb wurde im November 2004 zugunsten zweier Frank-furter Planungsbüros entschieden. Die Jury vergab zwei gleichrangige erste Preise an Albert Speer & Partner und Torsten Becker und Henrike Specht.Gefordert war ein städtebauliches Entwicklungskonzept für die nächsten zwanzig Jahre. Welches der beiden Büros mit der weiteren Planung beauftragt wird, entscheidet sich noch in diesem Jahr.
Die luxemburgische Hauptstadt dürfte damit die europäische Kapitale mit dem ambitioniertesten und potentesten kulturellen Bauprogramm pro Kopf sein, wenn man bedenkt, dass sie gerade einmal 80.000 Einwohner zählt. Ulf Meyer
Informationen zur Stadtentwicklung in Luxemburg unter: www.vdl.lu
Der Autor ist freier Journalist und Mitarbeiter verschiedener Fachzeitschriften und Tageszeitungen
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